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Landeshauptstadt: Europa auf dem Silbertablett

Schule der Tafelkultur: Junge Gastronomen kochen und servieren in Potsdam

Innenstadt – „Bonjour, guten Tag!“ begrüßt der Kellner die Gäste im Hotelrestaurant Mercure. Ihm zur Seite der Koch, elegant mit blütenweißer Mütze: „Bonjour Mademoiselle!“ Nanu? Vergessen ist die etwas traurige Potsdamer Mitte vor der Tür. Für einen Moment glaubt man sich im Ort versetzt, oder sogar in der Zeit. Gibt es das heute noch? Hotels, die ihr Personal aus aller Herren Länder rekrutieren? In denen am Ende sogar internationale Gäste am Frühstückstisch auf Französisch plaudern?

Nein, das hier ist nicht der Alltag. Oder doch, aber nur für sechs Wochen. So lange nämlich sind Rafal Ignatowicz und Henry Baillet Praktikanten im Hotel Mercure. Sie sind zwei von insgesamt 30 Teilnehmern der „Europäischen Gastronomischen Schule der Tafelkultur“ und lernen in der Praxis, wie man in Europa spricht, isst, trinkt, kocht und serviert. Nach zehn Wochen Grundausbildung im französischen Château-Chinon absolvieren die Schüler je ein sechswöchiges Praktikum in Frankreich, Spanien, Deutschland und Italien. In diesem Fall sorgt also das Hotelpersonal für kosmopolitisches Flair.

Potsdam ist nach Frankreich und Spanien die dritte Station in dem modernen Wanderjahr. Das berufsbildende Gymnasium François Mitterrand, das den gastronomisch-kulinarischen Europa-Lehrgang organisiert, hat das hiesige Oberstufenzentrum Johanna Just zur Partnerschule. Die internationalen Gastronome arbeiten heuer unter anderem in der Meierei am Neuen Garten, im Landhotel Golm und im Best Western Parkhotel.

Rafal kommt eigentlich aus Polen. Der 19-Jährige trägt einen Anstecker an der Weste: „Ich lerne noch“. Er hat seine Kellnerausbildung für das Europajahr unterbrochen. Englisch spricht er, Französisch, ein bisschen Deutsch. Das hat er im zehnwöchigen Crashkurs zu Beginn des Programms gelernt. Aber es sei schwer mit der Sprache, sagt er. Der einzige Nachteil. Ansonsten findet er alles durchweg klasse. Henry ist Franzose, 21 Jahre alt und ausgebildeter Koch. Er spricht gut Deutsch und Englisch und lacht gerne. Befragt nach den Besonderheiten der deutschen Gastronomie kommt die Antwort ohne Zögern: „Bier!“. Erst nach längerem Überlegen fällt dem Küchenmeister ein typisch deutsches Gericht ein: Kartoffelpuffer. Es sei eine Erholung in Deutschland zu sein, nach den Monaten in Spanien, meint er. Wieso? „Die hygienischen Zustände in der Küche dort waren furchtbar.“ Henry verzieht nachträglich das Gesicht. Mercure-Hoteldirektor Antoni Knobloch lächelt. Er sei zufrieden mit seinen beiden neuen Mitarbeitern. Sein Hotel nimmt zum ersten Mal an dem Programm teil. Zufrieden seien auch die Gäste. „Wir haben öfter internationales Publikum“, sagt Knobloch. Da sei der Austausch-Kellner auch schon mal als Dolmetscher eingesprungen. Der Hotelchef freut sich natürlich, mit so polyglotten Mitarbeitern aufwarten zu können. Außerdem bringen die etwas frischen und internationalen Wind in die eigene Küche, findet Knobloch.

Und warum haben sich die jungen Gastronomen für das Programm entschieden? „Bessere Zukunftschancen“, meint Rafal. „Definitiv“, stimmt Henry zu. Der quirlige Koch hat genaue Zukunftspläne: Nach dem Europajahr will er nach England. Am besten bei einer großen Hotelkette anfangen, dann sei es einfacher, ins Ausland zu wechseln. Eine ganze Reihe Länder steht noch auf seiner Wunschliste: „Mit 30 will ich in Japan kochen. Am liebsten Sushi. Das ist mein Traum.“ Für Familie sei auch später noch Zeit, lacht er unbekümmert. Wenn Rafal von seinen Plänen erzählt, ist er ernster und zurückhaltender. Nach der Europa-Ausbildung geht er erstmal wieder an seine Schule in Bialystok. Mit dem Abschluss in der Tasche, irgendwann in zwei Jahren, will er aber zurück ins Ausland. Von einer Arbeit in den USA träumt er jetzt nur vorsichtig. Aber Potsdam könnte der erste Schritt Richtung Übersee sein. Jana Haase

Informationen zum Austauschprogramm beim Oberstufenzentrum Johanna Just, Tel.: (0331) 289 73 00. Ansprechpartnerin ist Dorothea Wollenberg.

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