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Homepage: Choreografie des Untergangs

Militärhistoriker betrachtet „Wehrmacht und Niederlage“: Kleinkrieg, Einzelkämpfertum und Fanatismus

Militärhistoriker betrachtet „Wehrmacht und Niederlage“: Kleinkrieg, Einzelkämpfertum und Fanatismus Von Jan Kixmüller Schon lange vor dem Ende des Zweiten Weltkrieges wussten weder Hitler noch seine militärischen Berater, wie sie den Krieg, wenn schon nicht erfolgreich, so doch zu einem für Deutschland erträglichen Ausgang bringen sollten. Zu diesem Schluss kommt der Historiker Andreas Kunz in seinem Buch „Wehrmacht und Niederlage“, das gerade in der Schriftenreihe des Militärgeschichtlichen Forschungsamtes Potsdam (MGFA) erschienen ist. Der Kampf der Wehrmacht sei schon seit 1943 keiner rationalen Logik, keinem politischen oder strategischen Kalkül mehr gefolgt. „Die strukturellen Defizite des nationalsozialistischen ,Führerstaates’ ließen der Eigendynamik des Krieges einen unkontrolliert freien Lauf in den nationalstaatlichen Untergang“, schreibt Kunz in der umfassenden Untersuchung, die gleichzeitig sein Dissertation ist. Am Ende habe Regime- und Wehrmachtführung ein Kriegführung kultiviert, „die im Zeichen von Kleinkrieg, Einzelkämpfertum und Fanatismus stand“. Der operativ-taktischen Kriegsführung sei es zwar wiederholt gelungen, die Lage der einzelnen Kriegsschauplätze zu konsolidieren: „Doch auf der politisch-strategischen Ebene herrschte Ratlosigkeit“. Hitlers ideologisch motivierter Eroberungs- und Ausrottungskrieg zeichnete sich vor allem auch durch Irrationalität aus. Niemand aus der Führungsriege wagte, dem Diktator, der Staatschef und Oberbefehlshaber der Streitkräfte in seiner Person vereinte, das militärische Scheitern vor Augen zu führen. Wie Kunz schreibt, unternahm offenbar nur Generaloberst Alfred Jodl, erst im Herbst 1944, den zaghafte Versuch, Hitler zum Friedensschluss zu drängen. Nach einer knappen Abfuhr ging der Chef der Wehrmachtsführung wieder zum Tagesgeschäft über. Ein gemeinschaftlicher Schritt der Männer um Hitler habe nicht stattgefunden, so Hitlers Architekt und Rüstungsminister Albert Speer beim Nürnberger Kriegsverbrecherprozess. Niemand habe dem Diktator gesagt, dass der Krieg verloren ist. Was Hitler durchaus zu wissen schien. Doch trotz der Einsicht in die militärische Ausweglosigkeit tendierte Hitler zu permanenter Radikalisierung – nach Innen wie Außen. Kunz sieht hier auch einen Zusammenhang mit der Vernichtung des europäischen Judentums, die Hitler zu einem persönlichen Anliegen, zur „historischen Mission“ geworden sei. Nicht zufällig sei die Intensivierung und Radikalisierung des Genozids mit der strategischen Desillusionierung der deutschen Führung zusammengefallen: „Dem militärisch Aussichts- und damit auch Sinnlosen ließ sich mit der Erfüllung dieser selbsterkorenen Aufgabe ein Sinn verleihen.“ Schließlich schloss die Hypothek des Holocaust einen Kompromissfrieden mit den Alliierten aus. „Es gibt kein Entrinnen mehr“, schrieb Goebbels im März 1943 in sein Tagebuch. Was ihn nicht weiter störte. Denn ein Volk, das alle Brücken hinter sich abgebrochen habe, kämpfe „erfahrungsgemäß sehr viel vorbehaltloser“. Stets auf Selbstinszenierung bedacht, ging es Hitler in den letzten zwei Kriegsjahren auch um eine „Choreographie des Untergangs“. Die Führerbefehle zur Zerstörung der eigenen Infrastruktur sprechen Bände. „Wo schon ein militärischer Sieg nicht mehr im Bereich des Möglichen lag, ging es Hitler darum, den Krieg auf seine Weise zu verlieren, die spätere Generationen erschauern ließe“, schreibt Kunz. In seinem engeren Umfeld habe der Diktator dies allerdings verborgen und Siegeszuversicht gezeigt. Hitlers Umfeld wiederum habe es versäumt, die wiederkehrenden Verweise auf geschichtliche Analogien oder Behauptungen es Diktators von Kausalketten in Tischplaudereien, Monologen und Lagebesprechungen zu hinterfragen: „Statt dessen wurde begierig nach jedem Strohhalm gegriffen.