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Der alte Landtag auf dem Brauhausberg: Stunde null auf „Potsdams Chimborazo“

Der ehemalige Landtag auf dem Brauhausberg – die alte Reichskriegsschule, SED-Bezirksleitung, der „Kreml“ – verharrt zwischen Vergangenheit und noch unklarer Zukunft. Ein Rundgang mit dem Leerstandsverwalter Dieter Kahlau

Gleich gehts rein. Doch zuerst will Dieter Kahlau einmal um das riesige Haus herumgehen, für das er nun zuständig ist. Der Titel des 60-Jährigen klingt gewichtig: Sonderbeauftragter des Brandenburgischen Landesbetriebes für Liegenschaften und Bauen (BLB) für die Leerstandsverwaltung des früheren Brandenburger Landtags. Mit anderen Worten: Kahlau, ein gemütlich und humorvoll wirkender Mann, ist der vorerst letzte Chef im „Kreml“. Sein Reich umfasst nicht nur die 10 000 Quadratmeter Nutzfläche in der ehemaligen Reichkriegsschule und späteren SED-Bezirksleitung, sondern auch das den Ziegelbau umgehende Plateau von 40 000 Hektar besten Baulandes auf dem Brauhausberg.

Momentan allerdings müssen von den vier Hektar noch winzige 62 Quadratmeter abgezogen werden. Diese gehören der Stiftung Preußische Schlösser und Gärten (SPSG), darauf stand einmal ein Ausflugslokal, heute sind nur noch die Fundamente übrig. Zu den Gästen dürfte kein Geringerer als Alexander von Humboldt (1769 bis 1859) gezählt haben, der den Brauhausberg gern bestieg und ihn seinen „Potsdamer Chimborazo“ nannte.

Die kleine Eigentumsfrage, sagt Kahlau, „werden wir auch noch klären“. Dass irgendwer auf die Idee kommen könnte, das Ausflugslokal wieder aufzubauen – nun, da die Politik den zwischen 1899 und 1902 im englischen Stil errichteten Bau wohl endgültig verlassen hat –, glaubt Kahlau indes nicht: „Was weg ist, ist weg.“ Bevor der Landesbetrieb den Brauhausberg bebauen lassen kann – momentan gibt es weder einen Bebauungsplan noch eine Ausschreibung – müssen noch zahlreiche Nebengebäude abgerissen werden. Kahlau zeigt auch auf das sogenannte „Konglomerathaus 4“, einen DDR-typischen Flachbau, der in mehreren Anbau-Phasen entstand und in den 1990 sogar einmal ein Autohaus eingezogen war. An die Automarke kann sich Kahlau aber nicht erinnern.

In der der Stadt abgewandten Seite blickt Kahlau zum Turm hinauf, der kein richtiger mehr ist, seit ihn NS-Oberbürgermeister Hans Friedrichs im Zuge seines „Stadtverschönerungsplans“ verkürzen ließ. Es sind Schäden zu sehen, „Risse, die wir jetzt messen lassen“, sagt Kahlau, der nicht glaubt, dass die Risse zu irgendwelchen Problemen führen: „Da liegt ja keine große Last drauf.“ Insgesamt bescheinigt Kahlau dem „Kreml“ einen baulich sehr guten Zustand.

Es könnte Mittagspause sein an einem ersten Sonnentag – alle sind ausgeflogen, aber gleich wieder zurück. An der Anmeldung steht immer noch das Schild mit der Aufschrift „Dienstausweis unaufgefordert vorzeigen!“ Ein „Bitte“ steht da nicht, aber für ihre Höflichkeiten sind die Preußen ja nicht berühmt. Am Treppenhaus weisen Schilder noch den Weg zu den Tagungsräumen der Fraktionen und den Büros der Abgeordneten. Die über 100 Jahre alten Heizkörper in den Fluren sind noch warm – dank einer Niederdruckdampf-Heizung, einer technischen Rarität aus der Bauzeit des Hauses, die immer noch funktioniert.

Auffällig ist die Stille in dem Riesenbau. Plötzlich macht es klack!, der große Zeiger an der Wand macht einen kleinen Schritt und beweist somit, dass die zentrale Uhr im alten Landtag immer noch funktioniert. „Die steht auf der Abschaltliste beim Elektriker“, sagt Kahlau trocken und führt nun in die ehemals heiligen Hallen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Vielleicht geschieht dies nicht ohne Absicht, er hätte ja auch zur FDP-Fraktion führen können, denn die gibt es ja im neuen wie im alten Landtag. Aber bei den Grünen steht noch ein Kopierer auf dem Flur, vielleicht ist es Spekulation, vielleicht aber ist es wirklich Kahlaus Botschaft, die er auf diese Weise übermitteln will: Die Grünen haben noch einen Kopierer im „Kreml“.

Das Gerät ist kein kleines, es wirkt intakt und leistungsstark und es bräuchte mehrere Männer und eine Sackkarre, um es abzutransportieren. Obenauf liegt ein Zettel: „Eigentum Grüne!“ Na also. „Der 31. März ist Stichtag“, sagt Kahlau beiläufig, dann müsste alles raus sein. Das könnte knapp werden für die Grünen und ihren Kopierer. Und weil er schon einmal dabei ist: „Der RBB hat auch noch Sachen da.“ Kahlau deutet an, dass für den Abtransport von Dingen, die nicht zum Inventar und somit dem BLB und damit dem Land gehören, Rechnungen gestellt werden können. Das dürfte allerdings nicht für die Topfpflanze gelten, die bei den Grünen auf einer Fensterbank das Modell für ein prächtiges Stillleben abgeben könnte. Sich aufdrängender Titel des Werkes: „Stiller Schrei nach Wasser.“ Kahlau nimmt sich der welkenden Schönheit bestimmt an: „Jetzt, wo ich sie sehe, gefällt sie mir.“

5500 Gegenstände aus dem Inventar des ehemaligen Landtages suchen nun neue Eigentümer. Mehr als 80 gemeinnützige Vereine haben schon ihr Interesse angemeldet. Doch bevor diese zum Zuge kommen, dürfen Landesbehörden zugreifen. Das Staatliche Schulamt Perleberg hat sich nicht lange bitten lassen: 66 blau bezogene Stühle stehen im Hausflur zur Abholung bereit. Die Tische, Stühle und Schrankwände aus dem Landtagsbau haben teils deutliche Gebrauchsspuren und stammen aus den 1990er Jahren. Die Vereine müssen sich nicht sorgen: „Da bleibt etwas für sie übrig“, versichert Leerstandsverwalter Kahlau.

Höhepunkt und Ziel der Wanderung durch Kahlaus Revier ist der ehemalige Plenarsaal. Die Telefone auf den Sperrholztischen, mit deren Hilfe die Fraktionschefs während der Debatte Kompromisse aushandelten oder sich zur Zigarettenpause verabredeten, sind schon abgebaut. Doch sonst ist alles wie es war, mehr als 20 Jahre lang. Sogar die Namensschilder sind noch dran, noch sieht jeder, wo zum Beispiel Herr Wichmann von der CDU saß. Wenn er das tat, geschah es auf einem mit türkisblauem Stoff bezogenen Stuhl. Kein Leder nirgends. Limburger Charme versprüht das alte Zentrum der Brandenburger Macht an keiner Stelle, manch märkisches Kommunalparlament tagt fürstlicher. Möglich, dass der alte „Kreml“ eines Tages ein Hotel wird. Für diesen Fall gibt Kahlauer schon mal einen Tipp: „Richtig gute Aussicht hat man nur im obersten Geschoss.“

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