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In Stein gemeißelte Mutterschaft. Noch heute steht diese Skulptur vor dem ehemaligen Lebensborn-Heim Klosterheide.

© KB

Landeshauptstadt: „Bring’ mir ja kein uneheliches Kind“

Keine Wohlfahrts-, keine Zuchtanstalt: Katherine Biesecke vom Babelsberger Oberlinhaus schrieb ein Buch über den SS-Verein „Lebensborn“. Die Autorin interviewte betroffene Frauen und stellt klar, was die rassenideologische NS-Organisation nicht war

Das weckte ihre historische Neugier: Katherine Biesecke wurde zu DDR-Zeiten in Fürstenberg geboren und wuchs unweit der Mauern des ehemaligen Frauen-Konzentrationslagers Ravensbrück auf. „Ich wollte immer wissen: Was ist hinter dieser Mauer?“ Teile des Geländes wurden nach 1945 durch die Sowjetarmee genutzt. Erst nach 1993 gehörte das Areal hinter der Mauer zur Gedenkstätte.

Jahre später ist die wissbegierige Frau leitende Angestellte im Potsdamer Oberlinhaus, heute arbeitet sie als stellvertretende Geschäftsführerin des Kompetenzzentrums für Taubblinde. Doch ihr Interesse an der Zeit des Nationalsozialismus und dem Schicksal von Frauen und Müttern zwischen 1933 und 1945 ist hellwach. So beginnt sie, sich für den 1935 durch SS-Chef Heinrich Himmler aus rassenideologischen Motiven gegründeten Verein „Lebensborn e. V.“ zu interessieren. Sie recherchiert, findet Zeuginnen dieser Zeit und fasst ihre Ergebnisse in einem Buch zusammen: „Der Lebensborn. Frauen zwischen Mythos und Macht“.

In großen Textpassagen gibt die Autorin die Interviews wieder, die sie mit vier Zeitzeuginnen führte. Darunter ist auch eine Frau aus Potsdam, die beim „Lebensborn“ in Norwegen arbeitete, unter anderem als Standesbeamte. Zwei Frauen berichten von der Entbindung ihrer Kinder in Lebensborn-Heimen, wie dem in Klosterheide bei Lindow (Ostprignitz-Ruppin). Eine weitere Frau, mit der Katherine Biesecke sprach, ist 1939 selbst in einem Lebensborn-Heim zur Welt gekommen. Sie sagt: „Wenn der Krieg gewonnen worden wäre, dann wäre ich eine Elitefrau geworden.“ Ferner skizziert Katherine Biesecke die Geschichte des NS-Vereins anhand der vorhandenen Literatur und eigener Archiv-Recherchen.

Wichtig ist der Potsdamer Autorin die Betonung dessen, was der Verein „Lebensborn“ nicht war. In vielen Köpfen herrscht immer noch der Mythos vor, die Lebensborn-Heime seien SS-Zuchtanstalten gewesen, in denen gemäß der NS-Rasseideologie blonde, blauäugige, also „arische“ Maiden mit strammgewachsenen „SS-Zuchtbullen“ elitäre Kinder zeugten. Dazu Katherine Biesecke im PNN-Gespräch: Ideen dieser Art mag es gegeben haben, „aber es ist bis heute nicht nachweisbar, dass es eine gezielte Zusammenführung von Frauen und Männern gab“. Die Tatsache, dass die Lebensborn-Heime oft am Rande kleiner Orte lagen, dort Frauen mit Kindern wohnten und dort SS-Uniformierte aus- und eingingen, mag die Fantasie der Menschen beflügelt haben. In der Tat aber war der Verein, deren Zentrale sich in München befand, auf Anweisung Himmlers gegründet worden, um außerhalb der Ehe schwanger gewordenen Frauen einen diskreten Ort für die anonyme Entbindung zu geben – und auf diese Art die zu dieser Zeit von Frauen in Zwangslagen oft gewählte illegale Abtreibung zu verhindern. In diesem Zusammenhang stellt die Autorin klar: „Der Lebensborn-Verein war keine karitative Einrichtung“, auch wenn die Frauen, die sie interviewte, von einer, aus ihrer Sicht guten und schönen Zeit im SS–Entbindungsheim berichten. In die Heime aufgenommen wurden nur Frauen, die sowohl für sich als auch für den Kindsvater einen „Arier“-Nachweis bis ins Jahr 1800 erbringen konnten, die also „guten Blutes“ waren. Eine Zeitzeugin: „Um in dieses Heim zu kommen, mussten wir nachweisen, dass kein jüdisches Blut in der Blutbahn ist.“ Die Motive Himmlers, eines der Hauptverantwortlichen des Holocaust, sind eindeutig. Er will künftige Soldaten für das kriegsführende Deutschland, er will, wie er bekundet, dass „allein durch diese bevölkerungspolitische Maßnahme in 18 bis 20 Jahren 18 bis 20 Regimenter mehr marschieren.“

Doch das ist es nicht allein. Himmler sieht „Lebensborn“ als „Pendant zu den staatlich sanktionierten Sterilisations- und Vernichtungsprogrammen“, wie Katherine Biesecke schreibt. Deutlich wird dies in dem von der Autorin verwendeten, entlarvenden Himmler-Zitat, wonach „Lebensborn e. V.“ überall dort aktiv werden solle, „wo es gilt, unserem Volk wertvolles Leben zu erhalten. Denn wenn schon der Staat heute den mit Erbkrankheiten behafteten Teil des Volkes von der Fortpflanzung ausschließt, so muss auf der anderen Seite jedes erbgesunde Leben guten Blutes gefördert und um jeden Preis erhalten werden“. Von der Fortpflanzung ausschließen hieß zunächst Zwangssterilisation, durchgesetzt unter anderem am Potsdamer Erbgesundheitsgericht. Ausschließen hieß aber auch die Ermordung von sechs Millionen Juden im Holocaust. Deutlich setzt sich Katherine Biesecke von einem Nürnberger Prozess-Urteil von 1948 ab. Die alliierten Richter kamen zu dem Schluss, dass der „Lebensborn e. V.“ eine „Wohlfahrtseinrichtung und in erster Linie ein Entbindungsheim“ war, was heute allgemein als Fehlurteil gilt, da die Beteiligung des SS-Vereins an der Tötung behinderter Kinder nun bekannt ist.

Der besondere Wert des Buches liegt in der Darstellung der sehr persönlichen Erzählungen der Frauen. Unehelich schwanger geworden, nahmen sie die einzige Hand an, die sich ihnen reichte. Zwei Zitate umreißen die Notlage: „Meine Mutter sagte: ,Um Gottes Willen, bring’ mir ja kein uneheliches Kind!“ Und: „In dem Moment, wo Sie versucht hätten, ein Kind abzutreiben, wären Sie unweigerlich ins KZ gekommen.“

Katherine Biesecke, „Der Lebensborn. Frauen zwischen Mythos und Macht“, 183 Seiten, ISBN 978-3-8370-3919-1, Books on Demand, 14,95 Euro.

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