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Von Matthias Matern: Schatzsuche zwischen Leichen

Nach wie vor durchstöbern Andenkenjäger und Waffennarren die ehemaligen Schlachtfelder des Zweiten Weltkriegs im Land Brandenburg. Auch vor den Gebeinen gefallener Soldaten machen sie nicht Halt

Von Matthias Matern

Eberswalde/Potsdam - Hunderttausende Soldaten ließen zum Ende des Zweiten Weltkriegs zwischen Berlin und der Oder ihr Leben. Bei den Seelower Höhen (Märkisch-Oderland) oder bei Halbe (Dahme-Spreewald) versuchte die Deutsche Wehrmacht in hoffnungslosen Schlachten, die auf Berlin vorrückende Rote Armee aufzuhalten. Noch heute sind die Wälder und Wiesen gespickt mit altem Kriegsgerät, Ausrüstungsgegenständen und den Gebeinen der Gefallenen beider Seiten. Der Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge geht von rund 12 000 toten Soldaten aus, die immer noch unidentifiziert im Land Brandenburg verschollen sind. Während die teils ehrenamtlichen Mitarbeiter der Kriegsgräberfürsorge bemüht sind, möglichst viele der Gefallenen zu bergen und ihnen ein würdiges Grab zu bereiten, haben andere weit weniger humanitäre Absichten: Nach wie vor streifen Andenkenjäger, Waffennarren und Schatzssucher durch die ehemaligen Kampfgebiete in Brandenburg. Gesucht wird fast alles, vom Stahlhelm über verrostete Maschinengewehre bis hin zu Totenschädeln.

Das brandenburgische Landeskriminalamt spricht sogar von einem „Grabungstourismus“. Nicht nur deutsche Sammler seien zwischen den alten Frontlinien unterwegs, auch Holländer, Dänen, Russen und US-Amerikaner würden mit Metalldetektoren ausgestattet nach Hinterlassenschaften des Krieges stöbern, berichtet LKA-Sprecher Toralf Reinhardt. „Verlässliche Zahlen liegen uns aber nicht vor.“ Gleich mehrfach verstoßen die Andenkenjäger gegen geltendes Recht. Strafbar machen sie sich wegen Störung der Totenruhe, wegen des Verstoßes gegen das Denkmalschutzgesetz, und wird altes Kriegsgerät ausgebuddelt, auch noch wegen Verstoßes gegen das Waffengesetz und das Kriegswaffenkontrollgesetz.

Gerade erst ist der brandenburgischen Polizei ein Doppelschlag gelungen. Wie berichtet, ließen Beamte Anfang März in Groß Döbbern (Spree-Neiße) ein illegales Waffenlager auffliegen. Mehr als 180 Waffen, darunter ein altes Maschinengewehr, ein Scharfschützengewehr und eine scharfe Handgranate, stellten die Beamten auf dem Grundstück eines 65-jährigen Waffennarrs und ehemaligen Sportschützen sicher. In einem alten Schuppen fand die Polizei zudem in einem Pappkarton den Totenschädel eines Kriegsopfers. Zeugen hatten berichtet, dass der Beschuldigte früher im Raum Halbe mit einem Minensuchgerät unterwegs gewesen sein soll. Erst in dieser Woche stieß das LKA nach Hinweisen von Kollegen aus dem Saarland auf ein weiteres Waffenarsenal in Vetschau (Oberspreewald-Lausitz). Ein 27-jähriger Bundeswehrsoldat hatte auf dem Grundstück seiner Eltern mehrere Maschinengewehre, Granaten und Pistolen gehortet. Bei einem Großteil handele es sich um sogenannte Bodenfunde des Zweiten Weltkriegs, teilte das LKA mit. Zudem bestehe der Verdacht, der Beschuldigte habe illegal mit den „Militaria“ gehandelt, hieß es.

Angaben des LKA zufolge ist die Zahl der Verstöße gegen das Waffengesetz im Land Brandenburg zuletzt leicht gestiegen. 2008 wurden demnach 1690 Straftaten registriert, 2009 waren es 1697 und im vergangen Jahr 1796. Wirtschaftliche Gründe im Sinne eines gewerblichen Handels spielen aus Sicht des LKA meist nur eine untergeordnete Rolle. Im Mittelpunkt stehe viel mehr die Sammelleidenschaft. Dennoch: Bis zu 270 Euro bringt ein angeblich originaler Karabiner der Wehrmacht, glaubt man den Angeboten im Internet. „Häufig wird getauscht oder nur gekauft, um die Sammlung zu vervollständigen“, meint LKA-Sprecher Reinhardt. „Meist kennen sich die Mitglieder der Szene gut und verabreden sich für Tauschgeschäfte.“ Das Internet sei nur einer der Vertriebswege. Dort jedoch herrscht auf Foren ein reger Austausch. Devotionalienjäger berichten stolz von ihren Suchaktionen und Funden. Andererseits, glaubt zumindest LKA-Sprecher Reinhardt, wird die Gemeinde immer kleiner. „Es gibt keine aktive Jugendszene.“ Bei den meisten illegalen Sammlern alten Kriegsgeräts, die dem LKA ins Netz gehen, handele es sich um ältere Menschen. Das Problem sei insgesamt nicht mehr so gravierend wie in den frühen 90er Jahren, vielleicht auch, weil sich in den ehemaligen Kampfgebieten Russlands und Polens aufgrund des geringeren Kontrolldrucks unbehelligter suchen lasse.

Unterwegs sind die Devotionalienjäger in Brandenburg aber immer noch, sehr zum Leidwesen von Oliver Breithaupt, Geschäftsführer der Kriesggräberfürsorge Brandenburg. Erst im vergangenen Jahr sind seine Mitarbeiter bei Lebus im südlichen Oderbruch auf eine makabere Hinterlassenschaft der Grabräuber gestoßen. Menschliche Gebeine, vermutlich die eines gefallenen Soldaten, waren zu einem kleinen Türmchen gestapelt, sonst war nichts mehr zu finden. „Die machen nicht einmal vor menschlichen Gebeinen halt, um an Fundstücke, wie Waffen, Orden oder persönliche Dinge zu gelangen“, ärgert sich Breithaupt. Vor allem die Suche nach den begehrten Erkennungsmarken der Soldaten bringt den Geschäftsführer der Kriesggräberfürsorge zur Verzweiflung. Denn ohne sie ist die Identifizierung der Gefallen fast unmöglich – damit auch eine „würdige“ Bestattung, erläutert Breithaupt. „Es ist für mich einfach unerklärlich, welchen Wert der Besitz einer solchen Erkennungsmarke haben soll.“

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