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Leitung zum Minister. Das Mobiltelefon von Justizminister Volkmar Schöneburg am Donnerstag auf einer Pressekonferenz in Potsdam.

© Ralf Hirschberger/dpa

Affäre Schöneburg: In weiter Ferne, so nah

Als Strafverteidiger geachtet steht Justizminister Schöneburg im Verdacht, sein Amt für einen Ex-Mandanten missbraucht zu haben. Immer neue Details belasten die Koalition.

Er wollte weg sein vom großen Problem seiner Regierung, dem Flughafen BER, um den es am Freitag in Motzen ging. Weit weg. Brandenburgs Regierungschef Dietmar Woidke (SPD) hatte sich etwas Schöneres gesucht für den Tag: einen Besuch bei der Oberbürgermeisterin von Brandenburg/Havel. Doch damit war er räumlich einem ganz anderen, akuten Problem viel näher, als es ihm lieb sein konnte: dem Skandal um seinen Justizminister, der in wesentlichen Teilen in der Justizvollzugsanstalt Brandenburg/Havel spielt. Woidke hätte also vorbeischauen, sich im Gefängnis kundig machen können über das, was seinem Minister Volkmar Schöneburg (Linke) so alles vom eigenen Vollzugs- und Justizapparat vorgeworfen wird an Nähe zu und auffälliger Hilfe für den schwerstkriminellen Kindsvergewaltiger und Mädchenmörder Detlef W., 57, der einmal der Mandant des heutigen Ministers war. Tat Woidke aber nicht – der Knast in Brandenburg blieb vom Ministerpräsidenten ebenso unbesucht wie der in Motzen tagende Flughafenaufsichtsrat.

Dafür stellte sich Woidke in einer schriftlichen Stellungnahme, die sein Regierungssprecher am Freitag verbreitete, derartig machtvoll vor oder hinter seinen Minister, wie es Präsidenten von Fußballklubs tun, wenn Trainer inmitten einer Niederlagenserie keinen Schuss mehr frei haben: Woidke forderte den Minister zur Aufklärung auf – er rechne damit, dass ihm dies gelingt.

Im Politik-Deutsch liest sich das dann so: „Ich habe mit dem Justizminister gesprochen und gehe davon aus, dass der Justizminister die im Raum stehenden Vorwürfe aufklären und entkräften kann.“ Das heißt: Der Regierungschef hat seinen Minister ins Verhör genommen, sieht aber trotz des Gesprächs und trotz der Pressekonferenz des Ministers vom Donnerstag, auf der sich Schöneburg ausführlich erklärte, die Vorwürfe als noch nicht aufgeklärt an.

Schöneburg kämpft also um sein politisches Überleben. Allein und ohne echte Rückendeckung.

Wie eng es für den Justizminister ist, zeigten die Aktivitäten hinter den Kulissen: Woidke und sein Vizeregierungschef, Finanzminister Helmuth Markov (Linke), berieten sich. Markov verlies für ein Krisentreffen – ohne Woidke – eiligst die Sitzung des Aufsichtsrats der BER-Flughafengesellschaft. In Potsdam suchte man in der Koalition und in der Spitze der Linken nach Möglichkeiten, Schöneburg zu entlasten. So richtig fündig wurde man nicht.

Es wird ja auch immer enger für Schöneburg. Immer neue Details zu seinem Einsatz für den schwerstkriminellen Ex-Mandanten, den er von 2001 bis 2006 vertreten hatte, tauchen auf – und bringen Schöneburg in Erklärungsnot.

Schöneburg hatte am Mittwochabend die Zwangsverlegung des Sexualverbrechers und Mörders Detlef W. in eine andere Haftanstalt gestoppt. Nach Dienstschluss. Trotz ausdrücklich befürwortender Stellungnahmen seiner Fachleute und des dringenden Anratens der Leitung der JVA Brandenburg. Schöneburg hatte ausgeführt, dass er die Maßnahme – Wecken gegen 5 Uhr in der Frühe, Handschellen und zu ihrem Selbstschutz „gepanzerte Vollzugsbeamte“ – für unverhältnismäßig hielt für seinen einstigen Mandanten.

Die JVA-Leitung wollte W. nach Cottbus verlegen. Seine Macht im Knast war zu groß, seine Umtriebe zu heftig. Andere Gefangene in Gefahr. Wärter auch. Zu oft habe W. mit Gewalttaten gedroht – gegen sich und andere, auch gegen das Personal.

Doch statt der Verlegung gab es auf Anweisung des Ex-Anwaltes und heutigen Ministers nur eine Zellen-Durchsuchung. Dem Minister reichten die Verdächtigungen gegen seinen Ex-Mandanten nicht aus. Ihm fehlten Beweise für die kriminellen Umtriebe W.s, dem Drogenhandel, Erpressung, Nötigungen und Gewalttaten gegenüber Mitgefangenen angelastet werden.