“ Andreas Kunz widerlegt in seinem Buch auch den zählebigen Mythos einer Wehrmacht, die bis zum Schluss eine dominierende Kampfkraft besaß. Vielmehr falle es spätestens 1945 schwer, überhaupt noch von „der“ Wehrmacht zu sprechen. Der Historiker macht eine Atomisierung des Krieges und eine Auflösung der militärischen Strukturen aus: „Das Chaos erfasste alle Ebenen der militärischen Führungsorganisation.“ Durch die zunehmenden Verluste von Offizieren habe eine hohe Fluktuation in der militärischen Leitung eingesetzt, mit den entsprechenden Folgen für die Kriegsführung. Die Untersuchung wirft nun dieFrage auf, wieso in diesem Zustand überhaupt noch weiter gekämpft wurde. Die Antwort ist ebenso mannigfaltig, wie die Stimmung der Soldaten und der militärischen Leitung. Kriegsfortgang, Ideologie und persönliche Motivationen verbanden und überlagerten sich zum Kriegsende derart, dass keine einfachen Antworten möglich sind. Kunz verfolgt mehrere Stränge, die den Fortgang der Kampfhandlungen erklären. Zum einen „die Entschlossenheit des Parteiapparates, die Organisation des Krieges nicht mehr dem Militär zu überlassen“. Der Historiker spricht von der Durchbrechung des Gewaltmonopols der Wehrmacht durch das Regime: „Die Überlegung der NS-Spitze drehten sich seit Sommer 1944 allein um die Frage, wie sich die Existenz ihrer Herrschaft verlängern ließ“. Des weiteren führt Kunz auch den Druck des Unrechtsregimes an. Nicht nur, dass sich die sozialdarwinistische Logik des NS-Staates nun auch gegen die Soldaten selbst richtete: das Abwenden oder Aufgeben führte zum inneren Konflikt mit der Überzeugung, dass der stärkere siegt. Auch führt die Untersuchung genügend Beispiele an, dass Fahnenflüchtige oder auch nur verloren gegangene Soldaten sofort von der SS hingerichtet wurden. Das Regime versuchte die Verweigerung von Soldaten mit direkten wie auch subtilen Maßnahmen zu unterdrücken. Etwa mit einer Meldung im eingeschlossenen Brest, dass die Namen aller Überläufer in die Heimat gefunkt würden. Letztlich sei der Krieg, neben aller Verzweiflung und Panik unter den zurückweichenden Truppen, für viele Militärs auch zur Normalität geworden. Zur Stimmung der Soldaten stellt der Historiker fest, dass es hier kein einheitliches Bild geben kann: Fragmentierung, Eigendynamik und Auflösung der Wehrmacht in „Klein und Nahmillieus“ charakterisieren die letzten Monate. Dass Andreas Kunz dabei stark auf zeitgenössische Quellen zurückgegriffen hat, hebt sein Doktorvater Prof. Bernd Wegner hervor. Gerade in Zeiten der Gedenktage sollten die Historiker sich wieder auf die Quellen besinnen. Der renommierte britische Historiker Eric Hobsbawm hatte erst unlängst auf einer Tagung im Potsdamer Einstein Forum betont: „Trauen Sie nicht der Erinnerung der Zeitzeugen, sie dekonstruiert und rekonstruiert sich dauernd selbst. Lernen Sie stattdessen kritisch die Quellen lesen.“ Andreas Kunz hat eine hochinteressante Untersuchung vorgelegt, die mit ihrer These der weitgehend Desintegration des Militärs den Blick auf das Kriegsende revidieren könnte. Die Betonung der Verlagerung von militärischer Verantwortung auf die NS-Spitze bleibt allerdings streitbar. Ein Blickwinkel, der sich mit der Bemerkung des MGFA-Chefs Dr. Hans Ehlert im Vorwort deckt, die Mehrheit der Deutschen habe das NS-Regime geduldet und erduldet. Dass hier ein differenzierterer Blick nötig ist, wird derzeit allenthalben diskutiert. Nicht zuletzt zeigen gerade viele Quellen in der vorliegenden Publikation, dass auch im Militär die Irrationalität des Vernichtungsregimes stellenweise mitgetragen wurde. „Wehrmacht und Niederlage. Die bewaffnete Macht in der Endphase der nationalsozialistischen Herrschaft 1944 bis 1945“, Andreas Kunz, Oldenbourg Wissenschaftsverlag, ISBN 3-486-57673-9.

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