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Olaf Scholz (SPD), Bundeskanzler, aufgenommen beim Nato-Gipfel im litauischen Vilnius.

© picture alliance / photothek/Thomas Trutschel

Zwischenbilanz vor der Sommerpause: Kann Olaf Scholz wirklich Kanzler?

Anderthalb Jahre ist Scholz nun im Amt. Am Freitag läutet er die inoffizielle Sommerpause mit einem Auftritt vor der Hauptstadtpresse ein. Er könnte den Termin als Chance nutzen.

Ein Kommentar von Christian Tretbar

Die politische Hinrunde des Jahres 2023 geht am Freitag zu Ende. Traditionell stellt sich der Bundeskanzler vor der Verabschiedung in die Sommerpause den Fragen der Hauptstadtpresse. Die Auftritte sind meist launig, es wird gewitzelt, gefrotzelt und auch ein bisschen rekapituliert. Manchmal wird es sogar wegweisend. So wie Angela Merkels Auftritt 2015 als sie im Sommer der Flüchtlingskrise den Bürgerinnen und Bürgern versicherte: „Wir schaffen das“.

Es sind aber auch Auftritte, bei denen ein Kanzler politisch vermessen wird. Was strahlt er aus? Wofür steht er? Wie denkt er über Deutschland, Europa und die Welt? Bei Angela Merkel war das irgendwann keine wirkliche Frage mehr, man kannte sie. Scholz ist jetzt anderthalb Jahre im Amt. Er steht dem ersten Dreier-Bündnis im wiedervereinten Deutschland vor, das in den vergangenen Monaten vor allem durch endlosen Streit von sich reden machte. Deshalb schwingt bei ihm eine ganz andere Frage mit: Kann Scholz wirklich Kanzler?

Die Frage kann man aus unterschiedlicher Perspektive beantworten. Da ist die politisch-taktische Sichtweise. Betrachtet man seine Art zu regieren aus diesem Blickwinkel, kann man dem Kanzler zumindest Cleverness attestieren. Er legt sich nicht früh fest, wartet ab, lässt selten durchblicken, wofür er steht. Scholz ist politisch zugeknöpft. Das ermöglicht es ihm, flexibel zu sein, reagieren zu können, wenn er weiß, welche Richtung erfolgversprechend ist.

Scholz setzt auf die Schwäche der Anderen

Es ist kein Zufall, dass die Umfragewerte für Scholz vielleicht nicht rosig sind, aber meist besser als die seiner unmittelbaren schwarzen und grünen Konkurrenz. Er profitiert von den Schwächen der Anderen. Und solange die sich zerlegen, schaut man nicht so sehr auf ihn. Das ist schlau.

Aber ist es auch gut so? Entspricht das dem, was man sich von einem Kanzler wünscht? Eher nicht. Damit kommt die zweite Perspektive ins Spiel: die staatspolitische. Ein Kanzler hat nicht die gleichen Kompetenzen wie ein französischer oder amerikanischer Präsident. Aber er hat genug Möglichkeiten, politische Führung zu zeigen. Nutzt Scholz diese? Zu selten.

Ja, er hat zu Beginn des russischen Krieges gegen die Ukraine Führung bewiesen, indem er die Zeitenwende ausrief. Und er hat Führung gezeigt, als sich FDP und Grüne über eine kurzzeitige Verlängerung der AKW-Laufzeiten völlig zerstritten hatten.

Dem Kanzler gleiten aktuell zu viele Dinge aus der Hand

Aber sonst taucht er einfach zu oft ab. Lässt die Dinge laufen, in der Hoffnung, am Ende ohne großes Zutun auf der Siegerseite zu stehen. Er geriert sich als eine Art Manager hinter den Kulissen. Das ist auch Teil seines Jobs, aber erstens nur die eine Hälfte und zweitens gleiten ihm dafür die Dinge aktuell zu oft aus der Hand. Das Heizungsgesetz, das wie ein AfD-Turbo wirkte, ist ein Beispiel, die Debatte um den Haushalt ein anderes.

Olaf Scholz muss jetzt zeigen, dass er konstant politisch führen kann. Denn die Verunsicherung in erheblichen Teilen der Bevölkerung ist groß, die Überforderung auch. Die Zeitenwende ist mannigfaltig.

Da ist die sicherheitspolitische Wende, ausgelöst durch den Krieg im Herzen Europas; da ist die klimapolitische Wende, die eine Industrienation wie Deutschland vor enorme Herausforderungen stellt; da ist die gesellschaftspolitische Wende, die geprägt ist von mehr Liberalität, von einigen aber als Entwertung ihrer bisherigen Lebensweise (miss-)verstanden wird; und da ist die digitale Zeitenwende, eingeleitet durch die rasante Entwicklung Künstlicher Intelligenz und neuer Quantencomputer, die die Welt weiter beschleunigen und verändern werden.

Scholz könnte schaffen, was Merz versprochen hat

Es ist nicht nur Aufgabe eines Kanzlers, in dieser Veränderungsdynamik Ruhe zu bewahren und Gelassenheit auszustrahlen. „Schaut her, ich behalte die Nerven und einen kühlen hanseatischen Kopf“ ist sicher keine falsche Botschaft. Aber es ist angesichts der Transformationsgeschwindigkeit zu wenig.

Die Menschen haben einen Anspruch darauf, erklärt zu bekommen, warum sich Dinge ändern und wie ein Kanzler diese Veränderung politisch gestalten will. Wo wollen wir hin? Wo liegen die Chancen und Risiken? Warum handelt die Ampel wie sie handelt (wenn sie sich nicht gerade streitet)? Und worauf müssen Bürgerinnen und Bürger in Zukunft verzichten?

Scholz muss eine klare Richtung vorgeben, stärker erklären, kommunizieren, Sorgen ernst nehmen. Wenn er das schafft und vielleicht direkt am Freitag in der Bundespressekonferenz damit anfängt, könnte ihm das gelingen, was sein CDU-Kontrahent Friedrich Merz zwar vollmundig versprochen, aber bisher nicht halten konnte: die AfD zu halbieren. Das wäre dann mehr als Polit-Taktik zur Festigung der eigenen Macht. Das würde der staatspolitischen Verantwortung des Amtes gerecht.

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