zum Hauptinhalt

Landeshauptstadt: Als Raissa für Helmut Blumen pflückte

Wie die Deutsche Einheit durch das „Fenster der Möglichkeiten“ schlüpfte – darüber sprach Helmut Kohls Berater Horst Teltschik am Montag in Potsdam

Zu sagen „Zeitgeschichte ist Geschichte, die noch raucht“, wäre im Rückblick auf die friedliche Revolution 1989 das falsche Bild. Es brannte ja nicht, es wurde nicht gefeuert. Doch das heißt offenbar nicht, dass nicht noch Rechnungen offen sind: Als sich am Montag über hundert Menschen älteren Semesters in einen Hörsaal auf dem Campus am Griebnitzsee drängten, um bei einem Vortrag des ehemaligen Kanzlerberaters Horst Teltschik (CDU) dabei zu sein, ereignete sich folgender Dialog: „Warum geht es nicht vorwärts? Machen die Leibesvisitationen am Eingang?“ Die Antwort eines älteren Herren: „Ja, damit niemand ihm noch nachträglich etwas antun kann “

Teltschik, ehemals Berater von Bundeskanzler Helmut Kohl, referierte über „Schritte zur deutschen Einheit – der Durchbruch im Juli 1990. Das große Finale zwischen Michael Gorbatschow und Helmut Kohl im Kaukasus“. Damals gab der sowjetische Staatschef Gorbatschow sein Einverständnis für die Deutsche Einheit – bei voller Souveränität einschließlich einer NATO-Mitgliedschaft des vereinten Deutschlands. Eindrucksvoll schilderte Teltschik, wie sich im Frühjahr 1990 ein „Window of Opportunity“, ein Fenster der Möglichkeiten, für die deutsche Diplomatie öffnete. Die Chance währte kurz, im August 1990 begann der erste Irak-Krieg und „von diesem Augenblick an haben sich die Amerikaner nicht mehr auf uns konzentriert“. 329 Tage dauerte es vom Mauerfall am 9. November 1989 bis zur deutschen Einheit am 3. Oktober 1990. „329 Tage“, so lautet auch der Titel eines Buches, das Teltschik über die „Innenansichten der Einigung“ schrieb. Freilich war das enorme politische Tempo jener Tage nicht nur vom Wissen um die historische Chance getrieben. Teltschik: „Die Menschen in der DDR haben das Tempo bestimmt. Sie wollten nicht abwarten, sie zwangen uns, zu handeln.“

Ausführlich ging Teltschik auf die Vorgeschichte des Durchbruchs im Kaukasus ein. Hier nur einige Interna: Nachdem Egon Krenz als Honecker-Nachfolger an die SED-Spitze kam, rief dieser Kohl an. Teltschik: „Es war gerade so, dass er Helmut Kohl nicht geduzt hat.“ Von der SPD kam die Forderung, Kohl möge sich mit Krenz treffen, der Bundeskanzler lehnte ab. Warum? Weil aus Moskau der Hinweis kam, Krenz werde den nächsten Parteitag politisch nicht überleben – „Die SU hat uns gewarnt.“ Auch Hans Modrow, Nachfolger von Krenz, der sich mit Kohl in Dresden am 19. Dezember 1989 traf, kommt bei Teltschik nicht gut weg: „Ich hatte das Gefühl, der kann’s nicht.“ Statt zu sagen, was er machen will, liest er einen langen Politbüro-Beschluss vor, irgendwas mit „Frieden und Eierkuchen“. Den 15-Milliarden-DM-Kredit, den Modrow von Kohl haben wollte, bekam er nicht. Modrow wollte im Westen Konsumgüter kaufen, um der Bevölkerung zu zeigen „seht her, die DDR entwickelt sich“, berichtete Teltschik, „aber nicht mit unserem Geld!“

Im Januar 1990 sagte der Sowjetchef alle Staatsbesuche ab. Ruhe in Moskau. Teltschik traf später Ex-UdSSR-Außenminister Eduard Schewardnadse und fragte: Was war da los? Antwort: Das Politbüro diskutierte, die DDR militärisch abzuriegeln, die Grenzen wieder zu schließen.

Am 10. Februar trafen sich Kohl und Gorbatschow. Unerwartet sagte der KPdSU- Chef: „Das ist jetzt eine Sache der DDR und der BRD, zu entscheiden, ob, wann und wie sie sich vereinen wollen.“ Teltschik: „Mir lief ein Schauer über den Rücken, ich wusste, ich erlebe Geschichte.“ Ein Fünf-Milliarden-Kredit für die klamme Sowjetunion sowie ein bilateraler Sicherheits-Vertrag – vorgeschlagen vom Osteuropa-Experten Boris Meissner – ebneten den Weg in den Kaukasus, in das Heimatdorf von Gorbatschow. Als dort Raissa Gorbatschowa für Kohl einen Blumenstrauß pflückte, „da wusste ich, die Gespräche werden erfolgreich sein“.

In der Fragerunde wurde deutlich, woher der Unmut einiger über den Lauf der Geschichte kommt. Frage: „Warum der Abschied von den ostdeutschen Ländern? Warum die Anerkennung der Oder-Neiße-Grenze?“ Dazu Teltschik: Helmut Kohl ist wie alle Bundeskanzler vor ihm von der Endgültigkeit der Oder-Neiße-Grenze ausgegangen, deren völkerrechtliche Anerkennung mit der Deutschen Einheit erfolgen solle.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false