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Getötete Polizisten in Brandenburg: Jetzt doch: Jan G. soll in geschlossene Psychiatrie

Die Staatsanwaltschaft stufte den 24-jährigen Jan G., der seine Großmutter und zwei Polizisten getötet hat, im vergangenen Jahr wegen seiner Schizophrenie als tickende Zeitbombe ein. Er kam aber nicht in die geschlossene Psychiatrie, sondern wieder frei. Offenbar ein fataler Fehler.

Frankfurt (Oder)/ Müllrose/ Potsdam - Jan G. hätte in einer Psychiatrie sitzen sollen. Und der Tod dreier Menschen – seiner Großmutter und zweier Polizisten – am Dienstag hätte verhindert werden können. Wenn der 24-Jährige im November 2016 vom Landgericht Frankfurt (Oder) in eine geschlossene Psychiatrie geschickt worden wäre. So hatte es die Staatsanwaltschaft für den als gewalttätig eingestuften Mann beantragt. Dem folgte das Gericht aber nur in Teilen. Die Unterbringung wurde zur Bewährung ausgesetzt, weil ein Gutachter befand, dass Jan G., der wegen einer schweren psychischen Erkrankung, laut Gericht eine undifferenzierte Schizophrenie, nicht schuldfähig war, auch in Freiheit behandelt werden könnte.

Aber auch als Jan G. nach dem Urteil gegen die Auflagen verstoßen hat, indem er wiederholt ohne Führerschein Auto fuhr und Drogen genommen hatte, schritt das Landgericht nicht ein. Vielmehr konnte „die Kammer das Vorliegen der Voraussetzungen für einen Widerruf der Aussetzung zur Bewährung nicht feststellen“. Jan G. kam nicht in die Psychiatrie und blieb auf freiem Fuß. In Freiheit hat er am Dienstagvormittag zunächst seine 79 Jahre alte Grußmutter – nach Ansicht der Ermittler möglicherweise im Drogenrausch – erstochen. 

Jan G. habe sich mit seiner Großmutter um Geld gestritten

Auf der Flucht mit dem Wagen seiner Großmutter dann überfuhr er zwei Beamte. Die beiden Polizisten hatten nahe Oegeln bei Beeskow, etwa zwölf Kilometer vom ersten Tatort entfernt, auf der Bundesstraße 87 ein Nagelbrett ausgelegt, um Jan G. zu stoppen. Der aber raste einfach auf den breiten Radwegen neben der Straße und überrollte die Beamten. Sie waren sofort tot. Nach kurzer Flucht mit einem anderen Wagen, den er im Dorf Oegeln stahl, baute er auf einem Feldweg einen Unfall und konnte festgenommen werden. 

Jan G., der durch einen Unfall am Ende seiner Flucht verletzt wurde und zunächst nicht ansprechbar war, hat am Mittwoch in seiner Vernehmung laut Staatsanwaltschaft die Taten gestanden. Er habe sich mit seiner Großmutter um Geld gestritten, bevor er sie getötet habe, berichtete eine Behördensprecherin. Die beiden Beamten habe er überfahren, weil er Angst gehabt habe, von ihnen erschossen zu werden. Er habe jedoch erklärt, zur Tatzeit nicht unter Drogen gestanden zu haben. Die Ergebnisse des Bluttests auf Drogen und Alkohol liegen allerdings noch nicht vor. Die Staatsanwaltschaft beantragte vor Gericht einen sogenannten Befehl zur Unterbringung in einer Psychiatrie. Gegen Jan G. wird wegen dreifachen Mordes, gefährlicher Körperverletzung, Diebstahls, unerlaubten Entfernens vom Unfallort und Fahren ohne Fahrerlaubnis ermittelt. 

Brandenburger Polizisten seien in Schockstarre

Bei der Polizei, im Innenministerium, im ganzen Land herrschte auch am Mittwoch Trauer. Als nach und nach die kriminelle Karriere von Jan G. bekannt wird, kommt aber das blanke Entsetzen hinzu, das Gefühl, dass es jeden hätte treffen können, wie ein Beamter sagt. Jörg Göhring, Vize-Landeschef der Gewerkschaft der Polizei (GdP) sagte, die Beamten im Land seien in Schockstarre. Zur Justizpanne wollte sich die Gewerkschaft nicht äußern. Es gebe staatliche Institutionen, die das aufarbeiten müssten. Die Gedanken der Kollegen seien bei den Angehörigen und Kollegen der Opfer.

Angeklagt war G. wegen mehrerer Straftaten, die er zwischen September 2014 und September 2015 begangen hat. Er hatte seine Mutter und Nachbarn bedroht, eine Schaffner geschlagen, als er beim Schwarzfahren erwischt wurde. Er schlug zu, als eine Verkäuferin ihn zur Rede stellte, als er Schnaps stehlen wollte. Er brach in ein Geschäft ein und klaute Brillen und entriss einem Passanten das Handy. Die Anklage listete schweren Diebstahl, versuchten Raub, Bedrohung, vorsätzliche Körperverletzung, versuchte Nötigung, Fahren ohne Führerschein, Sachbeschädigung und Schwarzfahren auf. Bereits von Februar 2013 bis Juli 2014 saß er im Gefängnis – wegen gefährlicher Körperverletzung und Drogenbesitzes. Hinter Gittern kam er nur, weil er trotz Bewährung erneut straffällig wurde. Und auch kurz vor und nach seinem Freispruch vom November, als ihm eine psychiatrische Behandlung auferlegt wurde, fiel er auf: Durch Schwarzfahren und weil er ohne Führerschein am Steuer saß.

