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Lebenslänglich. Der Ex-Bürgermeister von Ludwigsfelde Heinrich Scholl ist wegen Mordes an seiner Ehefrau zu einer lebenslangen Haftstrafe verurteilt worden.

© Marc Tirl/dpa

Brandenburg: Der tiefe Fall des Heinrich Scholl

Er hat alles verloren. Einst angesehener Bürgermeister zwischen Polit-Promis, nun als verurteilter Mörder im Gefängnis – reichlich Stoff für ein Buch. Das kommt nun auf den Markt

Ludwigsfelde - Juristisch ist der Fall abgeschlossen: Wegen Mordes an seiner Frau verbüßt der Ex-Bürgermeister von Ludwigsfelde (Teltow-Fläming), Heinrich Scholl, eine lebenslange Freiheitsstrafe. Der 71-Jährige beteuert noch immer seine Unschuld, arrangiert sich aber mit dem Haftalltag in Brandenburg/Havel. Im Sommer hat er sich um die Blumen im Hof gekümmert, inzwischen schreibt er für die Gefangenenzeitung, malt wieder und hat sich mit Rockern angefreundet, berichtet die Berliner Journalistin Anja Reich. Am 11. April erscheint ihr Buch „Der Fall Scholl – Das tödliche Ende einer Ehe“.

Schon im Vorfeld entfacht es erneut die Diskussion um Schuld oder Unschuld in der 24 000-Einwohner-Stadt am Südrand Berlins. Eine Lesung am 28. April in der Aula der Gottlieb-Daimler-Schule in Ludwigsfelde sei nahezu ausverkauft, sagt Veranstalterin Sabine Marx. „Die Leute sind immer noch sehr bewegt und spielen alle möglichen Varianten durch“, sagt sie.

Justitia hat keine Zweifel: Seit Anfang Februar ist Heinrich Scholl rechtskräftig verurteilt. Der Bundesgerichtshof (BGH) hat seine Revision gegen das Urteil des Landgerichts Potsdam von Mai 2013 als unbegründet verworfen. Damit ist der tiefe Fall des einstigen Machers von Ludwigsfelde, den Fotos mit Altkanzler Gerhard Schröder (SPD) oder Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) zeigen, besiegelt: Der 71-Jährige verbringt seinen Ruhestand hinter Gittern.

„Er lacht, er weint, in einem Moment ist er verbittert wie ein alter Mann und im nächsten übermütig wie ein Junge“, schreibt Buchautorin Reich. Im monatelangen Indizienprozess hat der einst erfolgreiche SPD-Kommunalpolitiker mit versteinerter Miene geschwiegen – mit ihr hat er gesprochen. Die leitende Redakteurin bei der „Berliner Zeitung“ besuchte ihn mehrfach in der Haft. „Er hat mir sein ganzes Leben erzählt und es parallel aufgeschrieben. Ich glaube, das hat ihm selbst auch gutgetan“, sagte die Autorin der Nachrichtenagentur dpa. Möglicherweise habe das Projekt ihn in seiner Eitelkeit getroffen.

„Ich habe während des Prozesses gemerkt, dass die Geschichte viel größer ist, als dass man es in einen Zeitungsbericht fassen kann“, beschreibt Reich den Ausgangspunkt für das Buch.

Wie sie empfanden viele der Prozessbeobachter. Neben den familiären Abgründen, die sich oft in Mord- oder Totschlagsprozessen öffnen, machte die Verhandlung viele weitere Facetten sichtbar: den Aufstieg eines Mannes, der Anerkennung und Liebe sucht. Eine deutsche Kleinstadt, die unter den Nazis zum Industriestandort wurde und vor allem von der Automobilproduktion geprägt ist. Einwohner der aufstrebenden Stadt, in der Scholl nach der Wiedervereinigung als Bürgermeister von 1990 bis 2008 den Ton angab und neben Polit-Prominenz glänzte. Geschichten von Schuld, Scheitern und Versagen, von Schein und Sein.

Reich greift diese Aspekte auf, indem sie detailreich den Prozess nachzeichnet. Zeugenaussagen werden teils ergänzt durch eigene Gespräche mit Freunden und Bekannten des Paares. Auch bei einem Klassentreffen, das die später Ermordete vor ihrem Tod organisierte, ist sie im Oktober 2013 dabei. Wie schon vor Gericht erfährt der Leser pikante Details aus dem Privat- und Intimleben des einst angesehenen Mannes: von den jahrelangen Demütigungen Scholls durch seine dominante Frau. Wie er sich ins Bordell flüchtete und von einer thailändischen Prostituierten ausgenommen wurde, die er als Geliebte sah. Dass er erotische Fantasien auch als Buch veröffentlichte.

Sohn Matthias, der im Prozess als Nebenkläger auftrat und die zerrüttete Ehe beschrieb, kommt nicht zu Wort. Er wollte es nicht.

„Er möchte so weit wie möglich zur Normalität zurückkehren“, sagt sein Anwalt Sven Rasehorn. Noch kümmert er sich um das Haus der Eltern in Ludwigsfelde. Bald wird das Geschichte sein: „Das Haus wird im Einvernehmen verkauft. Es gibt keine strittigen Erbansprüche des Adoptivvaters mehr, nachdem er infolge seiner rechtskräftigen Verurteilung erbunwürdig geworden ist“, berichtet Anwalt Roy Riedel.

„Heinrich Scholl ist am Ende seines Lebens wieder genauso allein wie am Anfang“, schreibt Reich. „Ich habe überhaupt nicht damit gerechnet, verurteilt zu werden, weil ich es wirklich nicht war“, zitiert sie Scholl. Nach Überzeugung der Richter setzte er jedoch seiner zerrütteten Ehe ein Ende, indem er am 29. Dezember 2011 seine Frau Brigitte bei einem Waldspaziergang heimtückisch erdrosselte.

Seine Anwälte haben noch nicht aufgegeben. Laut Reich haben sie Verfassungsbeschwerde eingereicht, um zu erfahren, wie die BGH-Entscheidung entstanden ist. Verteidigerin Heide Sandkuhl kommentiert dies nicht.

„Tragisch, einfach nur tragisch“, meint Marx, die Veranstalterin der Lesung. Sie ist gespannt auf die Lesung und die anschließende Diskussion. Das Buch greift die Gerüchte auf, die Stoff für andere Tatversionen liefern. Sie reichen vom unbekannten Dritten über einen Liebhaber des Opfers bis hin zu einem Selbstmord, den Brigitte Scholl so inszeniert haben soll, dass ihr Mann in Verdacht gerät.

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