zum Hauptinhalt

Brandenburg: „Ohne Bundeshilfen für Berlin kein gemeinsames Land“

Interview mit CDU-Landeschef und Innenminister Schönbohm

Interview mit CDU-Landeschef und Innenminister Schönbohm Ist die märkische CDU vom Ziel der Fusion mit Berlin abgerückt? Nein, ich bin ein dezidierter Anhänger des Zusammenschlusses. Dieser Raum war geschichtlich, kulturell und wirtschaftlich immer eine Einheit, er wurde durch die deutsche Teilung künstlich getrennt. Deshalb sollte er auch wieder zusammengeführt werden. Wo sehen Sie das Hauptproblem? Das Hauptproblem ist zweifellos die desaströse Haushaltslage in Berlin. Wir haben in Brandenburg gerade einen Haushalt verabschiedet mit einem Defizit von über einer Milliarde Euro. Unser Haushalt ist halb so groß wie der Berliner. Berlin nimmt weit über vier Milliarden Euro neue Kredite auf. Ich kenne keinen Innenminister in Deutschland, der nach einem Zusammenschluss den Haushalt der Kommune Berlin genehmigen könnte. Nach den Regeln des deutschen Haushaltsrechtes ist er nicht genehmigungsfähig. Berlin müsste mit vorläufiger Haushaltsführung und strengen Auflagen versuchen, den Haushalt zu sanieren. Das heißt, bis auf weiteres ist die Fusion tot? Nein. Aber Berlin ist pleite und Brandenburg ist auf den Weg dorthin. Deshalb muss der Bund entscheiden, wieviel Hauptstadt er sich leisten will. Berlin kann seine Probleme aus eigener Kraft nicht lösen. Die Hauptstadt hat Verfassungsklage eingereicht. Wenn es dort Klarheit gibt, können wir über die Fusion sprechen. Der Berliner SPD-Fraktionschef Müller meint, der Union Fusionsmüdigkeit vorwerfen zu müssen, aber die Klage belegt: erst den Haushalt in Ordnung bringen, dann gemeinsam an die Fusion herangehen. Muss man nicht schon jetzt mit kleineren Schritten anfangen? Aber es scheint schon schwierig, gemeinsame Fraktionssitzungen zu organisieren. Wir haben zum Beispiel Schwierigkeiten, mit dem Berliner Hauptausschuss eine gemeinsame Sitzung in Frankfurt/Oder zu machen. Berliner Richter halten ein Finanzgericht in Cottbus nicht für zumutbar. Berlin muss diese Egoismen überwinden. Im Sicherheitsbereich, beim Verfassungsschutz, bei der Ausbildung von Polizisten, bei der Datenverarbeitung wollen die Innenressorts enger zusammenarbeiten. Wir haben unsere gesamten Daten des Landesnetzes beim Berliner Landesbetrieb als Backup abgespeichert. Wenn unser Netz einmal zusammenbricht, können wir darauf zurückgreifen. Aber die Brandenburger sind gegen die Fusion, wie wollen Sie sie gewinnen? Wir müssen nachweisen, dass Ängste und Sorgen der Bürger unbegründet sind. Was wird zum Beispiel aus dem Berliner Schuldenberg? Vorstellbar wäre, dass die Pro-Kopf-Schulden von Brandenburg, die geringer sind als Berlins, die Grundlage für die Staatsverschuldung des gemeinsamen Landes bilden und Berlin die Kommunalschulden behält. Aber: die Kommune Berlin hätte dann keinen genehmigungsfähigen Haushalt. Deshalb ist der Bund am Zuge. Ohne Bundeshilfen für Berlin wird es kein gemeinsames Land geben. In Brandenburg gibt es große Ängste, dass es in einem gemeinsamen Land den Randregionen noch schlechter gehen würde, weil sich alles auf Berlin und das Umland konzentriert? Ich sehe es genau umgekehrt. Der Vorteil des Zusammenschlusses sind Synergieeffekte und die einheitliche Betrachtung des Raumes. Wir müssen jetzt durch praktische Beispiele die Angst nehmen. Das gemeinsame Finanzgericht in Cottbus wäre ein Signal, dass wir die Region ernst nehmen. Es geht um taktische Dinge, aber auch um psychologische Maßnahmen. In der Realität passiert nichts, wird Cottbus abgelehnt? Mal abwarten. Berlins SPD-Fraktionschef Müller hat sich ja mannhaft ins Zeug gelegt. Als ich Berliner Innensenator war und es um die Fusion ging, hatten die Berliner Polizeibeamten und die Gewerkschaft GdP Angst, dass sie nach Wittenberge, Perleberg, Senftenberg