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Fraktionsmacht. Margitta Mächtig soll bis zu den Landtagswahlen die Linksfraktion führen.

© dpa

Brandenburg: Aus dem Knick gekommen

Von der Pionier- zur Fraktionsleiterin: Nach der Wende fasste Margitta Mächtig schwer Fuß außerhalb der Linkspartei

Ist die Frau, die ab diesem Donnerstag die Linke-Fraktion im brandenburgischen Landtag leiten soll, symptomatisch? Für den Zustand der Fraktion? Für die politische Elite des brandenburgischen Landesverbandes ihrer Partei? Fragt man sich durch Landtag und Parteiebenen, lautet die Antwort: eher ja. Die Linken finden sie – in der Masse – gut. Die anderen trauen ihr nichts zu. Aber selbst bei den Linken heißt es: Sie ist Übergang. Oder wie es einer aus der Bundesebene sagt: „Bis zur Wahl ist es ja nicht mehr lang. Das geht schon noch.“

Vorschusslorbeeren ist das Gegenteil von dem, was Margitta Mächtig, 57, erhält, bevor sie heute zur Fraktionschefin der Linken wird. Auch bei der SPD, dem großen Koalitionspartner, zucken sie eher mit den Schultern: Im Landtagswahlkampf könne man sich nichts Einfacheres vorstellen – für die SPD als Konkurrenten natürlich –, sagt einer der Strategen der Partei: „Passt schon.“

Die Adjektive, die fallen: verlässlich, fleißig, unintellektuell, schnodderig bis derb, lebenslustig, lustig, bodenständig im Auftritt. Mutter zweier Kinder ist Mächtig, laut Eigenauskunft in einer Lebensgemeinschaft auf einem Generationenhof nördlich von Berlin lebend. Im Zweifel eher laut als leise, angriffslustig, nicht zu übersehen und einmal in Fahrt auch nicht zu überhören. Angehörige einer Schicht, die man so gehäuft bei der Linken weiter vorn und oben nur noch in Brandenburg findet: der alten SED-Kaderelite. Und damit Angehörige jenes Kreises, der nach der friedlichen Revolution von 1989 außerhalb der Funktionärs- und Parteistrukturen in der Wirtschaft und auf dem freien Arbeitsmarkt nur schwer bis gar nicht Fuß fassen konnte: ausgebildet erst zur Pionierleiterin, dann zur FDJ-Funktionärin und dann zur DDR-Diplom-Gesellschaftswissenschaftlerin. Die Richtung war klar: aufwärts auf der Karriereleiter im Diktaturapparat der SED. Stattdessen: Karriereknick durch Machtverlust mit Wende.

Abgeschlossen hat Mächtig ihr Partei-Studium noch 1990 – nach der Wende, die ihr dazwischenkam. Dann: ein kurzes Intermezzo als Kellnerin und Gastronomin in Bernau, Arbeitslosigkeit und mehrere Weiterbildungen und Umschulungen: IHK-Nachweis als Gastronomin, Notargehilfin, Fachwirtin für Kongresswirtschaft. Schließlich: von der Partei als Geschäftsführerin des parteinahen Vereins „Kommunalpolitisches Forum Land Brandenburg e. V.“ aufgefangen. Und nun, ab heute: so weit vorn in den Reihen der Landtagsfraktion, wie es nur geht: ganz vorn.

Ein Brandenburg-Kenner von der Linke-Bundesebene meint, sie schaffe das schon mit der Fraktion. Bis zum Sommer. Dann sei ja Pause, danach Landtagswahlkampf. Und danach sei die Fraktion eine andere: „Jünger.“ Schaffe die Partei ein Ergebnis deutlich über 20 Prozent, dann werde mehr als die Hälfte der Fraktion aus der Generation U 35 bestehen: „Dann herrscht Wandel, das weiß Margitta.“

Dass jemand wie sie nun ganz oben ist, beschreibt den Zustand der Fraktion, die noch mit der intellektuellen Kerstin Kaiser an der Spitze in die rot-rote Koalition gestartet war: neben ein paar jungen wie Peer Jürgens noch viel mittelalte bis alte Garde. Nach allerlei Stasi-Fällen und internem Machtkampf sitzt Kaiser nun ganz hinten – erst entmachtet von Christian Görke, dem Zielstrebigen, der seit Mittwoch sein Ziel erreicht hat: Minister für Finanzen, und von Thomas Domres, einem netten aus der Prignitz. Spitze ist jetzt Mächtig.

Die Görkes, Mächtigs und Domres’, die wie fast die ganze Fraktion selbst bei der Landtagseröffnung die Nationalhymne nicht über die Lippen kriegen, sind die alte, dritte Reihe, die hinter Kaiser und vor allem den früher an der Fraktionsspitze sitzenden Links-Intellektuellen wie Michael Schumann oder Lothar Bisky – beide Vordenker der gesamten Ostlinken, beide verstorben – nicht groß geworden ist. Damals, in den 1990er-Jahren und Anfang der 2000er, hatte die Linke aus Brandenburg in Berlin noch Gewicht – ein Steuerseil der Partei endete in Potsdam, in der erst PDS-, dann Linkspartei- und nun Linke-Fraktion. Doch vorbei sind die Zeiten, in denen wesentliche Impulse aus Potsdam kamen. Stattdessen: zerrüttet das Verhältnis zum Chef der Bundestagsfraktion, Gregor Gysi, nicht vorhanden das zu Sarah Wagenknecht. Schwer gestört das Verhältnis zur langjährigen Bundestags-Spitzenkandidatin für Brandenburg, Dagmar Enkelmann. Die wollte für den Landesverband nicht mal mehr antreten.

Bei der Landesspitze hat man sich ein dickes Fell zugelegt. Im Zweifel, so sagt es ein Mitglied der Parteiführung im Land, sei es besser, nicht auf alles aus Berlin zu reagieren. In Berlin nennen sie das Sturheit, in Potsdam halten sie das für nachhaltiger – und schlauer. Brandenburg tickt eben anders. Nicht alles müsse laut und nach außen diskutiert werden. Aber im Zweifel: Sind die Reihen dann doch fest geschlossen, wenn es von außen Gegenwind gibt. So wie im Fall Volkmar Schöneburg – da ist dann auch Margitta Mächtig kaum zu halten.

Sie fiel im Rechtsausschuss des Landtages selten wirklich auf; bis Justizminister Volkmar Schöneburg (Linke) im Dezember 2013 über allzu enge Verbindungen zu schwerkriminellen Ex-Mandanten aus dem Amt stolperte. Die Linke – Mächtig und Görke voran – witterte eine Verschwörung von „interessierten Kreisen“ im Justizministerium und politischen Gegnern, der Gefängnisverwaltung und – natürlich – den Medien. Was Mächtig wurmte: Justizmitarbeiter hatten offenbar das Treiben des Ministers nicht mehr hinnehmen wollen und den Ausweg über die Öffentlichkeit gewählt. Die Linke-Rechtsexpertin Mächtig machte auf Facebook deutlich, was sie von so viel Freiheit hält: „Diese Justiz braucht dringend eine Reform!!!“ Gemeint war das Personal.Peter Tiede

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