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Klinikum „Ernst von Bergmann“ in Potsdam.

© Andreas Klaer

Operationen trotz Einnahme von Betäubungsmittel: Potsdamer Klinikum kündigte Chefarzt fristlos

Die Klinikleitung sieht die Patientensicherheit in Gefahr, der Mediziner weist alle Vorwürfe zurück. Die Potsdamer Staatsanwaltschaft ermittelt.

Das kommunale Potsdamer Klinikum „Ernst von Bergmann“ hat einem Chefarzt und einer Oberärztin fristlos gekündigt und erhebt schwere Vorwürfe gegen beide. Die Potsdamer Staatsanwaltschaft ermittelt. Nach einer Strafanzeige des Klinikums aus dem November 2022 sei ein Anfangsverdacht festgestellt worden, sagte der Sprecher der Staatsanwaltschaft Sebastian Thiele auf Anfrage. Ermittelt werde wegen des Verdachts des Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz und gefährlicher Körperverletzung. Die Ärzte gehen arbeitsrechtlich gegen die Kündigungen vor.

Unstrittig ist nach Angaben mehrerer Beteiligter, was vorgefallen ist: Der Chefarzt hat nach Einnahme des Medikaments Oxycodon zwei Patienten operiert. Damit habe er die Patientensicherheit gefährdet, so ein Vorwurf des Klinikums. Weil die Patienten nichts von der Oxycodon-Einnahme des Chefarztes gewusst und dem auch nicht zugestimmt hätten, handele es sich zudem um eine gefährliche Körperverletzung.

Das Oxycodon hat der Chefarzt von der Anästhesie-Oberärztin erhalten, die die OPs begleitete. Der Arzt habe unter Rückenschmerzen gelitten. Das Schmerzmittel, ein Opioid-Analgetikum, in der Wirkung vergleichbar mit Heroin, fällt unter das Betäubungsmittelgesetz.

In einer offiziellen Mitteilung heißt es vom Klinikum, es habe auf das Vorkommnis „rechtlich formal reagieren“ müssen. Nach „Kenntnis des Sachverhalts und der Bewertung der Tatbestände“ habe die Geschäftsführung und Klinikleitung unter Einbeziehung des Betriebsrates „gemeinsam entschieden, die fristlose Kündigung auszusprechen“, so Hans-Ulrich Schmidt, Sprecher der Bergmann-Geschäftsführung. Diese sei zum 30. September 2022 erfolgt. Die Mitteilung ist auch von der Medizinischen Geschäftsführerin und dem Ärztlichen Direktor und seinen zwei Stellvertretern unterzeichnet. Mit der Stellungnahme reagierte das Klinikum auf einen Bericht der „Märkischen Allgemeinen Zeitung“ (MAZ), in dem jeder Hinweis auf staatsanwaltschaftliche Ermittlungen fehlt.

Arbeitsgericht gibt Oberärztin in erster Instanz Recht

Das Klinikum wies darauf hin, dass in den Kündigungsschutzklagen bislang keine rechtskräftigen Urteile ergangen seien. In erster Instanz hatte das Potsdamer Arbeitsgericht allerdings der klagenden Oberärztin Recht gegeben und keine Arbeitspflichtverletzung gesehen, die ihre Kündigung rechtfertige. Das Klinikum habe gegen das Urteil Berufung eingelegt. Die Klage des Chefarztes soll im Juli in erster Instanz vor dem Arbeitsgericht verhandelt werden.

Die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft verliefen unabhängig von arbeitsgerichtlichen Urteilen, wie Sprecher Thiele erklärte. Während am Arbeitsgericht die Parteimaxime gelte - es also den beiden Seiten obliegt, welche Tatsachen und Beweismittel sie einbringen - gehe es der Staatsanwaltschaft darum, „die materielle Wahrheit zu erforschen“, es ermittle der Staat wegen des Verdachts einer Straftat.

Oxycodon wird als „Zwillingsbruder von Heroin“ bezeichnet

Dass es ein Fall für die Staatsanwaltschaft ist, liegt daran, dass Oxycodon unter das Betäubungsmittelgesetz fällt. Der unerlaubte Besitz, ungenehmigte Handel und die Weitergabe von Drogen und Betäubungsmitteln sind Straftaten. Ein Verstoß kann laut Staatsanwaltschaft mit einer Geldstrafe oder Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren geahndet werden.

Oxycodon stillt nach Expertenangaben Schmerzen stärker als Morphin, es macht sehr schnell abhängig, als häufige und sehr häufige Nebenwirkungen werden unter anderem Sedierung, Schwindel, Konzentrationsstörungen, Übelkeit und Tremor angegeben. Ob und welche Nebenwirkung eintrete, sei speziell bei erstmaliger Gabe nicht abzusehen. Oxycodon gilt als maßgeblich ursächlich für die Opioidkrise in den USA, es wird als „Zwillingsbruder von Heroin“ bezeichnet. Auch in Deutschland wird es als Droge illegal vertrieben.

Oxycodon-Tabletten fallen in Deutschland unter das Betäubungsmittelgesetz.

