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Landeshauptstadt: „Alles muss friedlich sein!“

Potsdamer mit ukrainischen Wurzeln verfolgen die politischen Umwälzungen in der alten Heimat mit besonderer Emotionalität

In der ukrainischen Hauptstadt Kiew brennen Barrikaden und Menschen sterben bei den Kämpfen zwischen Demonstranten und der Polizei. Potsdamer mit ukrainischen Wurzeln schauen in diesen Tagen via Fernsehen oder Internet mit großer Sorge nach Kiew; sie kennen die Straßen und Plätze, auf denen gekämpft wird, sie kennen vielleicht sogar Menschen, die auf dem Kiewer Maidan dabei sind. „Eine Bekannte demonstriert mit“, berichtet die Musiklehrerin Svitlana Vekshtein und fordert alle Seiten zur Mäßigung auf: „Alles muss friedlich sein!“

Mithilfe gleich vier ukrainischer Sender informiert sich die junge Frau, was in ihrer alten Heimat passiert. Der Präsident hätte früher Neuwahlen ansetzen sollen, noch bevor es zur Eskalation mit den zahlreichen Toten kam, sagt sie mit zitternder Stimme.

„Das Volk hat das Recht, zu demonstrieren“, findet Ludmilla Losanskaja, die seit 22 Jahren in der Bundesrepublik lebt. Für sie ist das Geschehen der letzten Tage furchtbar. Es sei typisch für ein Drittweltland, dass der Regierungschef derart auf seinem Stuhl klebt. Würden in Deutschland die Massen gegen Kanzlerin Merkel demonstrieren, wäre es unvorstellbar, dass dann Tausende Polizisten kommen, um auf die Menschen einzuprügeln. Die 62-Jährige denkt, lebte sie noch in der Ukraine, „würde ich auch auf den Maidan gehen“. Die Mitarbeiterin der Berlin-Brandenburgischen Auslandsgesellschaft (BBAG) e.V. befürchtet, dass sich die Ukraine in zwei Teile spalten könnte, „wie in Jugoslawien“, in eine West- und eine Ostukraine. Im Westteil seien die Menschen sehr nach Europa orientiert, dort werde Ukrainisch gesprochen. Der östliche Landesteil sei dagegen stark pro-russisch. „Es gibt große Mentalitätsunterschiede“, sagt die Potsdamerin.

Der Riss geht nicht nur durch das Land, sondern auch durch manch eine Familie. Vitalij Spak kam als Neunjähriger nach Deutschland und studierte später Psychologie in Potsdam. Sein Großvater väterlicherseits ist der in der Ukraine bekannte Philosophie-Professor Wolodimir Spak, der Bücher schreibt mit Titeln wie „Ukraine: Vom russischen Kommunismus zur europäischen Union“ oder „Die Philosophie unserer Geschichte“. Vor wenigen Tagen noch ist der 84-Jährige weltoffene und extrem belesene Mann auf den Maidan gegangen und verteilte dort seine Bücher. Das Hauptargument des Großvaters für einen konsequenten pro-westlichen Kurs sei die Hoffnung auf Demokratie und das Argument, „Putin beutet die Ukraine nur aus“, erklärt der junge Mann, der in Potsdam als Coach und an einer Berliner Hochschule als Dozent für Persönlichkeitspsychologie arbeitet. Die Großmütter mütterlicherseits von Vitalij Spak wohnt dagegen in einem Dorf in der Ostukraine und sei „sehr pro-russisch geprägt“. Vitalij Spak hält die Tatsache, dass bis vor der nun erzielten Einigung von Oppostionellen und Regierung sogar Scharfschützen eingesetzt wurden, die im wahrsten Sinn des Wortes gezielt Demonstranten erschossen, für „eine krasse Entwicklung“. Dass dies in einem europäischen Land vorkommt, hätte zwar niemand gedacht, doch „die menschliche Psyche ist doch überall gleich“.

Der junge Potsdamer verschafft sich einen Überblick über die wahre Lage vor Ort in der Ukraine, in dem er das Bild, welches die offiziellen Medien zeichnen, mit den Informationen abgleicht, die er von Freunden im Land bekommt. Die deutschen Medien haben seiner Ansicht nach zu lange Schwarz-weiß-Malerei betrieben und „die Komplexität erst spät erfasst“. Es gebe natürlich auch gewaltbereite Gruppen unter den Demonstranten, die rechten Strömungen zuzurechnen seien und sehr nationalistische Ziele verfolgten, „anders als das Klitschko-Lager“. Selbst wenn Präsident Janukowitsch zurücktritt, blickt Vitalij Spak in die Zukunft, „wird die real-existierende Zweiteilung des Landes bleiben“.

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