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Links und rechts der Langen Brücke: Spätes Erinnern

Guido Berg über die NS-Zeit und die Gedenkstätte Lindenstraße 54

Verblüffend spät ist in dieser Woche der Ausstellungsabschnitt über die Lindenstraße 54 in der Zeit des Nationalsozialismus eröffnet worden. Damit ist die Dauerausstellung der Gedenkstätte komplett, deren Erarbeitung viele Jahre in Anspruch nahm. Deren Macher robbten sich von Zeitvertrag zu Zeitvertrag, von Fördermittel-Antrag zu Fördermittel-Antrag vor. Dass sich für die Zeit zwischen 1933 bis 1945 zunächst kaum Fördermittelgeber fanden, wie die Kuratoren bestätigten, ist erstaunlich. Immerhin tagte in der Lindenstraße das berüchtigte Potsdamer Erbgesundheitsgericht und ordnete die Zwangssterilisation von mindestens 3300 Menschen an. Ab dieser Woche wird nun endlich in einem Ausstellungsraum an diese Verbrechen erinnert. Da muss man einmal gedanklich innehalten: Als der Bundestag die Urteile aller deutscher Erbgesundheitsgerichte mit über 350 000 Opfern 1998 aufhob, war das 53 Jahre nach Kriegsende schon verdammt spät. Erst Mai 2007 folgte dann durch einen weiteren Bundestagsbeschluss die offizielle Ächtung der rassenideologisch motivierten Verbrechen. Doch noch mussten weitere sechs Jahre vergehen, bis nun ein paar – wenn auch gut gemachte und fundierte – Tafeln an die NS-Rassenwahnjustiz erinnern. Bemerkenswert: Laut Hans-Hermann Hertle vom Zentrum für Zeithistorische Forschung (ZZF) hat die reine Herstellung der NS-Ausstellung, die neben dem Erbgesundheitsgericht noch fünf weitere Schwerpunkte behandelt, 120 000 Euro gekostet, die sich Bund und Länder teilen. Also: Da ist eine nicht sehr große Summe bemerkenswert spät geflossen, bedenkt man, was die Historikerin Annemone Christians sagt: Die Lindenstraße 54 ist jetzt deutschlandweit die einzige Gedenkstätte am authentischen Ort eines früheren Erbgesundheitsgerichts. Die Frage nach der Schuld und dem Warum des späten Erinnerns ist berechtigt, aber nicht einfach zu beantworten. Fakt ist, dass die gedenkpolitische Bedeutung der Lindenstraße 54 – anders als bei der Leistikowstraße 1 – in Potsdam viele Jahre lang nicht erkannt bzw. nicht anerkannt wurde. An den Historikern und den Mitarbeitern des Potsdam-Museums, unter dessen Dach die Lindenstraße jahrelang vor sich hindämmerte, lag das nicht. Es ist die Stadtpolitik, die in gedenk- und geschichtspolitischer Hinsicht jahrelang kaum Akzente setzte. Nun soll eine Stiftung für die Lindenstraße 54 gegründet werden, für die Land und Bund zusammen jährlich insgesamt 600 000 Euro aufbringen. Es ist nun sehr wünschenswert, dass es hier nicht zu weiteren Verzögerungen kommt.

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