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Potsdam, 31.07.2023 / Lokales / Ursula Nonnemacher, Ministerin für Soziales, Gesundheit, Integration und Verbraucherschutz des Landes Brandenburg, Foto: Ottmar Winter PNN ACHTUNG: Foto ist ausschließlich für redaktionelle Berichterstattung der PNN und des TGSP! Eine kommerzielle Nutzung, z.B. Werbung, ist ausgeschlossen. Die Weitergabe an nicht autorisierte Dritte, insbesondere eine weitergehende Vermarktung über Bilddatenbanken, ist unzulässig.

© Ottmar Winter PNN/Ottmar Winter PNN

Jeder zweite Brandenburger ist übergewichtig: Nonnemacher stellt Strategie für gesunde Ernährung vor

Brandenburgs Kantinen sollen gesünder, vielfältiger, regionaler und leckerer kochen – nach dem Vorbild Berlins. Ein Jahr vor der Landtagswahl ist es auch ein Kampf um die Wurst.

Serviert wurde ausgerechnet Currywurst, allerdings „neu gedacht“, halb Fleisch, halb pflanzlich. Dieses Aktionsmenü just an dem Tag, als Brandenburgs Gesundheitsministerin Ursula Nonnenmacher (Grüne) in der Potsdamer Uni-Mensa am Neuen Palais die neue Ernährungsstrategie für die Mark offiziell präsentierte, hätte nicht passender ausfallen können.

Es war allerdings Zufall – und kein frecher Gruß aus der Küche für Brandenburgs Finanzministerin Katrin Lange (SPD). In einem monatelangem „Currywurst-Krach“ hatte sie zuvor im Kenia-Kabinett verhindert, dass das neue Leitbild für gesünderes Essen in Brandenburg als gemeinsame Strategie der Landesregierung verabschiedet wurde. Begründet mit ihrer Sorge vor einem angeblich drohenden Fleischverbot, einem Aus für die Currywurst in der Kantine, dem „Kraftriegel“ der Mark. Nun also ein Solo des Gesundheitsministeriums.

Ohne Lange namentlich zu erwähnen, stellte Nonnemacher bei der Vorstellung des 55-Seiten-Papiers erneut klar: „Wir wollen keine Verbote, wir wollen das Schnitzel und die Currywurst nicht verbannen“, so die Ministerin. „Wir wollen Anstöße geben, Angebote, um eine nachhaltige, gesunde, vielfältige und eine genussvolle Ernährung mit möglichst regionalen und saisonalen Lebensmitteln zu ermöglichen.“

56,8
Prozent der Brandenburger sind übergewichtig.

Wie nötig das ist, zeigen nach ihren Worten nüchterne Zahlen. Brandenburg habe mit 56,8 Prozent einen höheren Anteil übergewichtiger Menschen im Vergleich zum Bundesschnitt mit 52,7 Prozent. Das Land habe somit auch mit den Folgen höherer Krankheitsrisiken etwa bei Diabetes, Krebs oder Herzleiden zu kämpfen. Bei Zehntklässlern habe der Anteil Übergewichtiger 2022 bei 30,5 Prozent gelegen – 2013 seien es noch 24,3 Prozent gewesen. „Wir müssen uns fragen lassen: Was tut die Landesregierung dagegen. Und das ist eine berechtigte Frage!“

Immer mehr Übergewichtige in Brandenburg

Da setzt die Strategie an. Ein Herzstück ist das jetzt in Brandenburg neu gestartete Projekt „Kantine der Zukunft“, das in Berlin nach dem Vorbild Kopenhagens eingeführt wurde und sich bewährt hat. 2023 und 2024 liegen im Haushalt des Gesundheitsministeriums dafür je 600.000 Euro bereit. Caterer und Träger von Gemeinschaftsküchen können sich auf freiwilliger Basis beraten lassen, wie sie Speisekarten umstellen können, und zwar kostenneutral, ohne dass die Speisen teurer werden, sagte Verbraucherschutzstaatssekretärin Antje Töpfer.

In der Mensa der Potsdamer Uni wird schon so gekocht, wie es die Strategie vorsieht
In der Mensa der Potsdamer Uni wird schon so gekocht, wie es die Strategie vorsieht

© Thorsten Metzner

15 Betreiber machen bislang mit. Allerdings sei bisher keiner der großen Player dabei, die den Caterermarkt in Brandenburg und damit auch das Essen in Schulen und Kitas dominieren, „aber das kann sich ja ändern.“ Träger ist eine Berliner Firma. Gegen eine Ausweitung des Berliner Projektes auf Brandenburg, die bürokratischen Aufwand erspart hätte, hatte das Finanzministerium unter Verweis auf vergaberechtliche Bedenken ebenfalls sein Veto eingelegt.

