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Landeshauptstadt: Revolte am Humboldtring

Den einzigen Ost-Mobilfunkanbieter gibt es noch – dank der Belegschaft

Seit zwei Jahren geht es wieder aufwärts mit der Potsdamer Tangens GmbH. Zwar hat der einzige ostdeutsche Mobilfunkanbieter nur noch 135 000 Kunden – ein Bruchteil von dem, was er kurz nach der Gründung 1999 hatte. Damals telefonierten rund eine Million Menschen nach den Tarifen der Tangens, vor allem in den neuen Bundesländern. Aber immerhin gibt es das Unternehmen mit Sitz in Potsdam noch. Und das obwohl es längst tot gesagt war:

2001 entschlossen sich die Berliner Gesellschafter, Michael und Martin Wegert die Tangens zu verkaufen, so Firmensprecher Jan Junghahn. Dabei sei es der Tangens damals recht gut gegangen, sie sei zahlungsfähig gewesen. Und der Vertrieb der Handy-Verträge über die vorwiegend in den neuen Bundesländern entstandenen Pro-Märkte und die Fotokette, die den Wegert-Brüdern gehörten, schien gesichert. Warum sie die Mobilfunkfirma trotzdem los werden wollten, kann Junghahn heute nicht mehr nachvollziehen und auch bei Pro-Markt konnte niemand diese Frage beantworten. Weil den Wegert-Brüdern die Kaufangebote jedoch zu niedrig waren, beschlossen sie die „ordentliche Abwicklung“. Sie wollten die Tangens schlicht und ergreifend schließen. Ihre damaligen Kunden, die über drei verschiedene Mobilfunknetze telefonierten, mussten sie dafür „an die Netzbetreiber überführen“, so Junghahn. Zwei Betreiber stiegen in die Tarifverträge des Potsdamer Anbieters ein – noch heute kennt Junghahn E-Plus- und Vodafonekunden, die den Yap-Tarif nutzen, ein Produkt der Tangens. Doch einer der Netzbetreiber, die heutige T-Mobile, hatte kein Interesse an den Tangens-Kunden. Und so blieben sie beim Potsdamer Mobilfunkanbieter.

Mitten in dieser Abwicklungsphase – 99 der 150 Potsdamer Angestellten hatten bereits ihren Job verloren – tauchte 2002 doch noch ein Käufer auf: die Regensburger Adori AG. Doch aufatmen konnte die Belegschaft trotzdem nicht. Der neue Eigentümer, der damals am Neuen Markt für Furore sorgte, investierte nicht wie versprochen in die neu erworbene Potsdamer Tochter. Stattdessen unstetes Management, „jeden Monat hat die Geschäftsführung andere Pläne geschmiedet“, so Junghahn. Mal sollte das Mobilfunkgeschäft groß ausgebaut werden, dann sollte plötzlich Funkdienste zum Kerngeschäft werden. Doch es passierte nichts. Fast „zwei Jahre lang herrschte Stillstand“, erinnert sich Junghahn. Und das obwohl andere Mobilfunkanbieter eine Vielzahl ähnlicher Tarife auf den Markt gebracht hatten. Etwas Neues musste her, da war sich die Belegschaft einig. Nachdem die einst von Wirtschaftsmedien hochgelobte Adori AG inzwischen finanziell angeschlagen war, übernahmen die Mitarbeiter im Herbst 2003 selbst das Ruder. „Eine regelrechte Palastrevolte“, sei das gewesen, erzählt Junghahn, der zu dieser Zeit bereits bei Tangens arbeitete. Allen voran sein Kollege Michael Artschwager. Eigentlich war er damals bei Adori für den Netzausbau zuständig gewesen, nun entwickelte er mit den anderen neue Produkte und suchte Kunden dafür – „hinter dem Rücken der Eigentümer“. Auf diese Weise entstand der „Pay to Call“-Tarif speziell für Handykunden, die sich keiner Bonitätsprüfung unterziehen wollen. Die Nutzer können nur eine festglegte Summe vertelefonieren, bekommen aber eine richtige Rechnung. Tangens seien die ersten am Mobilfunk-Markt gewesen, die das anboten – genauso wie die Möglichkeit zu einem Preis in alle Netze zu telefonieren. Bekannt wurden damit aber andere, so Junghahn. Denn die Tangens habe kein Geld für Werbung gehabt. Die Konkurrenz habe die Ideen kopiert und besser vermarkten können.

Als die Adori AG nicht einmal ein Jahr später pleite ging, kauften zwei Privatinvestoren das Potsdamer Unternehmen aus der Insolvenzmasse und Artschwager wurde Geschäftsführer. Zu diesem Zeitpunkt stand Tangens bereits vor der Zahlungsunfähigkeit, das Vertriebsnetz für das eigentliche Hauptgeschäft, die Handyverträge, war zusammengebrochen. Alles hätten sie umkrempeln müssen, so Junghahn. Noch einmal mussten 24 Mitarbeiter gehen.

Mittlerweile hat der 52-jährige Artschwager wieder neue Leute eingestellt: 55 Menschen arbeiten heute im Humboldtring 5. Die meisten von ihnen im firmeneigenen Callcenter. Der neue Geschäftszweig des Unternehmens. Eigentlich sollten die 30 Telefonisten zuerst nur die eigenen Kunden betreuen – rund um die Uhr, 24 Stunden am Tag. Doch die waren nicht ausgelastet und deshalb entschied sich die Tangens, auch Hotlines anderer Firmen zu betreuen. Drei große Kunden haben sie bereits gewonnen. Das Hauptgeschäft werde aber weiterhin im Mobilfunk liegen. Das Potsdamer Unternehmen möchte dabei künftig auch bundesweit mitspielen. Neben dem Internetshop, vertreiben darum 180 Händler in ganz Deutschland seine Verträge. Bald sollen es 300 werden. Vielleicht gibt es irgendwann auch mehr Shops des einzigen ostdeutschen Mobilfunkanbieters. Bisher hat Tangens nur einen kleinen Laden im Erdgeschoss des Firmensitzes. Und während dort Mitarbeiter noch immer „Pay to Call“ verkaufen, sitzt der Ex-Adori-Chef in Untersuchungshaft. Die Staatsanwaltschaft München ermittelt wegen Verdachts der Untreue. Juliane Wedemeyer

Juliane Wedemeyer

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