Die Staatsanwaltschaft Frankfurt (Oder) stufte G. als tickende Zeitbombe ein, weil jederzeit von ihm wegen seines psychischen Zustand schwere Straftaten zu erwarten sind und er „für die Allgemeinheit gefährlich ist“. Die Sorge der Staatsanwaltschaft hat sich nun bitter bestätigt.

Innenminister Schröter besuchte die Familien der getöteten Polizisten 

Im Landtag hielten die Abgeordneten zu Beginn der Plenarsitzung und die Beamten im Polizeipräsidium in Potsdam eine Schweigeminute ab. „Fassungslos stehen wir vor dieser Gewalttat. Aus einem ganz normalen Diensttag wurde ein Alptraum“, sagte Landtagspräsidentin Britta Stark (SPD). Für das ganze Land hatte Innenminister Karl-Heinz Schröter (SPD) Trauerbeflaggung angeordnet. Auch in anderen Bundesländern trugen die Polizeiwagen Trauerflor.

Am Mittwoch besuchte Schröter die Familien der beiden getöteten 49 und 52 Jahre alten Beamten. Beide hatten jeweils drei Kinder. Anfang der 1990er-Jahre traten sie ihren Dienst bei der Brandenburger Polizei an. Polizeipräsident Hans-Jürgen Mörke sagte: „Sie waren Top-Männer.“ Bereits am Dienstagnachmittag war Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD), der selbst mehrere Jahre Innenminister in Brandenburg und damit zuständig für die Polizei war, in Fürstenwalde, um mit den Kollegen der getöteten Beamten zu sprechen. Am Abend sagte der sichtlich bewegte Regierungschef bei einem Empfang für Hilfsorganisationen im Landtag, er bete für die Angehörigen. Es sei wichtig daran zu erinnern, dass es Menschen gibt, die für andere Menschen da sind – und im Ernstfall dafür ihre Gesundheit und ihr Leben riskieren.

 Soko "Familie" ermittelt mit 90 Beamten

Für Mittwochabend 18 Uhr luden dann der Landkreis Oder-Spree, die Stadt Beeskow und die evangelische Kirchengemeinde von Beeskow zu einem Gedenken. Das Erschrecken in der Bevölkerung und das Mitgefühl mit den Betroffenen sei sehr groß, hieß es. Die Ermittlungen hat die Soko „Familie“ mit 90 Beamten übernommen. Eine bewusste Namenswahl, wie es hieß. Weil es die Angehörigen betreffe, und weil sich die Polizei als eine große Familie verstehe. 

An der B 87, wo die beiden Polizisten starben, suchten Beamte auch am Mittwoch den Tatort ab, Kriminaltechniker sicherten Spuren. Um die Kollegen, die mitansehen mussten, wie die Beamten überfahren wurden, kümmern sich Seelsorger.

Die Staatsanwaltschaft prüft derweil, was bei Jan G. nach dem Urteil vom November 2016 schief gelaufen sein könnte. Das Gericht hatte die Unterbringung in einer Psychiatrie auf fünf Jahre ausgesetzt – unter mehreren Bedingungen: G. sollte keine Drogen mehr nehmen und keinen Alkohol trinken. Zudem sollte er sich regelmäßig Drogentests unterziehen, sich eine ambulante Therapie suchen. Darüber wachen sollten ein Bewährungshelfer und als Führungsaufsicht das Landgericht. Ob G. die Auflagen einhielt, blieb am Mittwoch offen.

 Spendenkonto für die Hinterbliebenden

Für die Hinterbliebenen der beiden Polizisten wird nun zu Spenden aufgerufen. Die GdP hat mit dem Verein „Grüner Stern – Gemeinnützige Polizeihilfe“ ein Spendenkonto eingerichtet, ebenso die Stiftung Martin-Heinze-Fonds, benannt nach einem 1995 in Potsdam von einem flüchtenden Einbrecher erstochenen Polizisten. Heinze war der erst im Dienst getötete Beamte in Brandenburg nach der Wende. Nach diesem Dienstag und dem „schwersten derartigen Vorfall in der Geschichte der Polizei unseres Landes seit 1990“, wie Innenminister Schröter sagte, sind es nun drei. (mit dpa)

Martin-Heinze-Fonds IBAN DE97 1705 4040 3000 6499 20 Verwendungszweck: Spende Hinterbliebene Grüner Stern Gemeinnützige Polizeihilfe Brandenburg e. V. Santander Bank Potsdam IBAN: DE33 5003 3300 1781 5277 00 BIC: SCFBDE33XXX Verwendungszweck: Müllrose

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