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Politik: Zehntausende wollen Stasi-Akten sehen

Behördenchefin Birthler führt gesteigertes Interesse auf neu erschlossene Rosenholz-Dateien zurück

Von
  • Matthias Meisner
  • Matthias Schlegel

Berlin - Die Beauftragte für die Stasi-Akten, Marianne Birthler, sieht keinen Grund für eine absehbare Schließung ihrer Behörde. Nach Beginn der Auswertung der Rosenholz-Dateien, in denen Unterlagen der Stasi-Hauptverwaltung Aufklärung gespeichert sind, sei die Zahl von Anträgen auf Akteneinsicht sogar wieder gestiegen, sagte Birthler dem Tagesspiegel am Sonntag. Im ersten Halbjahr habe es fast 50 000 solche Anträge gegeben, in den beiden Vorjahren seien es auf das ganze Jahr gesehen jeweils zwischen 94 000 und 95 000 gewesen. Birthler sagte, sie rechne „für den Westen“ kaum mit Sensationen aus der Auswertung der Rosenholz-Dateien, „weil schon in den 90er Jahren umfangreich gegen Westspione ermittelt worden war“. Dagegen seien in ihrer Behörde alle überrascht darüber, dass die Dateien „sehr viele ostdeutsche Namen“ enthielten, darunter viele Inoffizielle Mitarbeiter der HVA. „Da gab es seither schon einige interessante Entdeckungen, und es wird weitere geben.“ Die Rosenholz-Dateien waren über Russland und den US-Geheimdienst CIA zurück nach Deutschland gekommen.

Insgesamt kehre bei der Debatte des Themas Stasi inzwischen „eine gewisse Normalität“ ein, sagte Birthler. Die Diskussion der DDR-Geschichte sei inzwischen ein „Thema für Minderheiten“: „Das sehe ich nicht als mangelnde Akzeptanz.“ Doch verliere das Thema Stasi „allmählich sein spektakuläres Flair“. Birthler nannte die gegenwärtige Stimmung im Osten „bedrückend“. Die Ursachen für die großen Probleme führte sie zu einem größeren Teil auf die DDR, zu einem kleineren auf Fehlentwicklungen nach 1990 zurück. Mehr als 50 Jahre lang hätten freiheitsliebende und leistungsstarke Menschen das Land freiwillig oder gezwungenermaßen verlassen. Die Abwanderung aus den neuen Ländern setze sich heute durch die Arbeitsmarktsituation fort.

Nach der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts, das die Herausgabe der Stasi-Akten zu Helmut Kohl erheblich einschränkt, rechnet Birthler mit einer neuen Debatte über die Novellierung des Stasi-Unterlagen-Gesetzes. Sie mahnte aber: „Auch jedes novellierte Gesetz müsste die verfassungsrechtlichen Argumente aus dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts berücksichtigen. Vor einer Novellierungsdebatte wäre also zu prüfen, welche Spielräume überhaupt noch vorhanden sind.“ Birthler kritisierte, dass künftig Medien gegenüber der Forschung „stark benachteiligt“ würden. „Das ist ein Problem, das sich auch jetzt nach Vorliegen der schriftlichen Urteilsbegründung keineswegs relativiert hat. Ich bedauere das sehr.“

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