Wir haben uns schon vor langer Zeit auf diesen Weg gemacht. Wir haben ein dankbares Publikum. Die Studierenden nehmen es nicht nur an, sie fordern es.

Michéle Paschke, Chefin der Hochschulgastronomie im Studentenwerk.

Der Ort, wo das alles präsentiert wurde, hatte das Nonnemacher-Ministerium bewusst gewählt. Wo die Strategie das Land erst noch hinbringen will, demonstrieren die sieben Mensen des Potsdamer Studentenwerkes bereits heute. Sie versorgen täglich 6500 Gäste, mit nachhaltigem, gesundem, abwechslungsreichem, klimagerechten und dennoch bezahlbaren Gerichten. „Wir haben uns schon vor langer Zeit auf diesen Weg gemacht. Wir haben ein dankbares Publikum. Die Studierenden nehmen es nicht nur an, sie fordern es“, sagte Michéle Paschke, Chefin der Hochschulgastronomie im Studentenwerk.

Es gebe täglich ein vegetarisches, ein veganes und ein Fleischgericht. Ausnahme sei der Mittwoch, der Veggie-Tag. In der Küche werde viel experimentiert, neues erprobt. „Es wird auch weiter Fleisch geben, aber eben keine drei Fleischgerichte am Tag“, betonte Paschke. Ab Januar 2024 werde man so weit sein, in der Speisekarte den CO₂-Fingerabdruck für jedes Gericht auszuweisen. Es gehe nicht um erhobenen Zeigefinger, werde aber den einen oder anderen zum Nachdenken bringen.

Kritische Töne kommen aus dem Finanzministerium

Die Ernährungsstrategie, die Nonnemacher erst dem Kabinett und nun der Öffentlichkeit vorstellte, geht auf den Kenia-Koalitionsvertrag von SPD, CDU und Grünen aus dem Jahr 2019 zurück. Nonnemacher hatte sich angesichts der öffentlichen Attacken Langes im Vorfeld über den „Pseudokulturkampf“ beklagt. Selbst am Tag der Präsentation als Fachstrategie kamen aus dem Finanzministerium erneut kritische Töne. „Insbesondere braucht Brandenburg keine Kopie von Berliner Projekten, keine ‘Berliner Kantine der Zukunft’ als aufgedrängtes Vorbild“, erklärte Ministeriumssprecher Thomas Vieweg.

Eine ausgewogene Ernährung ist wichtig, aber jeder muss selbst entscheiden können

Roswitha Schier, verbraucherpolitische CDU-Sprecherin

Dagegen lobte Rahel Volz vom Ernährungsrat Brandenburg die neue Strategie als „gutes Gerüst“, als Paradigmenwechsel: „Jetzt geht es erst richtig los.“ Doch auch der politische Streit ums Essen dauert an, ein Jahr vor der Landtagswahl. Im Landtag warnten diese Woche CDU-Fraktion und Freie Wähler erneut vor Bevormundung. „Eine ausgewogene Ernährung ist wichtig, aber jeder muss selbst entscheiden können“, sagte die verbraucherpolitische CDU-Sprecherin Roswitha Schier. „Ich lehne diese Strategie deshalb ab.“ Ähnlich äußerte sich auch der Fraktionschef der oppositionellen BVB/Freie Wähler, Péter Vida: „Die staatliche Bevormundung, hübsch verpackt und tituliert als Ernährungsstrategie, macht nun auch vor den Tellern der Landesbediensteten nicht halt.“

Kritik kommt auch von links. „Was ist es wert, wenn die Strategie von der eigenen Landesregierung nicht unterstützt, ja teilweise ausdrücklich abgelehnt wird? Die meisten der vorgeschlagenen Maßnahmen müssen von anderen Ressorts umgesetzt werden. Und sie müssen finanziert werden“, erklärte der Linke-Abgeordnete Andreas Büttner, der zu Zeiten der rot-roten Koalition selbst Staatssekretär in diesem Ministerium war: „Ohne Konsens in der Landesregierung ist diese Strategie zum Scheitern verurteilt.“

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