oder Cottbus müssen. Ich habe ihnen gesagt: Wir brauchen in Berlin doch weiter Polizei. Also: Viele Befürchtungen sind unbegründet. Halten Sie einen Zusammenschluss ohne nochmalige Volksabstimmung für denkbar? Das ist rechtlich wohl nicht möglich. Nach der Brandenburger Verfassung müsste eine Volksbefragung stattfinden – oder man muss sie mit Zwei-Drittel-Mehrheit ändern. Da wir schon jetzt gegen Politikmüdigkeit zu kämpfen haben, wäre das nicht gut. Sie beurteilen die Zusammenarbeit mit Berlin kritisch. Ist es, seit dort Rot-Rot regiert, schlechter geworden? Nein, es ist mehr die Berliner Art: Wir sind wir, dann kommen die anderen. Das hat nichts mit Rot-Rot, sondern mehr mit einer Grundmentalität zu tun. Mit Herrn Körting saß ich zusammen im Senat, wir sind beide sehr vernünftig miteinander umgegangen. Das ist auch jetzt der Fall. Aber ich beobachte in Berlin insgesamt eine größere Zurückhaltung als ich vermutet hatte. Zum Beispiel hat Brandenburg ein Haushaltssicherungsgesetz, in dem genau steht, welche Zusammenlegungen von Behörden mit Berlin geprüft werden sollen. Etwas Ähnliches gibt es in Berlin nicht. Dort sagt man: Ihr habt ein Gesetz? Na, dann kommt mal schön! Die Begeisterung ist nicht groß. Was wird aus den Randregionen Brandenburgs, wenn die Jugend abwandert und nur die „Alten und Deppen“ bleiben, wie es ein Wissenschaftler formulierte? Diese diffamierende Formulierung ist eine Frechheit. Wir haben eine Abwanderung aus den Randregionen wegen fehlender Arbeitsplätze. Viele Jugendliche gehen nach Bayern oder Baden-Württemberg, niemand weiß, ob sie zurückkommen. Die Frage ist, ob es uns gelingt, in diesen Räumen klein- und mittelständische Betriebe und damit Kaufkraft zu halten. Die Abwanderung von den Randregionen ins unmittelbare Berliner Umland werden wir nicht stoppen können. Aber wenn man sich die Entwicklung auf der Schwäbischen Alb oder im Bayerischen Wald anschaut, dann gab es auch dort eine Wanderung hin nach Stuttgart oder Nürnberg. Aber nach einer gewissen Zeit setzte eine Rückwärtsbewegung ein. In Baden-Würtemberg fahren die Leute 70, 80, 100 Kilometer zu Daimler. Darauf müssen sich auch die Brandenburger einstellen. Hat sich die Landesregierung selbst darauf eingestellt? Wir wollen im September im Kabinett darüber sprechen, was das für die einzelnen Bereiche bedeutet: Es wird Auswirkungen zum Beispiel auf die Planung von Infrastruktur, Schulen, Krankenhäusern und der Polizeidichte geben. Das gehen wir an. Ist das alte SPD-Planungsprinzip der Dezentralen Konzentration noch zeitgemäß? Ich glaube, dass Behördenansiedlungen in strukturell benachteiligten Orten richtig waren. Der Anreiz aber, je weiter weg von Berlin, desto mehr Fördermittel – das hat nicht funktioniert. Wir haben zu viele Gewerbegebiete auf der grünen Wiese, die die Kommunen heute stark belasten. Wirtschaftsforscher argumentieren, dass eine bevorzugte Förderung des Speckgürtels auf das ganze Land ausstrahlen würde? Den Gedanken der Ausstrahlung teile ich. Es gibt einen Standortwettlauf zwischen Berlin und Brandenburg. Wenn der Flughafen Berlin-Brandenburg International gebaut wird, wird das Auswirkungen bis in den Spreewald haben. Die Unternehmen entscheiden, wo sie sich ansiedeln. Wenn jemand sagt, dass er in den Speckgürtel geht, werden wir alles dafür tun, weil sich daraus eine Sogwirkung ergibt. Ich bin mit einem früheren amerikanischen Botschafter befreundet, der jetzt in der Industrie tätig ist. Der hat mir gesagt: Jörg, guck Dir mal das Modell Washington DC und Virginia an. Die Beziehungen von Virginia nach Washington sind so eng, auch über große Entfernungen. Man wohnt im ländlichen Virginia ganz prima und arbeitet in Washington. Daraus können wir lernen. Das Interview führten Robert Birnbaum, Michael Mara, Lorenz Maroldt

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false