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Landeshauptstadt: Abschied von Michael, der weiß, dass einen Manta A und einen Manta B Welten trennen

Zehn Jahre nach der Eingemeindung herrschen auf der Insel Neu Fahrlands Natur und Verfall. Doch die Zeichen kommender Entwicklung mehren sich

Moment mal? Stand da nicht gerade ein blankgeschmirgeltes Bond-Car mit frischer, brauner Antirostfarbe in dem abrissreifen Schuppen? Aber ja, tatsächlich! Ist da wer? „Hallo!?“ Keine Antwort. Alles still. Und doch muss es Leben geben auf der Neu Fahrländer Insel, denn da steht aufgebockt die räderlose Karosse eines Sportwagens. Die hat nicht irgendjemand vergessen, den Flitzer baut hier jemand in aller Stille von Grund auf neu auf, das scheint schon mal klar.

Wenige Schritte weiter. Nochmal: „Hallo?“ Da regt sich was, da, hinter einer Ecke, steht ein Renault Twingo und aus diesem steckt ein Mann sein freundliches Gesicht und will wissen: „Was gibts?“ Dann steigt er aus und stellt einen Kochtopf auf dem Fahrersitz ab, aus dem der Hals einer Gabel ragt und auf dem die Aufschrift „Soljanka“ steht. Es riecht gut nach Gulasch.

Er heißt Michael, sagt er. Nachname ist egal. Nur soviel: Er ist Bademeister in Berlin und Freizeit-Schrauber. Und ihr? Von der Zeitung? Dann schreibt mal, das hier – die alten Schuppen auf der Neu Fahrländer Insel „mit dem allerletzten DDR-Charme“ – ist ein Refugium gewesen für eine kleine, eingeschworene Schrauber-Gemeinschaft. Ein Paradies! Aber vorbei! So gut wie. Im Sommer, „da schwamm hier der Biber und um seinem Kopf flog der Eisvogel“. Aber vorbei, seit sie hier den Sacrow-Paretzer-Kanal ausbauen. Man müsste Greenpeace verständigen, sagt er. Wo sind sie hin, der Biber, der Eisvogel? Vorbei. Auch ihn werde es hier bald nicht mehr geben, im Januar müsse er weg sein, hätten sie gesagt. Bis dahin will er die beiden Autos fertig haben, die er hier aufmöbelt. Kein Bond-Car, das eine, kein Aston Martin, aber immerhin ein Opel GT.

Michael will ihn noch einmal zeigen, den guten Freizeitort seiner letzten zehn Jahre. Da stehen Stühle und Tische, und da, ein Grill. Ein Campingwagen parkt unter einem alten Vordach. Boote am Ufer. Diverse Feuerstellen. Sie müssen hier viel Spaß gehabt haben, seitdem diese Schuppen leer stehen, vielleicht schon seit der Wende. „Das war hier mal ein Geheimtipp“, sagt der Berliner. Im Winter hätten sie eine Halle unter Wasser gesetzt und Eishockey gespielt. „Aber vorbei, vorbei“.

Unter einem baufälligen Schutzdach steht ein altes Kran-Auto aus früher DDR-Produktion neben dem Wrack eines Bootes mit der Aufschrift „Orion“. Auch das will Michael noch zeigen: Auf einer Lagerfläche liegen Betonfertigteile, „DDR-Formplatten“, wie Michael sagt, ein kompletter Fertigteil-Konsum.

Er hat nicht viel Zeit. Er muss fertig werden mit den Autos. Michael geht in eine weitere Garage, in dem noch so ein edles Stück steht, die Karosse eines Opel Manta. „Das waren noch Autos“, sagt Michael und beginnt, den alten blauen Lack mit feinem Sandpapier abzuschmirgeln. Ähm, der Manta ist doch jetzt kein Traumauto oder so ? Michael schaut auf, in seinem Gesicht flackert Skepsis auf ob soviel Unwissenheit. Aber er verzeiht und erklärt: „Das ist ein Manta A, kein Manta B, kein Bauern-Manta. Das ist der Vorgänger.“ Die Autos, die danach kamen und noch kommen, „sind nur noch Schrott“. Keine Originalität, nichts Eigenes, alle zum Verwechseln ähnlich. Manche sagen, der Twingo werde mal eine Design-Ikone sein, aber das zeige die Zukunft.

Hier, auf der Neu Fahrländer Insel, wo wohl irgendwann schicke Wohnungen am Wasser entstehen, ist für ihn alles Vergangenheit. Vorbei. Schreiben Sie ruhig, sagt Michael, „hier geht ein kleiner Lebensabschnitt zu Ende“. Er hat zu tun, die Autos müssen fertig werden. Darum verabschiedet er sich, Michael, Nachname ist egal.

Eine junge Frau betritt die westliche Inselhälfte, sie wohnt gegenüber, in einem neuen Wohnhaus auf der Ostseite. Sie parke ihr Auto hier, sagt sie, doch der Stellplatz sei ihr gekündigt worden zum Ende des Jahres. Das deckt sich mit dem, was Michael, der Schrauber, erzählt hat. Und es deckt sich auch mit dem, was Neu Fahrlands Ortsvorsteherin Carmen Klockow andeutete, wonach es womöglich bald Neuigkeiten geben könnte von der Insel Neu Fahrland. Die junge Anwohnerin hofft noch, dass ihr Parkplatz womöglich doch halbjährlich verlängert werden könnte. Ansonsten, sagt sie, lebt es sich gut in Neu Fahrland, es sei sehr ruhig und die Anbindung an den öffentlichen Nahverkehr gut. Kurze Zeit später setzt sie sich in einen weißen Mercedes und prescht davon in Richtung Innenstadt.

Am Ufer der östlichen Inselseite liegen zwei große Wohnboote vor Anker, eines davon heißt laut Aufschrift „Havellady“. Bauarbeiter sind gerade dabei, zwei große Bootsschuppen zu sanieren, wobei sanieren ein zu großes Wort ist, „wir machen nur winterfest“. Der dies sagt ist ein älterer Mann mit Schiffermütze und einem Akzent, der nach Küste klingt. Der Audi älteren Baujahres, den Hubertus Weissert auf dem Gelände parkt, trägt ein Stader Kennzeichen. Im Gegensatz zu Michael aus Berlin wird Weissert eine Zukunft haben auf der Insel, denn das Grundstück, auf dem seine Bootsschuppen stehen, gehört ihm. Weissert hat Pläne, seine Schuppen sind der Sitz des Vereins „Wassersport Potsdam International“ und eines Tages, sagt Weissert, der aussieht wie ein wettergestählter Bootsmann, werden sie vom Wannsee herübergesegelt kommen, um an der Insel anzulegen. Warum hier? Weissert schmunzelt und verrät das Geheimnis seines künftigen Erfolgs: „Weil Sie von Wannsee bis hierher durchsegeln können, ohne auch nur einmal den Mast umlegen zu müssen.“

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