© Foto: AFP/John Moore

Wer Oxycodon bekommt, dem muss es normalerweise auf einem Betäubungsmittelrezept verordnet werden. Im Falle des Chefarztes gab es kein Rezept. Wie aus Angaben von Beteiligten hervorgeht, entnahm die Anästhesistin das Mittel aus dem Medikamentenschrank einer Station. Das gelang allerdings nicht ohne Probleme.

So soll die Oberärztin erst eine Mitarbeitende geschickt haben, das Mittel für den Chefarzt zu holen. Die Verantwortlichen der Station hätten aber die Herausgabe verweigert, weil es sich um ein Betäubungsmittel handelt. Erst, als die Anästhesistin persönlich auf der Station danach gefragt habe, habe sie es bekommen - entgegen der Vorgaben. Das Klinikum wirft der Oberärztin vor, dabei Mitarbeiter eingeschüchtert und ihnen gedroht zu haben. Die Ärztin bestreitet dies.

Ärztin trägt falschen Namen in Dokumentation ein

Dass die Betäubungsmittel auf der Station nur für Patienten bestimmt sind, ist der Oberärztin offenkundig bekannt. Bei der Entnahme des Oxycodons hat sie in die Betäubungsmittel-Dokumentation, in der steht, welches Mittel für wen entnommen worden ist, nicht den Namen des Chefarztes eingetragen, sondern den eines Patienten. Erst später, als die Aufregung um den Fall im Klinikum bereits groß ist, korrigiert sie die Angabe. Laut MAZ hat die Ärztin dazu gesagt, sie habe die falsche Angabe gemacht, „weil ihr kein Fall bekannt gewesen sei, in dem Oxycodon an einen operierenden Kollegen verabreicht worden sei“.

Der frühere Bergmann-Chefarzt besteht trotz allem darauf, dass seine Einnahme von Oxycodon während der Operation zweier Patienten unproblematisch gewesen sei. Es könne keine Rede davon sein, dass er das Patientenwohl gefährdet habe, teilte Marcus Flinder, der Anwalt des Chefarztes, auf Anfrage mit. Es treffe auch nicht zu, dass der Arzt ein Betäubungsmittel zu sich genommen habe.

Dieses Schmerzmittel fällt nur deshalb unter das Betäubungsmittelgesetz, weil es bei häufiger Einnahme eine Abhängigkeit begründen kann. 

Marcus Flinder, Anwalt der Chefarztes

Bei der von der erfahrenen Anästhesistin verabreichten Tablette „Oxycodon Akut 5 mg“ handele es sich um ein Schmerzmittel, was „nur deshalb unter das Betäubungsmittelgesetz“ falle, weil es „bei häufiger Einnahme eine Abhängigkeit begründen kann“, so Anwalt Flinder. Der Arzt habe das Mittel erstmals bekommen, es sei „angesichts seiner körperlichen Konstitution (...) unbedenklich“ gewesen. Patienten erhielten es normalerweise in doppelter Dosierung. Außerdem, so der Anwalt, habe der Chefarzt die Operationen unter Aufsicht der Anästhesie-Oberärztin durchgeführt, sie habe „keine Risiken“ gesehen.

Der Chefarzt sei nach Einnahme des Schmerzmittels schmerzfrei gewesen und habe sich „gut gefühlt“. Er habe daher auch die zweite Operation durchgeführt. Beide Eingriffe - nach Informationen dieser Zeitung elektive Operationen, also keine akuten Notfall-OPs - liefen soweit bisher bekannt ohne Probleme.

Hans-Ulrich Schmidt, Sprecher der Geschäftsführung des Potsdamer Klinikums.

© Andreas Klaer

Dass die Staatsanwaltschaft ermittelt, sei allein in der Strafanzeige des Klinikums begründet, meint der Anwalt. Die darin erhobenen Vorwürfe seien aber „genauso haltlos wie die (...) erhobenen arbeitsrechtlichen Vorwürfe“. Zudem habe das Klinikum die Strafanzeige erst erstattet, nachdem es keine Einigung in einem Gütetermin gegeben habe. Das Klinikum habe „kein adäquates Einigungsangebot“ unterbreitet, sein Mandant sei „Arzt mit Leib und Seele“, er hänge sehr an seiner Tätigkeit im Klinikum und wolle weiter am Bergmann arbeiten.

Das Klinikum gibt an, zu Details öffentlich keine Angaben machen zu können, da es sich um ein laufendes Verfahren handele. Bergmann-Chef Schmidt reagierte jedoch auf in SPD-Kreisen der Stadtpolitik kolportierte Angaben, wonach das ohnehin in finanzieller Schieflage befindliche Klinikum angeblich Rückstellungen in Millionenhöhe gebildet habe für den Fall, dass es die arbeitsrechtlichen Auseinandersetzungen verliere. Schmidt wies dies zurück. Abfindungen würden „nach üblichen Maßstäben technisch festgelegt“, Wirtschaftsprüfer müssten die Grundlage der Berechnung nachvollziehen.

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