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Hören lernen. Die Berlinerin Ursula Schröter trainiert mit Logopädin Gabriele Günther den Umgang mit dem CI-System.

© Manfred Thomas

Landeshauptstadt: Elektroden im Innenohr

Aktionstag der Oberlinklinik: Wie Ursula Schröter mit einem Cochlea-Implantat das Hören wiedererlernt

Babelsberg - Ist das Gerät ausgeschaltet, ist es völlig still um Ursula Schröter. Die 72-jährige Berlinerin lächelt die Logopädin Gabriele Günther an und scherzt: „Sie können mich ruhig beschimpfen, ich höre nichts.“ Am Hörtherapiezentrum der Oberlinklinik in der Tuchmacherstraße soll sich das jedoch ändern. Ursula Schröter lernt dort das Hören auf völlig neue Weise. Doch der Weg zum akustischen Verstehen ist alles andere als leicht.

Gut gehört hat die Soziologin nie. In den 1990ern half zunächst ein normales Hörgerät, ab 2009 begannen die Ohren, die Geräte abzulehnen, sie waren ständig entzündet, auch ein Mittelohr-Implantat half nicht mehr. Im Februar 2012 wurde Ursula Schröter ein Cochlea-Implantat (CI) eingesetzt, eine Hörprothese, die Taube wieder hören lässt, insofern der Hörnerv intakt ist. Die Technik „hat die Welt der Hörgeschädigten stark verändert“, sagt Friederike Wagner, Ärztin an der Oberlinklinik, dem einzigen Zentrum im Land Brandenburg, das Träger von Cochlea-Implantaten betreut: „Das Ohr ist das einzige Sinnesorgan, das ersetzt werden kann.“ Nunmehr kommen nicht mehr nur Taube, sondern auch Schwachhörende in den Genuss der CI-Technik, so die Ärztin. Informationen über Chancen und Risiken – Gesichts- und Geschmacksnerv drohen bei der Operation beschädigt zu werden – können Interessierte am Samstag in der Oberlinklinik anlässlich eines bundesweiten Aktionstages zum Thema Hören mit Cochlea-Implantat erhalten.

Cochlea bedeutet auf griechisch „Hörschnecke“. Das CI-System besteht aus zwei Teilen, von denen eines am Kopf, und eines im Kopf getragen wird. Im Ohrbereich des Kopfes wird das Implantat eingepflanzt. Ursula Schröter berichtet von einer vierstündigen Operation unter tiefer Narkose. „Ich habe Wochen gebraucht, um mich von der Narkose zu erholen“, sagt sie. Die über 600 Implantat-Träger, die von der Oberlinklinik betreut werden, wurden im Unfallkrankenhaus Marzahn oder am Virchow-Campus der Charité Berlin operiert. Die Krankenkassen übernehmen die Kosten. Clou der Technik ist ein sehr feiner, gummiartiger Träger von Stimulationselektroden – er ähnelt einem sich an einem Ende kringelnden Hirtenstock – der in die Hörschnecke im Innenohr eingeschoben wird. Die Elektroden geben das Hörsignal an den Hörnerv ab, der ihn zum Gehirn leitet.

Über der Kopfhaut trägt Ursula Schröter ein Bauteil, ähnlich einem Hörgerät, dass aus einem Mikrofon, einem digitalen Sprachprozessor und einer Sendespule mit Magnet besteht. Die Sendespule befindet sich über der Kopfhaut, eine Empfangsspule unter der Kopfhaut. Die Signalübertragung zwischen beiden Spulen erfolgt mittels Hochfrequenzwellen, die die Kopfhaut durchdringen.

Das Hören mit dem CI-System ist etwas ganz anderes als das, was Menschen mit intakten Ohren erleben. Logopädin Günther erinnert sich an Implantat-Träger, die sagten, ihre Stimme höre sich an wie die von Micky Maus oder als käme sie aus einer Blechbüchse. Von „sphärischen Klängen wie aus einem Science-Fiction-Film“ wird berichtet. Kein Wunder, ersetzen doch 24 Elektroden die etwa 30 000 bipolaren Nervenzellen in der Hörschnecke. Ein Klavier und eine Gitarre sind für den Implantat-Träger nicht zu unterscheiden. So erklärt sich auch der Satz, den Gabriele Günther sagt, als sie für Ursula Schröter eine CD abspielt: „Das klingt jetzt wahrscheinlich schrecklich – das ist Musik.“ Gabriele Günther hat auch taube Menschen vor sich, die noch nie eine menschliche Sprechstimme gehört haben und diese zunächst nur als Schnarren wahrnehmen. Ursula Schröter vernahm zuerst nur „ein unangenehmes Krächzen“. Es hat lange gebraucht, „bis der Kopf den Schall verarbeiten kann.“ In der 19. von 20 Sitzungen mit der Logopädin versteht sie indes alle ihr vorgespielten Sätze und auch Silben, die hochfrequente S-Laute enthalten. Nun, sagt Ursula Schröter, kann sie sogar wieder an Soziologie-Kongressen teilnehmen: „Ich will hören, an welchen Stellen ich protestieren muss.“ Von einem Seminargruppentreffen berichtet sie: „Ich habe noch nie so gut gehört, wie es den anderen geht.“ Ursula Schröter: „In meinem Fall hat sich die Operation gelohnt.“

Das Hörtherapiezentrum im Oberlinhaus, Tuchmacherstraße 49, informiert am Samstag, 8. Juni, von 10 bis 12 Uhr über das Hören mit Cochlea-Implantaten.

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