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Udo Weberchen ist seit 26 Jahren Vorsitzender des Kleingartenvereins „Pfingstberg e.V.“.

© Andreas Klaer

100 Jahre, 238 Parzellen, drei Waschbären: Potsdamer Kolonie „Am Pfingstberg“ feiert Jubiläum

Das Interesse am eigenen Garten ist seit Jahren wieder groß. Die Kolonie „Am Pfingstberg“ nimmt keine neuen Anfragen mehr an. Am Wochenende wird die Gründung vor 100 Jahren gefeiert.

Der meiste Betrieb in der Kolonie „Am Pfingstberg“ herrscht gerade in den Kirschbäumen. Zahllose Stare habe es auf die reifen Früchte abgesehen. Auch die knallroten Johannisbeeren müssen im Wettlauf mit den Vögeln schnell gepflückt werden. Gerade jetzt im Sommer sind die allermeisten der 238 Parzellen der Anlage ein Anziehungspunkt für Mensch und Tier. Zu den eher ungebetenen Gästen gehören Waschbären. Denn die fressen einfach alles. „Ich habe drei Waschbären in einem Kirschbaum sitzen sehen“, sagt Udo Weberchen, seit 26 Jahren Vorsitzender des Kleingartenvereins.

Am Wochenende feiert die Kolonie ihr 100-jähriges Bestehen. Dann bleiben Stare und Waschbären nicht mehr unter sich. Auch wenn der Start am Freitag eher nass ausfiel, versprechen Sonnabend und Sonntag viel Sonnenschein und Unterhaltung für zahlreiche Gäste. Rund um die Gaststätte „Zum Laupenpieper“ sind nicht nur Vereinsmitglieder willkommen. Beim Frühschoppen am Sonntag wird es dann auch politisch.

Weiterhin seien Kleingartenflächen in Potsdam bedroht, sagt Udo Weberchen. Mit dem weiteren Wachstum der Stadt lasse auch das Interesse nicht nach, Gärten in lukratives Bauland umzuwandeln. In der Sparte „Am Pfingstberg“ ist das Thema nicht neu. 1991 habe der damalige Stadtbaudirektor Richard Röhrbein mit einem neuen Flächennutzungsplan alle Gärten am Pfingstberg „platt machen“ wollen. „Schon 1964 unter Ulbricht gab es Pläne hier zu bauen“, erinnert sich Weberchen, der auf eine lange Familientradition in der Kolonie zurückblicken kann. Seine Großmutter übernahm 1924, ein Jahr nach der Gründung, eine Parzelle am Dahlienweg, die dann an den Sohn, später an den Enkel ging.

Dass Parzellen und Lauben „vererbt“, also an Verwandte weiter gegeben werden, sei üblich. Aber Jahr für Jahr wechseln auch zehn bis 15 Parzellen die Besitzer. Wer dann zum Zuge kommt, hat in der Regel schon lange gewartet. „Wir haben die Warteliste geschlossen“, sagt Weberchen. 70 Namen stehen auf der Liste. Das Interesse am eigenen Garten nehme seit einigen Jahren wieder zu. Vor allem während der Pandemie stieg die Nachfrage sprunghaft.

Rund um die Gaststätte „Zum Laubenpieper“ wird am Wochenende das 100-jährige Bestehen der Kolonie „Am Pfingstberg“ gefeiert.

© Andreas Klaer

Ein Kleingarten bot während des Lockdowns Freiraum. Nach Angaben des Kreisverbands Potsdam der
Garten- und Siedlerfreunde (VGS) ist das Interesse bei allen Mitgliedsvereinen groß. Allein in Potsdam gehören dem VGS 72 Vereine an. Hinzu kommen 46 Sparten im Umland. Zusammen verfügen sie über 5300 Parzellen. Lange Wartelisten gebe es in fast allen Vereinen, sagt VGS-Geschäftsstellenleiter Christian Peschel. Auf die Frage, ob die hohe Nachfrage dazu führt, dass für Lauben überhöhte Abschlagszahlungen verlangt würden, sagt Peschel lediglich: „Das ist uns im Detail nicht bekannt.“

Der RBB hatte im April berichtet, dass bis zu 80.000 Euro Abschlag für eine Laube verlangt würden. Einige Laubenpieper versuchen offenbar von der großen Nachfrage zu profitieren. So etwas würde die sozialen Aspekte der Kleingärten untergraben, sagt Weberchen. Die niedrige Pacht von zehn Cent pro Quadratmetern solle es auch Menschen mit geringem Einkommen ermöglichen, eine Parzelle zu beackern.

