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Brandenburg-Berlin: „Es kann nicht genug Problembewusstsein geben“

Hermann Rudolph, Publizist und Herausgeber, über den schwierigen Wandel und die Stasi-Aufarbeitung ostdeutscher Zeitungen: Die früheren DDR-Medien waren und sind Teil der ostdeutschen Gesellschaft, mit ihren Stärken und Schwächen

Die Operation liegt hinter uns, der Patient lebt, aber ganz frei von den Folgen des Eingriffs und seinen Belastungen ist er noch nicht. Also stellt sich die Frage: Ist der sogenannte Transformationsprozess der DDR-Medien, die Umwandlung eines autoritär und ideologisch geprägten Systems in eine demokratische und pluralistische Medienlandschaft, gelungen? Oder hat er zu viele faule Kompromisse in Kauf genommen? Das Gutachten, das Ariane Mohl für die Enquete des Brandenburger Landtags erarbeitet hat, ist auf Skepsis gestimmt - zu viel Kontinuität, zu wenige entschlossener Neuanfang, mehr Bereitschaft, sich mit der Vergangenheit zu arrangieren, als sich mit ihr auseinanderzusetzen. Bevor man zu einem Urteil über diesen Befund kommt, ist allerdings die Feststellung fällig, dass am Anfang dieses Prozesses eine denkwürdige Fehlentscheidung stand. Die Entscheidung der Treuhandanstalt, die DDR-Medien sozusagen eins-zu-eins an Medienunternehmen in der Bundesrepublik zu verkaufen, bedeutet nichts anderes als eine Fortführung der DDR-Medienwelt mit kapitalistischen Mitteln. Und der einzige Trost dabei ist, dass sich gezeigt hat, dass der Kapitalismus es besser kann.

In dieser Wende war die Kontinuität angelegt, die viele beklagen, die auch das Gutachten kritisiert. Es bleibt ja auch staunenswert, wie exakt die Struktur der neuen Medienlandschaft der alten entspricht, wie in den Verbreitungsgebieten die längst dahingeschiedenen Bezirke noch gegenwärtig sind, und wie wenig marktwirtschaftlicher Wettbewerb entstanden ist. Es liegt auch auf der Hand, dass die Verpflichtung zur Erhaltung möglichst vieler Arbeitsplätze, die die Treuhandanstalt den westdeutschen Käufern auferlegte, einen personellen Elitenwechsel nicht gerade förderte. Wahr ist auch, dass die politischen Konsequenzen dieser Ordnung des DDR-Medienmarktes offenbar niemanden besonders interessiert haben. Was niemanden zu wundern braucht – bei der Treuhand wie bei den Käufern ging die strikt betriebswirtschaftliche Zielrichtung Hand in Hand mit der Ahnungslosigkeit in Bezug auf die Verhältnisse in der DDR.

Tempi passati: Die deutsche Vereinigungsgeschichte ist eine Erfolgsgeschichte, aber sie hat ihre blinden Stellen. Andererseits: Die Medien in den neuen Bundesländern haben in den vergangenen zwanzig Jahren einen weiten Weg zurückgelegt. Sie waren gewiss nicht die Speerspitze der Auseinandersetzung mit der Vergangenheit. Sie waren – und sind - ein Teil der ostdeutschen Gesellschaft, ihrer Stärken und Schwächen. Und was ihren eigenen Wandel angeht, so dürfte er in etwa dem entsprechen, den die Gesellschaften hinter sich gebracht haben, in denen und für die sie gemacht wurden. Er ist nicht gering zu veranschlagen. Es ist eine beachtliche Leistung, dass aus einem ideologisch verkarsteten Medienwesen, das den Bedürfnissen seines Publikum fast alles schuldig blieb, eine Medienlandschaft geworden ist, die im Großen und Ganzen mit der alten Bundesrepublik mithalten kann. Um zu dem Schluss zu kommen, in den Medien ein „retardierendes Element der politischen Entwicklung“ zu erkennen – wie Elisabeth Noelle-Naumann getan hat -, muss man sehr geradlinig an der Wirklichkeit vorbeiurteilen; das galt schon für 1993, als die Allensbach-Chefin ihre Kritik äußerte, heute trifft es erst recht zu.

