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Das Potsdamer Haus Brandenburgisch-Preußischer Geschichte sucht einen neuen Namen.

© Ottmar Winter PNN / Ottmar Winter PNN

Preußen-Debatte: Demokratie braucht Bewusstsein für Geschichte

Nicht nur Sonntagsreden, sondern auch unser Bild von der eigenen Geschichte und von Preußen vertragen Vielfalt. Weltoffenheit sollte nicht mit Geschichtsvergessenheit verwechselt werden.

Ein Gastbeitrag von Linda Teuteberg

Jetzt haben wir also wieder eine Preußen-Debatte, weil Kulturstaatsministerin Claudia Roth die „Stiftung Preußischer Kulturbesitz“ umbenennen möchte. Auch beim Haus der Brandenburgisch-Preußischen Geschichte in Potsdam stellt man angesichts mangelnder öffentlicher Akzeptanz der Einrichtung als erstes den Namen zur Disposition. Dabei waren wir schon einmal weiter: Im Zuge der großen Preußen-Ausstellung 1981 in Westberlin entbrannte eine Debatte, in der alle Argumente schon vorgebracht wurden, die bis heute wiederholt werden.

Die Quintessenz antipreußischer Affekte und Vorbehalte speist sich wesentlich aus der Vereinnahmung durch die Nationalsozialisten. Dass die von Goebbels inszenierte Botschaft des Handschlags zwischen altem und neuem Deutschland am 21. März 1933 zur dominanten Lesart geworden ist, stellt einen traurigen Propagandaerfolg dar. Dabei gibt es nicht nur das Preußen des Militarismus und des Obrigkeitsstaates, in dessen Tradition sich Paul von Hindenburg und die wilhelminischen Machteliten sahen.

Errungenschaften bundesweiter Bedeutung

Ob Schulbildung für alle, Religionsfreiheit, Effizienz in Staat und Verwaltung, Rechtsstaatlichkeit und kommunale Selbstverwaltung oder Kultur, Wissenschaft und Forschung von internationalem Rang: Preußen steht auch für Errungenschaften von bundesweiter Bedeutung. Das Preußen der Aufklärung war eines der religiösen Toleranz und hatte eine Willkommenskultur für Innovation und Leistung gerade auch in Handwerk und Kultur. Die entschiedenen Strukturreformen in der Ära Stein-Hardenberg zu Beginn des 19. Jahrhunderts stehen nicht zuletzt für einen Staat, der funktioniert.

Beamtenschaft und Militärapparat Preußens werden gemeinhin mal bewundernd, mal verurteilend thematisiert. Sebastian Haffner indes zeigte in seinem großen Preußen-Essay auf, dass helle und dunkle Seiten oft gar nicht zu trennen waren. Sowohl für militärische und administrative als auch für kulturelle und wissenschaftliche Höchstleistungen bedarf es eines gehörigen Maßes an Disziplin, Effizienz und Rechtsstaatlichkeit.

Dass das Preußen der Weimarer Republik weit mehr als andere deutsche Länder Bollwerk des demokratischen Rechtsstaates war, stört so manche Erzählung.

Linda Teuteberg, FDP-Bundestagsabgeordnete

Heute weithin vergessen ist vor allem das republikanische Kapitel: Das Preußen der Weimarer Republik unterschied sich grundlegend von dem des kaiserlichen Obrigkeitsstaates. Kontinuierlich regierten hier die die Republik tragenden Parteien, heute würden wir von einer „Deutschland-Koalition“ sprechen: Sozialdemokraten, katholisches Zentrum und Liberale. In den Schlüsselpositionen des öffentlichen Dienstes traten an die Stelle von Anhängern des alten Regimes loyale Republikaner.

Das Preußen von Ministerpräsident Otto Braun und Innenminister Carl Severing verstand sich als „stolze Feste im Lager der Republik“ (Rudolf Hilferding), an der sich die Wellen des Bolschewismus und des Faschismus gebrochen hätten. Am 20. Juli 1932 kam es zum sog. „Preußenschlag“: Gestützt auf eine Notverordnung des Reichspräsidenten von Hindenburg hatte die Reichsregierung die preußische Regierung durch die Reichswehr absetzen lassen und durch eine vom Reichskanzler geführte Regierung der Reichskommissare ersetzt.

Dem Kabinett von Papen lieferte der „Blutsonntag“ am 17. Juli 1932 im damals noch preußischen Altona den willkommenen Vorwand, die Reste der sozialdemokratischen Machtposition in Preußen zu liquidieren. Die naheliegende Begründung lautete: Die geschäftsführende preußische Regierung sei nicht in der Lage, die öffentliche Ordnung aufrechtzuerhalten.

Die historische Engführung hat einen hochaktuellen Aspekt

Preußen zur Bad Bank deutscher historischer Verantwortung zu machen ist einerseits deshalb so beliebt, weil es bequemer ist als gesamtdeutsche Selbstkritik. Dass das Preußen der Weimarer Republik weit mehr als andere deutsche Länder Bollwerk des demokratischen Rechtsstaates war, stört so manche Erzählung. Diese historische Engführung hat indes noch einen anderen, hochaktuellen Aspekt: Sie lenkt davon ab, wie sehr die Republik von Weimar durch die Radikalen auf beiden Seiten des politischen Spektrums in die Zange genommen wurde.

Die Kluft zwischen Sozialdemokraten und Kommunisten war tief, letztere diffamierten erstere als „Sozialfaschisten“ und ein gemeinsames Eintreten für die Wiedereinsetzung der preußischen Regierung erschien so undenkbar. Der Unübersichtlichkeit und Komplexität der Moderne und offener Gesellschaften mit der Sehnsucht nach Eindeutigkeit und ebenso einfachen Geschichtsbildern wie politischen Antworten zu begegnen, ist kein Monopol des rechten Randes.

Bei Deutungskämpfen um die Geschichte geht es um die Systemfrage und den notwendigen antitotalitären Konsens. Geschichtsbewusstsein gehört zum Immunsystem einer wehrhaften Demokratie. Zukunft braucht auch Herkunft und Respekt vor der Überlieferung. Nicht nur Sonntagsreden, sondern auch unser Bild von der eigenen Geschichte und von Preußen vertragen Vielfalt und Differenzierung. Weltoffenheit sollte nicht mit Geschichtsvergessenheit verwechselt werden.

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