Was die Beamten bei der Durchsuchung am Donnerstag fanden, kann dem Ex-Anwalt nicht gefallen. Noch sind die Funde nicht komplett ausgewertet, aber das Wenige, das bisher bekannt ist, reicht der Vollzugsverwaltung schon: ein verbotenes Handy und Schuldverschreibungen von Mitinsassen – allein eine einzige über die Summe von 13 000 Euro.

Eingetrieben wird so etwas in der Regel „draußen“ von Gehilfen. Wie W. zu denen Kontakt hält, wer vermittelt – offen. Ebenso die Antwort auf die einfache Frage, wie ein anderer Gefangener bei W. im Gefängnis so viel Schulden machen konnte – und wofür der das Geld brauchte. Ein Insider: „In der Regel geht es um Drogen oder Schutzgeld.“ Manchmal aber auch einfach um Geld für Tabak.

So wurde Schöneburgs Ex-Schützling dann nach der Durchsuchung doch noch verlegt: am Freitagabend – in die JVA Cottbus. So wie geplant, es führte kein Weg mehr daran vorbei. Das Ministerium legte aber Wert auf die Feststellung, dass es ohne Gewalt geschehen sei.

Es geht doch ohne Zwang – diese Botschaft sollte mit dem Schwerstkriminellen am Freitag transportiert werden. Doch darum geht es längst nicht mehr. Darum, ob Detlef W. nun mit oder ohne Handschellen, wach oder halb schlafend verlegt wird, ging es im Fall Schöneburg noch nie.

Denn über allem schwebt die Frage: Warum greift bei einer solchen Maßnahme wie der Zwangsverlegung eines Gefangenen der Minister ein? Nach Feierabend. Nachdem am Mittag seine Fachleute zugestimmt haben. Sein Staatssekretär war damit auch befasst. Normalerweise wird so etwas auf Abteilungsleiterebene verhandelt – nur in Ausnahmefällen geht das weiter nach oben. Warum reichte das bei W. nicht aus? Warum vermied der Minister, der wegen der Sonderbehandlung für W. und dessen Lebens- und Zellenpartner René N. ohnehin in der Kritik und unter Beobachtung stand, nicht den Anschein der Sonderbehandlung? Warum diese besondere Aufmerksamkeit seinerseits ausgerechnet für diesen einen Schwerstkriminellen unter all den anderen in Brandenburgs Gefängnissen?

Mit der Maßnahme an sich kann das abendlichen Eingreifen des  Ministers nach Auffassung von Vollzugsbeamten und Schöneburgs eigenen Mitarbeitern nichts zu tun haben. Denn: Diese Verlegungen innerhalb Brandenburgs finden häufiger statt. Ohne Minister.

Denn nach PNN-Recherchen steht fest: Schöneburgs Schutz für seinen ehemaligen Mandanten ist in Brandenburgs Strafvollzug ein einmaliger Vorgang. So viel Zuwendung erfuhr bisher kein Gefangener. Schöneburgs Agieren ist von der Regel weit entfernt: Noch nie hat sich in Brandenburg ein Justizminister in einen solchen Vorgang eingeschaltet und noch nie wurde eine solche Verlegung so gestoppt.

Warum dieses Mal? Warum ausgerechnet bei W.?

Die Rechtsanwältin und CDU-Landtagsabgeordnete Barbara Richstein, einst selbst Justizministerin im Land, sagte den PNN am Freitag: „Der Justizminister hat erklärt, dass er die vorgesehenen Maßnahmen der Durchsuchung des Haftraums und der Sicherungsverlegung wegen Unverhältnismäßigkeit untersagt hat. In Wirklichkeit hat er Schwerstkriminellen erneut einen Gefallen getan und dafür Leben und Sicherheit von Justizbediensteten und Mitgefangenen aufs Spiel gesetzt.“ Auf Schöneburgs Erklärung gibt sie nicht viel: „Auf sein Motiv kommt es dabei nicht an. Er ist er als Justizminister untragbar.“ Der Grund: Er habe den Anschein der gezielten Einflussnahme und er eigenen Befangenheit nicht vermieden, den Verdacht selbst herbeigeführt, einen ehemaligen Mandanten zu bevorzugen – gegen seine Beamten. Richstein: „Unerträglich ist, dass der Ministerpräsident ihm politisch den Rücken stärkt, statt sich an die Seite der Beschäftigten zu stellen.“

Überhaupt der Minister und seine Beschäftigten: Der Minister glaube inzwischen, so wird aus seinem Umfeld gestreut, ihm sei eine Falle gestellt worden. Was aber seinen Vollzugs- und Justizapparat so gegen sich aufgebracht haben könnte, dass sich die Mitarbeiter auf fast allen Ebenen eine derartig gewaltige Intrige einfallen lassen könnten – unklar. Wenn es tatsächlich eine Falle war: Warum tappte der Minister dann hinein? Was trieb ihn? Und: Welches Klima herrscht in dem Ministerium, wenn der Minister glaubt, sein Apparat arbeite gegen ihn, ja wolle ihn aus dem Amt jagen? Was sagt das über die Hausleitung? Was über die Justiz in diesem Land? Wie groß ist der Zweifel des Ministers gegenüber seinen Untergebenen?