Gewiss kann man finden, dass das für den Prozess, in dem sich die neuen Länder befunden haben, zu wenig ist. Hätte es da nicht Medien gebraucht, die die Auseinandersetzung mit dem DDR-Erbe offensiv angingen? Und besteht ein Grund dafür, dass das zu selten geschah, nicht tatsächlich in der halbherzigen Aufarbeitung der eigenen Rolle? Natürlich wäre es besser gewesen, wenn von Anfang an vor allem die Stasi-Aufarbeitung in den Redaktionen konsequent betrieben worden wäre. Es gibt zu viele Beispiele, die daran zweifeln lassen, und in dieser Hinsicht sind Chefredakteure und Verlage der Aufgabe, das Medienwesen neu zu ordnen, nur bedingt gerecht geworden. Andererseits leistet man diesem Thema keinen guten Dienst, wenn man fordert, dass die Aufarbeitung ganz oben auf der Agenda hätte stehen müssen. Erst recht, wenn sich daran reflexhaft der Gedanke nach Überprüfungen oder gar neuen gesetzlichen Möglichkeiten anschließt.

Das leidige Thema braucht weniger neue Überprüfungs-Prozeduren, jedenfalls im überschaubaren Rahmen von Redaktionen, als vielmehr Problembewusstsein. Es konnte und kann gar nicht genug davon geben. Im praktischen Fall heißt das: Gespräche, Maßstäbe, persönliche Konfrontation, schließlich Entscheidungen - nur im Eingehen auf den einzelnen Fall, im Umgang mit seinem besonderen Kontext ist eine faire Beurteilung – oder eben Verurteilung – denkbar. Man muss in Bezug auf die DDR-Vergangenheit daran festhalten, dass zur grundsätzlichen Bewertung die Differenzierung gehört: Überzeugungstäter sind nicht das gleiche wie verführte Gutmenschen, wer sich skrupellos der Stasi andiente ist anders zu sehen als jemand, der schließlich dem Druck nachgab, und die SED war ein anderes Kaliber als die Blockparteien, so opportunistisch sie waren. Zur DDR-Geschichte sind zwanzig Jahre Nach-Wende-Geschichte gekommen, bald die Hälfte des Zeitraum der Existenz der DDR. Das löscht schuldhaftes Verhalten und Verstrickungen nicht aus, aber es setzt sie unter andere Vorzeichen – Erprobung und Bewährung.

Ohnedies ist der Situation, in der sich die Medien in den neuen Ländern befunden haben – und zum Teil auch noch befinden –, nur gerecht zu werden, wenn man ihre besondere Lage nicht außer Acht lässt. Sie mussten ihre Rolle in einem schwierigen Umbruchprozess finden, angesichts der Verunsicherungen, mit denen ihr Publikum zu ringen hatte, inmitten einer sich rapide verändernden Umwelt und einer Wirtschaft, die nur langsam wieder Boden unter den Füßen gewann. Unter diesen Umständen mussten sie ihren Platz in der Öffentlichkeit nicht nur halten – wie die Medien in der alten Bundesrepublik -, sondern ihn überhaupt erst gewinnen. Das erforderte mühsame Spagat-Anstrengungen - zuzüglich zu den Anspannungen, vor denen heute alle Medien unter dem Druck technologischer Veränderungen und des sich wandelnden Verhaltens des Publikums stehen. In diesem Kontext stellt sich für die Medien in den neuen Ländern die Notwendigkeit, ein überzeugendes Verhältnis zur DDR-Vergangenheit zu finden. Es ist für sie eine besondere, lebenswichtige Herausforderung, weil sie sie mit sich selbst konfrontiert, mit ihren Ursprüngen und denen ihrer Leser und Hörer. Aber so, wie sich die Dinge entwickelt haben, können sie sich ihr durchaus mit Selbstbewusstsein stellen.

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