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Bodenreform-Affäre: Erbschleicher Brandenburg

Bodenreform-Affäre: Vom Land geprellte Neubauernerben erhalten jetzt ihre Grundstücke wieder.

Es war einer der größten Skandale im Brandenburg der Nachwendezeit. Die Rede ist von der „Bodenreform-Affäre“, um die es mittlerweile still geworden ist. Dabei sind Regierungsapparat, Gerichte und Kommunen weiterhin damit beschäftigt, sie aufzuarbeiten, auch anno 2015 noch. „Das Bemühen des Landes um Wiedergutmachung bleibt unbefriedigend“, sagt etwa der Potsdamer Rechtsanwalt Thorsten Purps. Sein Spezialgebiet sind offene Vermögensfragen in Ostdeutschland. Gut 4000 bis 5000 Mandate hatte er seit 1992. Aber wie Brandenburg mit Bodenreformland umging, was er in einem Buch akribisch rekonstruierte, lässt ihm keine Ruhe.

Alles begann mit einem spektakulären Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH) vom 7. Dezember 2007, das Brandenburg bundesweit in die Schlagzeilen brachte. Der BGH rügte, dass sich das Land „sittenwidrig“ und „eines Rechtsstaates unwürdig“ Grundstücke angeeignet hatte. Früheres Bodenreformland, das nach 1990 den Erben der Neubauern hätte wiedergegeben müssen. Es waren einfache Leute, die die Parzellen bei der Bodenreform 1945 erhalten hatten, die sie später im Zuge der Zwangskollektivierung wieder verloren, der ersten kalten Enteignung. Nach der Wiedervereinigung, so sahen es die Gesetze vor, sollten die Erben, die noch in der Landwirtschaft tätig sind, die Äcker wieder erhalten. So hatten alle ostdeutschen Länder in den 90er Jahren Suchprogramme gestartet, um die Erben aufzuspüren, auch Brandenburg. Allerdings zu spät und nicht konsequent, wie später der Untersuchungsausschuss des Landtages feststellte. Die verhängnisvollste Entscheidung fiel, als im Jahr 2000 eine Frist ablief. Auf Anweisung des Finanzministeriums erklärte sich damals das Land kurzerhand selbst zum Vertreter der unbekannten Neusiedler – und ließ sich in tausende Grundbücher als Eigentümer eintragen. Mit einem Federstrich wurde Brandenburg so um rund 9000 Grundstücke reicher, mit einem geschätzten Wert von 50 bis 90 Millionen Euro. Der BGH verglich diese Willkürpraxis ausdrücklich mit Enteignungen in der SED-Diktatur. Das Land habe, sagt Purps, nach der Methode gehandelt, „in dubio pro Fiskus“.

Kaum jemand hätte es vorher für möglich gehalten, dass ausgerechnet im seit 1990 „roten“ Brandenburg die Gewinner der Bodenreform geprellt werden könnten. In dem Land, das unter SPD-Ministerpräsident Manfred Stolpe in den Aufbaujahren den Beinamen „Kleine DDR“ hatte, wo die Landesregierung stets vehement dafür stritt, dass niemand die Bodenreform antastete. Das machte man nun selbst. Und die politische Verantwortung dafür übernahm nie jemand.

Der Untersuchungsausschuss kam 2009 im Abschlussbericht lediglich zu dem Ergebnis, dass angeblich ein „Eigenleben“ des Apparats im Finanzministerium – wie bei einigen Affären vorher auch – schuld war. Auch Brandenburgs Strafjustiz ließ alles auf sich beruhen. Dabei hatte Purps bereits 2006 eine Strafanzeige gestellt, die danach eineinhalb Jahre lang unbearbeitet liegenblieb. Dass die dann im März 2008 aufgeschreckte Staatsanwaltschaft nicht einmal Ermittlungen einleitete, keinen Beteiligten befragte, aber innerhalb von ein paar Tagen – trotz 14 Aktenordnern Material – die Akte schloss, macht Purps noch heute wütend. „Das grenzt an Strafvereitelung im Amt.“

Nach dem Urteil veranlasste Brandenburgs Regierung zumindest, dass das Land wieder aus den Grundbüchern getilgt und die Suche nach den rechtmäßigen Besitzern wiederholt wird, was nach Bildung der rot-roten Regierung der neue Finanzminister Helmuth Markov (Linke) ab 2010 forcierte. Die Bilanz? Die Antwort des Finanzministeriums auf die Anfrage der PNN bringt bemerkenswerte Zahlen zutage. Danach haben sich landauf und landab vorher angeblich unauffindbare Erben gemeldet. Bis Juli 2015 sind für 5221 Grundstücke – 8710 sind es insgesamt – Übertragungsanträge eingegangen. „Auch wenn die Intensität nachgelassen hat, gehen auch heute noch weitere Rückgabeanträge ein“, sagt Finanzstaatssekretärin Daniela Trochowski (Linke). „In 3005 Fällen stellten sich die Rückgabebegehren als berechtigt heraus.“ Etwa jeder dritte Eigentümer wurde also gefunden. In 2061 Fällen wurde das Bodenreformland, insgesamt 4209 Hektar, zurückgegeben. Und dafür hatte gereicht, dass es Aufrufe in Regionalzeitungen und im Bundesanzeiger gab, dass in örtlichen Amtsblättern Flurstücke mit den Namen der im Grundbuch vor dem Land zuletzt eingetragen Eigentümer veröffentlicht wurden. Kein großer Aufwand, eigentlich. Für Purps sind diese Zahlen ein weiterer Beleg dafür, dass man vor der Enteignung mit Kalkül operiert hatte, als das Finanzministerium etwa die Kreise anwies, die Erbensuche „auf ein Minimum zu reduzieren“.

Trotzdem ist Purps überzeugt, dass Brandenburg viel weiter sein könnte. „Denn es wird immer noch weniger getan als das, was möglich wäre“, sagt er. So müssten endlich, eine Forderung seit Jahren, „professionelle Erbenermittler eingeschaltet werden“. Er sei sich sicher, dass die Erfolgsquote „in kurzer Zeit bei 80, 90 Prozent liegen würde“.

Bislang hat das Land dies abgelehnt, wohl wegen der Kosten. Allerdings gibt es nun vielleicht erstmals Bewegung, nachdem sich Purps deshalb jüngst noch einmal an Finanzminister Christian Görke (Linke) wandte. Es werde „überlegt, auch gewerbliche Erbenermittler in die Recherchen einzubeziehen“, heißt es in einem Antwortschreiben des Ministeriums vom 10. August. Gleichwohl sei „die Meinungsbildung noch nicht abgeschlossen“. Und nach seinen bisherigen Erfahrungen mit Brandenburgs Institutionen habe er daher immer noch die Sorge, sagt Purps, „dass die Bodenreform-Affäre im Sande verläuft“. Thorsten Metzner

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