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Potsdamer Konferenz: Delikatessen für den Genossen Stalin

Wo Josef Stalin während der Potsdamer Konferenz wohnte: 15 Zimmer mit Aussicht, Fernmeldezentrale und ein Extra-Gleis. Die sowjetischen Besatzer bereiteten Stalins Aufenthalt akribisch vor.

Potsdam - Die Geschichte der Stalin-Villa spiegelt sich in den wechselnden Straßennamen wider. Aus Kaiserstraße wurde Straße der SA und schließlich bis heute Karl-Marx-Straße. Nummer 27 ist seit 1994 Sitz des Bauindustrieverbands Berlin-Brandenburg. Das historische Erbe ist dem Haus von außen nicht anzusehen: Im Sommer 1945 wohnte Stalin hier, während er zur Potsdamer Konferenz in der Stadt weilte. Höchstens der graue, dem Denkmalschutz geschuldete Farbton des Hausputzes, der in auffälligem Kontrast zu den schick sanierten Nachbarhäusern steht, gibt einen Hinweis. Und natürlich eine Informationstafel – das Wort Gedenktafel scheint etwas fehl am Platz.

1910 bis 1911 wurde die Villa Herpich, wie sie auch heißt, nach Plänen des Architekten Alfred Grenander für den Unternehmer Paul Herpich gebaut. Der führte ein Pelz- und Modewarenhaus in Berlin, die Familie konnte sich ein luxuriöses Anwesen am Griebnitzsee leisten. Der einstige repräsentative Schick des Hauses ist, trotz heutiger moderner Nutzung als Büro- und Tagungsgebäude, noch gut zu erahnen. An ihren wohl prominentesten Bewohner, den russischen Staatschef Josef Stalin, erinnert nichts mehr – außer jede Menge Fotos, die ihn, Truman und Churchill auf dem Balkon zur Seeseite stehend zeigen.Im Haus selbst gibt es so gut wie kein Originalinventar mehr. Nur Buffet und Schrank im einstigen Speisezimmer stammen von Familie Herpich, haben also auch Stalin überlebt. Und das Parkett ist original, und die textile Wandbespannung nach dem Original wiederhergestellt. Das war Glück, die Textilmanufaktur in Plauen existierte noch, nach fast 100 Jahren. Was auch immer Stalin hinterlassen hatte, verschwand spätestens 1953 nach dessen Tod.

"Stalin-Villa" zunächst eine Pilgerstätte für sowjetische Soldaten

Bis dahin soll es eine Art Pilgerstätte, ein Ehrendenkmal für den angebeteten Diktator, gewesen sein. Freilich zunächst nur für sowjetische Soldaten: Öffentlich zugänglich war das Haus erst ab Mitte der 1950er-Jahre, sagt Denkmalschützer Jörg Limberg. Dann wurde die Villa von der Akademie der Staats- und Rechtswissenschaften und später der Hochschule für Film und Fernsehen genutzt. Hier hatte auch Lothar Bisky, bis 1989 Rektor, sein Büro. Nach der Wende bekamen die Erben der Familie Herpich Haus und Grundstück zurück und verkauften an den Bauindustrieverband. Familie Herpich floh im Sommer 1945 mit dem Nötigsten. Nur wenige Stunden Zeit ließ man ihnen zum Packen. Dann begannen die Vorbereitungen der Russen für Stalins Einquartierung. Insgesamt 62 Babelsberger Häuser wurden für Begleitpersonal und Logistik gerüstet. Am 2. Juli war alles bereit, NKWD-Chef Berija meldete nach Moskau: „ große Villa für Genossen Stalin, 15 Zimmer, offene Veranda Fernmeldezentrale vorhanden. Angelegt wurden Vorräte an Wild, Geflügel, Delikatessen und Nährmitteln und Getränken.

Sämtliches Personal ist aus Moskau. Zur Sicherung sind 7 Regimenter NKWD-Truppen und 1500 Mann aus dem operativem Bestand eingeteilt “ Es war ein immenser Aufwand, der für den Aufenthalt von Stalin in Potsdam betrieben wurde. Dazu kam die Anreise. Stalin hatte Flugangst und panische Furcht vor Attentaten. Also reiste er im eigenen Sonderzug. Die gesamte Strecke, 1923 Kilometer, war von Truppen abgesichert. Stalin ließ sich sogar eine dritte Schiene ins Gleisbett nageln, damit er mit seinem gepanzertem Zug in russischer Spurbreite nach Potsdam durchfahren konnte.

Anwohner durften nicht aus dem Fenster schauen

Am 17. Juli um 11 Uhr Moskauer Zeit, die im Sommer kurzerhand auch für die russische Besatzungszone galt, kam er auf dem Hauptbahnhof an und stieg in ein Auto um. Dann ging es durch menschenleere Straßen. Den Anwohnern war es verboten, aus dem Fenster zu schauen, wenn diese nicht sogar mit Brettern zugenagelt waren.

Die Bevölkerung bekam auch ohne Radio oder Zeitung mit, dass die drei Großen nach Potsdam kamen. Zeitzeugenberichte schildern die Umstände, mit denen sie in der russischen Besatzungszone und während Stalins Besuch lebten. Wer in der Nähe der besetzten Häuser lebte, musste zusehen, wie überall Posten auftauchten, ganze Straßen mit Bretterzäunen abgeriegelt wurden, manch Garten bei der Minensuche – man hatte Angst vor Anschlägen – umgepflügt wurde.

Russen hätten in Siegerlaune gehaust

Gerade die Russen, so der Denkmalschützer Jörg Limbach, hätten ganz in Siegerlaune gehaust. Man nahm sich, wonach es einem gelüstete, auch in Potsdam wurde vergewaltigt und geplündert. Da mutet es fast harmlos an, was Hanna Griesebach in dem Buch „Potsdamer Tagebuch“ schreibt: „Die Posten im Garten schlagen aus Langeweile unter Lärm und Gelächter das unreife Obst von den Bäumen und verschlingen es gierig. Fünfzig Pfund herrliche Aprikosen sind dahin! Die wohlgenährte Soldateska das wenige rauben zu sehen, was uns zur Nahrung dienen sollte, versetzt mich in ohnmächtige Wut.“ Und weiter: „Inzwischen war Ende Juli herangekommen. Das ständige ,Dawei-Dawei’ oder ,zuhrick’ und ,Na Haus’ der Posten wird uns lästig. Endlich, am 2. August, hören wir Flugzeuge, am Tage darauf ziehen die Posten ab, ganze Lastautos mit grünbemützter russischer Polizeitruppe setzen sich in Bewegung. Wir sind erleichtert “ Im Neubabelsberg blieben die Russen dennoch vorerst weiter wohnen. Es gab ja auch keinen der ursprünglichen Anwohner mehr, die wieder zurückgewollt oder -gekonnt hätten. Schon gar nicht die, die unter den Nazis jüdisches Eigentum übernommen und arisiert hatten.

Der Denkmalschutz sorgt heute dafür, dass das schöne Haus mit möglichst vielen originalen Details erhalten bleibt. Dazu gehört auch Kurioses. In der eleganten Eingangshalle ragt ein kleiner messingfarbener Metallstutzen mit Deckel aus der Wand. Axel Wunschel, Geschäftsführer des Bauindustrieverbands, lässt Besucher manchmal raten, wozu man den wohl brauchte. Selten raten die Gäste richtig. „Das ist ein Anschluss eines zentralen Staubsaugers“, sagt Wunschel. „Familie Herpich wusste, wie man kostbare Teppiche pflegt.“

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