In Vollzugskreisen heißt es, als der Minister noch der Anwalt von W. und N. und des Öfteren zu Besuch in der JVA gewesen sei, seien auffällig oft wertvolle, im Knast handelbare Gegenstände aufgetaucht – etwa wertvollere Uhren, Mobiltelefone. Schöneburg hat den verbreiteten Verdacht, er habe diese Gegenstände als Anwalt mitgebracht, zurückgewiesen. Mehr als das Gerücht gibt es auch nicht. Aber es wird gestreut.

Kein Gerücht aber ist der direkte Draht des Strafgefangenen Detlef W. zum Minister. Noch am Donnerstag hatte Schöneburg einen PNN-Bericht bestätigen müssen, wonach ihn sein Ex-Mandant regelmäßig auf dem Mobiltelefon anruft. Schöneburg sagte, er habe die Anrufe nicht angenommen – W. habe ihm auf die Mailbox gesprochen. Was er mit den dort hinterlassenen Informationen anfing, welche Folgen diese hatten und was der Gefangene seinem Vollzugsminister so erzählte, ob und was er von ihm forderte – die Antworten darauf sind offen. Nur so viel von Schöneburg: Es sei ein Fehler gewesen, seine Handynummer für Anrufe aus der Telefonzentrale der Haftanstalt nicht gesperrt zu haben.

Dabei hätte er, wenn er die Anrufe des Ex-Mandanten nicht haben wollte, allen Grund gehabt, sein Telefon für diesen zu sperren. Denn der war ständig dran am Apparat des Ministers. Allein an sechs Tagen Ende November/Anfang Dezember sind zwölf Anrufe von W. auf das Mobiltelefon des Ministers vom Telefon der JVA Brandenburg aus registriert. Und das ist nach PNN-Recherchen keine Ausnahme. Das ist seit Jahren die Regel.

Die Opposition im Landtag hat genug. Ebenso die Kommentatoren der Regionalzeitungen. Das einhellige Urteil: untragbar im Amt, dieser Minister.

CDU, FDP und Grüne fordern Konsequenzen. CDU-Chef Michael Schierack sagte: „Für uns ist Justizminister Schöneburg nicht mehr tragbar.“ Die FDP-Rechtsexpertin Linda Teuteberg forderte den Minister zum Rücktritt auf. Sollte es Schöneburg nicht gelingen, den Eindruck einer Begünstigung früherer Klienten restlos ausräumen, wäre er als Minister nicht zu halten, erklärten die Grünen.

Schöneburgs Vorvorgängerin Richstein resümierte den Fall am Freitag gegenüber den PNN so: „Ein Strafgefangener, der sich grausamster Sexualstraftaten an Kindern schuldig gemacht und in der Haftanstalt offenbar kriminelle Strukturen aufbauen konnte, behauptet, den Justizminister in der Hand zu haben. Und dieser räumt das nicht eindeutig aus, sondern versteckt sich hinter angeblich nicht abgehörten Mailboxen, auf die der Gefangene seit Jahren ohne Antwort sprechen soll.“ Ihr Fazit: „Erpressbarkeit und der Anschein der Erpressbarkeit müssen bei einem Justizminister zum sofortigen Rücktritt führen.“ Jeder Tag des Abwartens beschädige die Justiz des Landes „in unvertretbarer Weise“.

Am kommenden Donnerstag soll sich Schöneburg in einer Sondersitzung des Rechtsausschusses des Landtags zu den Vorwürfen äußern. Ob er dann noch im Amt ist, ist gegenwärtig völlig offen und hängt allein von der Führung der Linken ab. Der hat die SPD das Schicksal des Ministers in die Hand gelegt.

Und die versucht, den Spieß umzudrehen. Die Rechtsexpertin der Linksfraktion, Margitta Mächtig, sieht Aufklärungsbedarf bei der Anstaltsleitung: „Normalerweise muss kontrolliert werden, welche Telefonnummern ein Häftling anrufen darf“, sagte Mächtig. „Außerdem hätte auch die Anstaltsleitung die Verhältnismäßigkeit einer Verlegung unter Zwang prüfen müssen.“

Doch genau das war geschehen. Schöneburg hatte sich gegen die Prüfungen seiner Experten gestellt. Ganz allein.

Mitarbeit: Alexander Fröhlich und Thorsten Metzner

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