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Landeshauptstadt: Schulsport, unterirdisch

Neben der Gedenkstätte Leistikowstraße entsteht eine Turnhalle mit Bewegungsraum unter der Erde

Nauener Vorstadt - Im Frühjahr 2014 soll in der Nauener Vorstadt der Bau eines Gebäudes beginnen, das weder gewöhnlich noch unumstritten ist: Ab März wird an der Großen Weinmeisterstraße eine Turnhalle für die Evangelische Grundschule errichtet. Das Besondere: Der Bewegungsraum, so die offizielle Bezeichnung, wird unterirdisch errichtet. „Er muss gemäß Baugenehmigung unter die Erde“, erklärte Frank Hohn, Geschäftsführer der Hoffbauer-Stiftung als Träger der Evangelischen Grundschule, gegenüber den PNN. Grund ist der Schutz des nahen Welterbes sowie die Notwendigkeit, den Schülern auf dem Schulgrundstück genügend oberirdische Spielfläche zur Verfügung zu stellen. „Das ist keine glückliche Entscheidung für uns als Bauherren“, sagte Hohn, „sie ist aber alternativlos.“

Oberirdisch entstehe lediglich ein Lehrgebäude von der Größe eines Einfamilienhauses, in dem sich Unterrichtsräume befinden werden. Eigentlich sollte der Bau bereits vor zwei Jahren beginnen. Dann jedoch meldete sich der Historiker Peter Hild, selbst Vater eines Kindes an der Evangelischen Grundschule, und warnte davor, auf dem Baufeld unmittelbar neben der Gedenkstätte Ehemaliges NKWD-Gefängnis Leistikowstraße könnten sich die sterblichen Überreste von Gefängnisinsassen befinden, die nach 1945 in den Kellern des Geheimdienstgefängnisses getötet wurden. Daraufhin wurde der Bau zunächst verschoben.

Hoffbauer-Chef Hohn erklärte nun, es gebe nirgendwo konkrete Hinweise darauf, dass auf dem Schulareal – früher Parkplatz des Geheimdienstgefängnisses – NKWD-Opfer vergraben wurden. Sollte man dennoch beim Ausheben der Baugrube für die unterirdischen Sporthalle sterbliche Überreste von Menschen finden, werde der Bau umgehend gestoppt. „Wir als kirchlicher Träger wissen, wie mit so einer Situation angemessen umzugehen ist“, versicherte Hohn. Der Bau soll nach Kostenermittlungen von 2010 etwa 1,9 Millionen Euro teuer sein. Die Sprecherin der Hoffbauer-Stiftung, Heidrun Spengler, geht davon aus, dass die tatsächlichen Kosten aufgrund der Preissteigerungen im Bausektor nun etwas höher sein werden. Geplant ist ein unterirdischer Baukörper von 23,5 Metern Länge und einer Breite von 18,90 Metern. 7,65 Meter soll der Bau in die Tiefe reichen. Die Baugenehmigung liegt den Angaben der Hoffbauer-Stiftung zufolge bereits seit März 2010 vor.

Der Vorsitzende des Gedenkstättenvereins, Wolfgang Buchner, glaubt ebenfalls nicht daran, dass auf dem ehemaligen Gefängnisparkplatz Opfer der stalinistischen Verfolgung begraben wurden. Dafür gebe es „keine gesicherten Erkenntnisse“, sagte Buchner den PNN. Der vor drei Jahren in Leipzig verstorbene ehemalige Insasse des NKWD-Untersuchungsgefängnisses an der Leistikowstraße, Reinhard Pöller, habe erklärt, im Keller der Leistikowstraße 2 – heute Schulgebäude – seien Menschen verhört und auch erschossen worden. Es habe dort als Kugelfang eine Matratze gegeben. Dies, so betont Buchner, selbst promovierter Politologe und Autor von Büchern über den Stalinismus und die deutsch-sowjetische Geschichte, „ist nicht dokumentarisch belegt“. Beim Bau des Service- und Eingangsgebäudes, das auch über einen Keller verfügt, seien zumindestens keine Opfer gefunden worden. Buchner mahnt dennoch, bei den Bauarbeiten „mit großer Sorgfalt vorzugehen“. Sollten sterbliche Überreste von Menschen gefunden werden, werde die Hoffbauer-Stiftung sicher angemessen reagieren.

Peter Hild spricht sich indes weiter gegen den Schulneubau aus. Zwar erkenne er an, dass die Schule den Sportraum dringend benötige. Doch dem stehe die Tatsache gegenüber, dass sich in der Nauener Vorstadt das einzige noch fast original erhaltene NKWD-Gefängnis befindet, „wie es weltweit keines mehr gibt“, weder in einem der ehemaligen Satellitenstaaten noch in der früheren Sowjetunion. Zwar seien nach 1994 Zäune und Hecken errichtet worden, in die unterirdische Struktur sei aber noch nicht eingegriffen worden. Durch den Bau würde „ein einzigartiges historisches Ensemble zerstört“, findet Hild.

Dass das Haus Leistikowstraße 1 erhalten wurde und heute Gedenkstätte sein kann, ist ein Verdienst der Evangelischen Kirche. Der Evangelisch-Kirchliche Hilfsverein (EKH) – in der Villa hatte vor 1945 die Evangelische Frauenhilfe ihren Sitz – erkannte die geschichtliche Bedeutung des Objekts. Der EKH sicherte das Haus, entzog es der Verwertung und ermöglichte unter anderem der Organisation Memorial Deutschland e.V., in dem Haus Führungen anzubieten. Heute sitzt der EKH als Grundstückseigentümer im Kuratorium der Stiftung Gedenkstätte Leistikowstraße.

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