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Die „Waschbar“ in der Geschwister-Scholl-Straße heutzutage.

© Ottmar Winter PNN

Die Vielfalt der Kioske: Die Geschichte der Potsdamer Waschbar

Ein Kiez-Treffpunkt im Pavillon-Stil: Bauhistoriker Thomas Sander machte seine Zuhörer:innen mit der Historie der heutigen Kneipe vertraut – kenntnisreich und unterhaltsam.

Vor der Bezeichnung „Schandfleck’“ warnt Thomas Sander: „Damit sollte man vorsichtig sein“, sagt der Bauhistoriker. Weshalb er so denkt, wurde in dem Vortrag deutlich, den der Potsdamer am Donnerstagabend in der Waschbar in der Brandenburger Vorstadt gehalten hat. Kenntnisreich und humorvoll entführte der studierte Architekt über 60 Zuhörer in die wechselhafte Geschichte der heutigen Kneipe in der Geschwister-Scholl-Straße.

Architektonisch betrachtet ist die Waschbar ein Pavillonbau, erklärte Sander. Diese Bauten waren beliebt für die kleinen Kiez-Treffpunkte, die man heute Späti, Kiosk oder Büdchen nennt. Der Pavillonbau, der heute die Waschbar beherbergt, ist nach Sanders Recherchen im Jahr 1931 erbaut worden. Hier ließ sich zunächst auch kein Kiosk, sondern die Molkerei Karl Bolle nieder. „Von rund 3000 denkmalgeschützten Gebäuden in Potsdam sind bloß sechs Pavillonbauten“, sagte Sander. Die heutige Waschbar ist eines davon. Dabei würden die auf den ersten Blick unscheinbaren Gebäude einen spannenden Blick in die Stadtgeschichte bieten, so der Potsdamer Bauhistoriker, der auch an der hiesigen Fachhochschule studiert hat.

Bau- und Sozialgeschichte kann man nicht voneinander trennen.

Thomas Sander, Denkmalpfleger

„Bau- und Sozialgeschichte kann man nicht voneinander trennen“, sagte Sander den PNN. „Die Büdchen haben zwar oft ein Schmuddelimage, aber es sind Orte des städtischen Lebens, die man aus keiner Großstadt wegdenken kann“, findet er. Die Kioske würden sich zwar eher selten fürs Stadtmarketing eignen, doch sie seien authentische Orte der Zusammenkunft. Gerade das mache sie interessant.

Das Gebäude der heutigen Waschbar - rechts im Anschnitt - im Jahr 1939.

© POTSDAM MUSEUM / Potsdam Museum

„Allerdings waren die Buden den Mächtigen oft ein Dorn im Auge“, so Sander in seinem Vortrag. Ein absurdes Beispiel hierfür war General Hans Friedrichs, von 1934 bis 1945 Oberbürgermeister von Potsdam, NSDAP-Mitglied und erklärter Kiosk-Feind: Der Nazi-OB, von Zeitgenossen als „Friedrich der Kleine“ verspottet, ließ zahlreiche dieser Verkaufsstellen umsetzen, wenn sie seinen Vorstellungen des Stadtbilds widersprachen – ganz gleich, ob Geld für diese Maßnahmen da war oder nicht. Das Gebäude der heutigen Waschbar überstand den Zweiten Weltkrieg, blieb aber nach Kriegsende offenbar geschlossen, berichtete Sander. Erst 1963 siedelte sich hier wieder eine Konsum-Verkaufsstelle an.

Authentische Kiez-Geschichten aus der Vergangenheit

Für die Recherche zu dem Vortrag wühlte Sander sich durch städtische Archive, alte Fotografien und Adressbücher und andere Quellen. Dabei stieß er auf zahlreiche Kiez-Geschichten, die zwar nichts direkt mit der heutigen Waschbar zu tun hatten, aber einen authentischen Eindruck vom Alltag in Potsdam-West vermitteln: So stieß er auf Berichte über eine Lebensmittel-Verkäuferin, die – so wurde es zumindest erzählt – Kinder Schnaps holen geschickt hat, wenn diese bei ihr Milch kaufen wollten. Auch gegenüber der älteren Kundschaft soll die Dame einen eher ruppigen Umgang gepflegt haben. „Wobei man sagen muss: Ein Großteil der Verkäufer in solchen Läden sind natürlich nicht alkoholisiert gewesen, auch nicht zu DDR-Zeiten“, sagte Sander mit einem Augenzwinkern.

Nach der Wiedervereinigung ist das Gebäude der Waschbar zunächst 1992 von der Potsdamer Handelskontor eG übernommen worden. 2003 eröffnete Klaus Kühn die bis heute bestehende Kiez-Kneipe. 2021 hat Jeremias Schmidt, der hier jahrelang als Kellner gearbeitet hat, den Betrieb übernommen.

Für die zahlreichen Stammgäste der Waschbar ist die Kneipe im Pavillonbau bis heute ein wertvoller Treffpunkt. „Es hat sich zwar viel verändert, aber es bleibt halt ein lebendiger Kiez, und die Waschbar ist hier mittendrin“, sagt eine Stammgästin. Was sie besonders freut: Zum Vortrag von Sander hat sie auch viele neue Gesichter in ihrem Stammlokal gesehen. „Das ist ein Ort, um nach der Arbeit mit anderen zusammen die Schnauze zu halten – oder Mist zu erzählen“, sagt sie lachend.

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