Hier könnte es eine reiche Ernte geben. Mindestens ein Drittel der Gartenfläche muss für den Anbau von Obst und Gemüse genutzt werden.

© Andreas Klaer

Doch auch am Pfingstberg seien schon überzogene Abschlagszahlungen verlangt und kassiert worden. Normalerweise schätzt eine Prüfkommission des Vereins den Wert einer Laube, deren Grundfläche grundsätzlich maximal 24 Quadratmeter messen darf. Im vergangenen Jahr sei eine Laube zum Doppelten des Schätzpreises weggegangen. „Ich sage dann den Käufern, dass sie den Preis beim Weiterverkauf sicherlich nicht wieder erzielen werden“, so Weberchen.

Doch der unterschiedliche Einsatz von Kraft und Geld ist den Gärten durchaus anzusehen. Da stehen alte DDR-Lauben recht romantisch im Schatten von Apfelbäumen hinter blühenden Rabatten oder neue Schwedenhäuser mit Hochbeeten aus Fertigbausätzen und nagelneuen Holzpforten. „Klein Sanssouci“ nennt Weberchen einen dieser herausgeputzten Gärten. Ein paar Meter weiter ist außer einem Pool wenig anderes im Garten zu sehen.

Bienen freuen sich gerade auch über blühenden Lavendel.

© Andreas Klaer

Das große Interesse hat den Wandel in den Gärten verstärkt. Früher ging es in den Parzellen darum, eine ordentliche Ernte einzufahren: Frische Erdbeeren und Tomaten naschen, mit der Zucchini und dem Salat im Fahrradkorb nach Hause fahren, Marmelade aus Beeren kochen und im Herbst Birnen einwecken. „Heute wollen viele Leute ihren Garten nur für die Erholung“, sagt Weberchen. In einigen Parzellen wachsen deshalb mehr Blumen als Kohlrabi. Wo der Schatten spendende Obstbaum zu viel Arbeit macht, wird er gefällt.

Ein Garten voller Rosen und Kirschen in der Kolonie „Am Pfingstberg“ in Potsdam.

© Andreas Klaer

Dennoch gelte weiterhin die bundesdeutsche Kleingartenverordnung, betont der Vorsitzende: Mindestens ein Drittel der Fläche muss für Obst- und Gemüseanbau genutzt werden, höchstens je ein Drittel dürfen Laube und Rasenfläche in Anspruch nehmen. Schließlich entstanden Kleingärten aus der Idee der Selbstversorgung. Am Pfingstberg drückt der Vorstand bei seinen Kontrollen aber auch mal ein Auge zu, wenn die Regeln nicht penibel eingehalten werden.

Mit dem Interessenwandel verbunden sei auch der Verlust von Gemeinschaftssinn, so der Vorsitzende. Einige Kleingärtner ziehen sich lieber auf ihre Grundstücke zurück. Wenn zu Arbeitseinsätzen aufgerufen wird, bleibt die Beteiligung oft überschaubar: eine Entwicklung, die auch andere Vereine kennen.

„Es hat sich in den vergangenen Jahr viel verändert“, sagt Vorstandsmitglied Eckhard Lück und nennt einen positiven Aspekt. Das Bewusstsein für die Natur sei größer geworden. So gebe es in fast jedem Garten mindestens ein Insektenhotel. In der Parzelle von Marlies Wieczorek fliegen Wild- und Honigbienen gerade auf Bartnelken, Rittersporn, die ersten Taglilien und die letzten Mohnblüten. Überall summt es. Die Gartenbesitzerin pflückt einen Nelkenstrauß und berichtet von der Ernte. Der Apfelbaum hängt voll. „Wie jedes Jahr“, sagt sie. Im Herbst werde daraus Gelee gekocht. Einiges hat sich auch in 100 Jahren am Pfingstberg nicht verändert.

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