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Ministerpräsident Ghannouchi.

© dpa

Machtwechsel: Tunesien hat eine Übergangsregierung

Drei Tage nach dem Sturz von Präsident Ben Ali ist in Tunesien eine Übergangsregierung vorgestellt worden. Erstmals sind auch Oppositionspolitiker beteiligt. Ministerpräsident Ghannouchi kündigte zudem die Freilassung aller politischen Gefangenen an.

Erstmals seit der Unabhängigkeit 1956 hat die Opposition in Tunesien Zugang zur Macht. Allerdings besetzt die alte Garde um den geflohenen Ex-Präsidenten Zine el Abidine Ben Ali in der Übergangsregierung weiter Schlüsselpositionen.

Nach Regierungsangaben starben bei den Unruhen 78 Menschen. Zu ihnen gehört auch der deutsch-französische Fotograf Lucas Mebrouk Dolega. Im Land kehrte vielerorts die Ordnung zurück. Ben Alis Frau soll angeblich mit 1,5 Tonnen Gold ins saudi-arabische Exil ausgeflogen sein. Viele Tunesier müssen weiter mit Engpässen bei Lebensmitteln und Benzin kämpfen. Die Regierung will sämtliche politischen Gefangenen freilassen. Innenminister Ahmed Friaa korrigierte die Opferzahlen nach oben. Neben den 78 Toten seien 94 Verletzte gezählt worden. Das entspricht etwa den Schätzungen von Menschenrechtsgruppen. Den wirtschaftlichen Schaden durch die Unruhen bezifferte der Minister auf 1,6 Milliarden Euro.

Den politischen Aufbruch untermauerte der ehemalige Vorsitzende der nationalen Menschenrechtsliga, Moncef Marzouki (65): Er kündigte als erster eine Kandidatur für die bis Mitte März vorgesehenen Neuwahlen des Präsidenten an. So schnell wie möglich soll geklärt werden, ob bislang verbotene Parteien legalisiert werden können.

In der Übergangsregierung sind drei führende Oppositionelle vertreten. Sechs Mitglieder des alten Regimes bleiben im Amt, unter ihnen Ministerpräsident Mohammed Ghannouchi sowie die Chefs der drei Schlüsselressorts Innen, Verteidigung und Außen. Übergangspräsident Foued Mebazaa soll nun Neuwahlen vorbereiten.

Noch bis zu 1000 Bundesbürger in Tunesien

Die Sicherheitslage im Land entspannte sich etwas. Lediglich aus Bizerte und der Hauptstadt wurden noch vereinzelte Unruhen gemeldet. Nach der Rückholaktion vom Wochenende halten sich immer noch bis zu 1000 Bundesbürger in Tunesien auf. Mehr als 6000 Urlauber waren in den vergangenen Tagen mit verschiedenen Flügen zurückgebracht.

Tunesiens Präsident Ben Ali war am Freitag nach 23 Jahren an der Macht gestürzt worden und hatte sich nach Saudi-Arabien abgesetzt. Auslöser waren Massenproteste gegen Korruption und hohe Arbeitslosigkeit. Sie hatten sich in der vergangenen Woche zu einem Volksaufstand ausgeweitet. Für Empörung sorgten Berichte, nach denen die Ehefrau Ben Alis vor der Flucht 1,5 Tonnen Gold von einer Bank abgeholt haben soll. Sie hält sich mit ihrem Mann mittlerweile in Dschiddah am Roten Meer auf. Dort werden die beiden und weitere Angehörige nach Angaben aus gut unterrichteten Kreisen in der Hauptstadt Riad in einem Palast der Herrscherfamilie Ibn Saud untergebracht.

Unter den Oppositionspolitikern in der Übergangsregierung sind unter anderen Ahmed Nejib Chebbi von der marxistischen Partei PDP (Demokratische Fortschrittspartei) und Mustapha Ben Jaafar von der Partei Demokratisches Forum für Arbeit und Freiheiten (FDTL) und Ahmed Brahim von der Bewegung Ettajdid (Erneuerung). Der erste offizielle Präsidentschaftskandidat Marzouki leitet die Partei Republikanischer Kongress (CPR). Die Bewegung setzt sich für einen demokratischen Staat ein und war unter Ben Ali verboten.

Die Islamisten-Bewegung Al-Nahda hatte bereits angekündigt, sich nicht an der tunesischen Übergangsregierung zu beteiligen. "Wir befürworten diese Regierung nicht, wir werden sie auf friedlichem Wege konfrontieren." Das im Londoner Exil lebende Oberhaupt von Al-Nahda, Raschid Ghannouchi, hatte am Wochenende erklärt, er werde rasch in die Heimat zurückkehren.

Das französische Außenministerium teilte am Montagabend mit, dass der 32-jährige Lucas Mebrouk von der european pressphoto agency (epa) seinen Verletzungen erlegen sei. Er war am Freitag während der Ausschreitungen in Tunis aus nächster Nähe von einer Tränengasgranate am Kopf getroffen worden. Bereits in der Nacht zum Sonntag hatte seine deutsche Mutter Karin von Zabiensky den Zustand ihres Sohnes als sehr ernst beschrieben. Eine Todesmeldung des französischen Konsulats in Tunis war allerdings am Sonntagabend wieder zurückgezogen worden.

In Tunesien lebende Deutsche berichteten von Lebensmittelengpässen im Land. "Die großen Supermärkte sind geplündert, vor den kleinen, die noch offen sind, stehen ewig lange Menschenschlangen", sagte Elke Peiler, die als Projektmanagerin für die Deutsch-Tunesische Industrie- und Handelskammer arbeitet. Auf ein Brot müsse man drei Stunden warten. Milch werde mittlerweile direkt von Lastwagen aus ausgeteilt. "Zum Glück habe ich selbst noch genügend Vorräte", berichtete die 43-Jährige, die mit ihrer fünfjährigen Tochter in einem Vorort der Hauptstadt wohnt, am Telefon. (dpa)

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