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Landeshauptstadt: Alles ist Veränderung

Letzte Beschlüsse im „Kreml“: Brandenburgs Landtag kam zum letzten Mal vor dem Umzug ins Landtagsschloss auf dem Brauhausberg zusammen. Eindrücke und Wehmutsäußerungen am Ende einer Ära

Keine Kontrollen. Der Pförtner ist sogar überrascht, dass er vom Gast angesprochen wird. Der „Kreml“, wie der Brandenburger Landtag auf dem Brauhausberg bei den Potsdamern heißt, ist am Tag der letzten Plenarsitzung vor dem Umzug ins neue Landtagsschloss ein offen zugängliches Haus. „Das wird sich ändern“, meint Stefan Schwartz, Mitarbeiter der Linksfraktion, der früh um neun seine Kaffeemaschine startet. An seiner Tür zeigt ein Aufkleber, was er von dem Umzug nach unten in Potsdams Mitte hält. „Schluss mit Schloss!“ steht darauf; doch das Stadtschloss steht und ist künftig auch Arbeitsstelle für diejenigen, die das so nicht wollten. Andere äußern sich an diesem Freitag positiver, doch alle scheint eine große Sorge zu einen: Werden sie am neuen Parlamentssitz auch einen Parkplatz bekommen?

Doch Leben ist Veränderung. Das verdeutlicht selbst die kleine Bilderausstellung im Flur der Linksfraktion, von der Schwartz meint, dass das im neuen Haus wohl auch nicht mehr ginge, einfach so mal Bilder aufhängen. Die Fotos zeigen den im August verstorbenen ehemaligen Linksparteichef Lothar Bisky mit zahlreichen Weggefährten. Auf einem Foto steht Bisky mit Landtags-Freunden vor einer Wand aus gestapeltem Kaminholz und einer Stalin-Büste aus Gips. Dabei sind der ehemalige SED-Funktionär Heinz Vietze, der 2000 bei einem Autounfall ums Leben gekommene Politiker Michael Schumann und der letzte DDR-Innenminister Peter-Michael Diestel, der ein T-Shirt mit einer Werbeaufschrift des Autoherstellers „Daewoo“ trägt. Aber alles ist Veränderung, selbst die Daewoo-Autos heißen längst Chevrolet.

Der Kreml, bis 1989 Sitz der SED-Bezirksleitung, ist 1899 bis 1902 auf Weisung Kaiser Wilhelm II. als Königlich-Preußische Kriegsschule errichtet worden. Im Flur der SPD-Fraktion hängt eine Uhr von der Decke, die noch aus der SED-Zeit stammt, die Aufschrift „RFT“ verrät den DDR-Hersteller. „Sie ging immer pünktlich“, sagt der parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Fraktion, Mike Bischoff. Der Mann ist Elektroniker; er versteht etwas davon. Die Uhr, sagt er, „ist eine gute, handgemachte Sache, die muss man konservieren“. Er lacht und scherzt, ja, er hätte sie am Ende vielleicht sogar mitgehen lassen, die Uhr, aber jetzt, da seine kleine Affinität zu dem Zeitmesser sogar in die Zeitung kommt, ginge das natürlich nicht mehr

Der erste Tagesordnungspunkt der letzten Sitzung betrifft eine Verfassungsänderung. Der Begriff „Rasse“ soll aus der Landesverfassung gestrichen werden und da sind sich alle Fraktionen im Prinzip einig. Hans-Peter Goetz (FDP) aber ist froh, dass die Verfassung von der rot-roten Koalition nicht allein geändert werden kann. Er nutzt seine Rede, um Benjamin Franklin zu zitieren: „Wer Freiheit für Sicherheit aufgibt, wird beides verlieren.“ Ein Vertreter der Sorben und Wenden raubt in seiner Rede Illusionen hinsichtlich der Wirkungsmacht der Verfassung in Sachen Minderheitenschutz: Die Abbaggerung des Sorbendorfes Horno zeige, „dass Verfassungsregelungen auch ins Leere laufen können“.

Im neuen Haus, unten, in der Stadtmitte, wird auch die Arbeit der Journalisten eine andere sein. In einem Presseraum – „der Begriff Büro wäre ein zu großes Wort“ – sitzt als einziger Matthias Kraus, Korrespondent des Neuen Deutschland, das frühere „SED-Zentralorgan“ und heute noch der Linkspartei, nun ja, nahestehend. An der Wand hängt eine Karte des ehemaligen Bezirkes Potsdam und die hing auch schon dort, als Kraus 1991 auf den Kreml kam. Damals waren sie noch zu dritt, jetzt ist Kraus „der letzte Verbliebene“ des ND. Der Umzug vom Brauhausberg in die Mitte läuft bei ihm unter der Überschrift „Der Runtergang“, mit „R“, immerhin. Was waren das für Zeiten in diesem Burgbau: „Hier können Sie direkt in die Fraktionen gehen“, da unten, im Schloss, da wird es, sagt Kraus, „so wie in Fort Knox“: Die Türen sind verschlossen und ohne Eintrittserlaubnis, gespeichert auf einem Transponder, bleibe das auch so.

Eine Stenografin, die ihren Namen lieber nicht sagen wollte, befürchtet „beengte Verhältnisse“ im neuen Haus. Ihre Kollegin Ilona Hachenberg sieht das nicht ganz so, ihr gefällt das Landtagsschloss. In ihrem Büro steht ein Ficus Trinova, ein mit viel Liebe gepflegtes Prachtexemplar von einem Feigenbaum. Sie entscheidet, „den schneide ich einfach zurück, der geht mit runter“. Dass sie und ihre Arbeit, das Anfertigen der Sitzungsprotokolle, mal durch ein Spracherkennungs-Software abgelöst werden könnte, glaubt sie nicht. Die Systeme könnten nicht erkennen, „wo der Beifall herkommt“, zum Beispiel.

In der Kantine ist die Lage arbeitsmäßig gesehen brenzliger. Im neuen Haus kocht ein anderer Caterer, der 61-jährige Küchenmeister Gerald Hintz wird arbeitslos. „Am 20. Dezember ist hier Feierabend“, sagt er und betont, dass er auch eine einfache Anstellung als Koch annehmen würde, „Hauptsache Arbeit“, und wenn es nur für sechs Stunden am Tag ist. Sein Team, mit dem er 22 Jahre lang dafür sorgte, dass die Abgeordneten nicht mit leerem Magen votieren müssen, sei vom Caterer im Landtagsschloss übernommen worden. Auch seine Frau Elke Hintz. Nur er nicht, der Pächter der Landtagskantine auf dem Brauhausberg. Es waren „22 Jahre Zuverlässigkeit mit hohem Anspruch“ schreibt Hintz auf einem Flyer, gerichtet an „Liebe Essenteilnehmerinnen und Essenteilnehmer“, mit dem er ankündigt, das seine Kantine am 12. Dezember zum letzten Mal öffnet. Für 25 Jahre, für „eine Silberhochzeit mit dem Landtag“, hat es nicht gereicht, nicht für Gerald Hintz.

Ein Sicherheitsmann in der Pforte weiß schon, dass er mit ins neue Domizil geht und es ist ihm recht: „Arbeit ist Arbeit.“ Ein anderer Mitarbeiter der Landtagssicherheit weiß allerdings, dass sie im Landtagsschloss nicht mehr so viele wie ihn brauchen werden. Der Grund: Das neue Gebäude sei kompakter, nicht so verwinkelt und keine Tür öffne sich ohne Chipkarte. Ein Streifzug durch das Haus wie dieser sei dann nicht mehr möglich.

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