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© dpa/Patrick Pleul

Neuer Index misst Lebensqualität: Wie gut wohnt es sich wirklich in Brandenburg?

Brandenburg ist Spitze beim Wirtschaftswachstum. Ist das ein Maß für Lebensqualität? Ein neuer Index berücksichtigt auch Löhne und Klimaschutz.

Wie lebt es sich in Brandenburg? Klimaschutzminister Axel Vogel (Grüne) hat den ersten „Regionalen Wohlfahrtsindex“ (RWI) für die Region vorgelegt. Es ist ein sozial-ökologischer Seismograf, der nicht nur das Wirtschaftswachstum berücksichtigt – wo Brandenburg aktuell deutscher Spitzenreiter ist –, sondern eben auch Treibhausgas- und Klimabilanz, Umweltschäden und die Lohnentwicklung. Danach könnte Brandenburg seine seit der Jahrtausendwende im Schnitt stagnierende „Wohlfahrt“ deutlich steigern, wenn das Land seine Klimaziele bis 2030 schafft.

Die Studie, erstellt vom Heidelberger Institut für Interdisziplinäre Forschung im Auftrag des Landesumweltamtes, wurde am Montag in Potsdam erstmals präsentiert. Brandenburg gehört da eher zu den Nachzüglern. Seit Jahren gibt es den RWI auf nationaler Ebene. Brandenburg ist das elfte Bundesland, für das dieses Barometer erstellt wird. Es ist eine Vorgabe aus dem Kenia-Koalitionsvertrag von SPD, CDU und Grünen, mit der nun doch noch – auch das mit deutlicher Verspätung – eine Empfehlung des Nachhaltigkeitsbeirates aus dem Jahr 2014 umgesetzt wird. Der war vor 2019 kalt gestellt worden.

Vogel verwies auf Debatten um Grenzen des Wachstums, erinnerte etwa an den Geier-Sturzflug-Hit aus den 80ern, „ab jetzt wird wieder in die Hände gespuckt, wir steigern das Bruttosozialprodukt.“ Diese einseitige Fixierung soll der RWI beenden. „Es soll auch einen Impuls für die gesamte Landesregierung geben, weiterzudenken, sich zu lösen, von rein ökonomischen Betrachtungen des Bruttosozialproduktes!“, sagte Vogel, dem die Studie Rückendeckung im Kenia-Konflikt um den weiteren Klimaschutz-Fahrplan für das Land gibt.

Durchbruch bei Klimaplan?

Wie berichtet wird der von Vogel vorgelegte „Klimaplan“ für Brandenburg bislang von Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) blockiert. Doch nun zeigte sich Vogel auf Nachfrage sicher, dass ein Durchbruch nah, der Klimaplan zeitnah das Kabinett passieren kann: „Natürlich!“ Man habe bereits strittige Punkte geklärt, es sei nichts mehr unverhandelbar.

Im Rückblick liefert der „Regionale Wohlfahrtsindex“, in den 21 Faktoren einfließen wie Staatsausgaben, Kriminalität und Ehrenamt, eine ernüchternde Perspektive auf die Entwicklung Brandenburgs. Während das Bruttoinlandsprodukt (BIP) danach seit der Jahrtausendwende mit dem Ausgangswert 100 beinahe kontinuierlich auf 127 im Jahr 2021 stieg, ging im gleichen Zeitraum der „Wohlfahrtsindex“ nach 2000 bis 2012 auf den Tiefstwert „81“ zurück – bei einem BIP von 112 im gleichen Jahr. Das betrifft überwiegend die Zeit der Großen Koalition (1999 bis 2009), geprägt von Rotstift und wachsender sozialer Ungleichheit, aber auch einem Hochbetrieb der Braunkohlekraftwerke.

Für 2012 bis 2019 – seit 2009 regierte Rot-Rot – weist der „Regionale Wohlfahrtsindex“ zwar einen „starken Anstieg“ aus, mit steigendem Konsum, sinkender sozialer Ungleichheit und geringeren Umweltkosten im Zuge des Ausbaus erneuerbarer Energien. Doch selbst das reichte dann nur, um wieder das Ausgangsniveau der Jahrtausendwende zu erreichen. In der Pandemie sank der RWI auf 96 (2021). Für 2022 und 2023 gehen die Wissenschaftler von einem leichten Aufwärtstrend aus.

Der Ausblick sieht anders aus, abhängig von der Regierungspolitik. Nach zwei Zukunftsszenarien hält es die Studie für möglich, Wohlfahrt und Lebensqualität für Brandenburg bis 2030 auf einen RWI von 141 zu steigern, wenn das Klimaschutzprogramm umgesetzt und die soziale Schere im Land kleiner wird. „Eine zukunftsfähige Politik sollte auf möglichst wenig ,Leerlaufwachstum’ setzen – also keine Wachstumsprozesse fördern, die zu erheblichen negativen externen Folgewirkungen führen, die die positiven Folgen des Wachstums wieder teilweise oder ganz aufzehren“, heißt es dazu.

Die Landesbezirkschefin des Deutschen Gewerkschaftsbundes Katja Kager begrüßte den Ansatz, erinnerte mit drastischen Worten an die schmerzhaften Auseinandersetzungen um Klimaschutz und Jobs beim Kohleausstieg in der Lausitz: „Wir haben uns gegenseitig die Fresse poliert!“ , sagte Kager und mahnte: „Wenn wir die Menschen mit ihren existentiellen Ängsten nicht mitnehmen, werden wir ökologische Ziele nicht erreichen.“

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