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Das Tesla-Werk in Grünheide

© Ottmar Winter PNN

Klasse statt Masse : Neue Ansiedlungsstrategie für Brandenburg

Wer in Brandenburg investiert, soll möglichst nachhaltig-innovativ sein und gute Löhne zahlen. So richtet Wirtschaftsminister Jörg Steinbach (SPD) die Ansiedlungspolitik neu aus.

Brandenburg wird mit seinem Boom wählerisch. Wirtschaftsminister Jörg Steinbach (SPD) hat jetzt die mit Spannung erwartete neue „Ansiedlungsstrategie 2023“ für das Land vorgelegt. Mit der wird für neue Fabriken und Firmen erstmals eine Art Bestenauslese eingeführt – nämlich Qualitätskriterien wie Nachhaltigkeit oder gute Löhne. „Das ist ein kleine Palastrevolution“, sagte Steinbach am Dienstag vor Journalisten.

Möglich werde es, weil Brandenburg in den letzten Jahren „zu einem Ansiedlungshotspot in Deutschland“ geworden sei. Nötig werde eine „gewisse Steuerung“ auch wegen der immer knapperen Gewerbeflächen. Vorrang habe produzierendes Gewerbe. Wer die Kriterien erfüllt, kann laut Steinbach mit einer „privilegierten Begleitung“ rechnen.

Zuvor hatte Steinbach dem Kenia-Kabinett das 50-Seiten-Papier präsentiert, das das veraltete Vorgängerkonzept aus dem Jahr 2011 ablöst. Strategisches Ziel sei es, heißt es darin, „Brandenburg als neues industrielles Zentrum in Deutschland zu entwickeln“.

Hauptstadtregion erlebt Ansiedlungsboom

Hintergrund ist der Ansiedlungsboom, den die Hauptstadtregion seit einigen Jahren erlebt und der selbst in der Corona- und Energiepreiskrise nicht nachließ. Letztes Jahr hatte Brandenburg das höchste Wirtschaftswachstum aller Flächenbundesländer. Aktuelle Faktoren dafür sind die neue Tesla-Fabrik als „Gamechanger“ (Steinbach), aber auch der BER und der Strukturwandel in der Lausitz.

Hatte es laut Strategie noch vor einem Jahrzehnt meist um die 30 Direktinvestitionen jährlich gegeben, sind es seit 2017 durchgängig über 40. In der Regel seien von den Wirtschaftsförderern in langjähriger Betrachtung 200 Ansiedlungen in Arbeit, aktuell sei die Anzahl mit 350 Projekten höher denn je, heißt es. Zugleich stehe das Land bei immer mehr Vorhaben in einem harten internationalen Wettbewerb mit anderen starken Standorten etwa in Mittel- und Osteuropa, darunter mit den Sonderwirtschaftszonen in Polen.

„Wir werden kein ansiedlungswilliges Unternehmen abweisen“, sagte Steinbach. Aber nun wolle sich das Land auf neue Firmen konzentrieren, „die unsere regionalen Wertschöpfungsketten vervollständigen oder Kreislaufwirtschaften befördern“. Anders als in den letzten Jahrzehnten ist also nicht mehr jede Firma, die zwischen Uckermark und Lausitz investieren will, gleichermaßen erwünscht.

Zukünftig muss die Ansiedlungspolitik ganzheitlich gedacht und gestaltet werden.

Jörg Steinbach (SPD), Wirtschaftsminister Brandenburgs

Dabei will Brandenburg sein Profil als Wirtschaftsstandort schärfen. Etwa in den Feldern „moderner Mobilität“, wo der „Tesla-Effekt“ durch die Entscheidung für den Bau der europäischen Gigafactory des US-Elektroautobauers wirke, aber auch als „Zentrum der deutschen Energiewende“ mit dem Strukturwandel in der Lausitz und dem Ausbau erneuerbarer Energien. Als weitere Querschnittsbranchen nimmt Brandenburg für gezielte Akquisen besonders Digital-Unternehmen sowie Firmen der Chip- und Halbleiterindustrie ins Visier.

Wichtig sei auch, frühzeitig mögliche limitierende Faktoren wie die Verfügbarkeit von Fach- und Arbeitskräften, von Gewerbe- und Industrieflächen und Fördermitteln zu berücksichtigen, hieß es. „Zukünftig muss die Ansiedlungspolitik ganzheitlich gedacht und gestaltet werden“, sagte Steinbach.

Agil, diskret, abgestimmt

Nötig sei wie bei Tesla agiles, diskretes, strukturiertes, gemeinsames Agieren von Wirtschaftsförderern, Land, Kommunen, aber auch mit Berlin oder Sachsen. Zum anderen, so heißt es, „müssen Standortentwicklungen mehr denn je mögliche Interessenkollisionen, beispielsweise in Bereichen wie Flächenkonkurrenz – insbesondere mit der Land- und Forstwirtschaft, Wassernutzung, Waldbestand oder Energieverfügbarkeit von Beginn an thematisieren und im Konsens auflösen.“ Angemahnt wird, große, zusammenhängende Gewerbeflächen als „Goldstaub“ gut zu hüten „und zum richtigen Zeitpunkt für den richtigen Zweck“ einzusetzen.

Noch vor eineinhalb Jahrzehnten, als Brandenburg unter Rekordarbeitslosigkeit über der 10-Prozent-Marke litt, hatte für die Politik die Zahl neuer Jobs absoluten Vorrang. „Damals war man froh, wenn überhaupt jemand kam“, sagte Steinbach. Der frühere Wirtschaftsminister Ulrich Junghanns (CDU) warb in der Zeit der rot-schwarzen Koalition (1999 bis 2009) sogar mit den geringen Löhnen als Standortvorteil.

Die neue Strategie formuliert nun das genaue Gegenteil: „Die Aufgabe der Ansiedlungspolitik ist künftig nicht mehr nur die Bereitstellung möglichst vieler neuer Arbeitsplätze durch Ansiedlungsunternehmen, sondern auch die gezielte Anwerbung von Firmen, die mit ihrem Gehaltsniveau zur Wohlstandsverbesserung im Land beitragen können.“ Und: „Das Lohnniveau muss sich an das westdeutsche Niveau anpassen.“

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