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Ein Kind schaukelt vor einem Hochhaus in Meschenich bei Köln

© dpa/Rolf Vennenbernd

Exklusiv

Sparhaushalt der Ampel: So kürzt die Bundesregierung bei Zivilgesellschaft und Sozialstaat

Die fetten Jahre sind vorbei, auch bei Integration und Sozialstaat. Die Ampelkoalition will auch dort sparen, wo Menschen Hilfe zur Selbsthilfe angeboten wird.

Das Geld für Freiwilligendienste soll gekürzt werden. Auch bei den Eingliederungshilfen in den Arbeitsmarkt nach längerer Arbeitslosigkeit bei Bürgergeld-Bezug wird gespart, genau wie bei den Mitteln für Migrationsberatung für Erwachsene und Jugendliche.

Die Ampel-Regierung ist im Sparmodus, sie kürzt auch bei Projekten, die sie noch vor eineinhalb Jahren laut ihrem Koalitionsvertrag als besonders sinnvoll erachtet hat – rund 30 Milliarden Euro weniger als 2023 will das Bündnis im kommenden Jahr ausgeben. „Die Politik muss wieder lernen, mit dem Geld auszukommen, das die Bürgerinnen und Bürger erwirtschaften“, wird Finanzminister Christian Lindner (FDP) nicht müde, zu betonen.

Doch was genau bedeutet das? Einige Beispiele.


1. Migrationsberatung für Erwachsene und Jugendliche

„Die Migrationsberatung des Bundes (Jugendmigrationsdienste, Migrationsberatung für erwachsene Zuwanderinnen und Zuwanderer) und die Migrantenselbstorganisationen werden wir angemessen fördern“, hieß es im Koalitionsvertrag. Damals wusste die Koalition nichts von den Plänen Russlands, die Ukraine zu überfallen, mit Inflationskrise und Rezession rechnete wohl niemand.

Nun ist die Lage anders und an dieser Stelle soll massiv gekürzt werden. Ein Papier der „Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege“ rechnet damit, dass durch die Einsparungen ein Drittel aller Standorte geschlossen werden müssten. 24 Millionen Euro im Jahr sollen wegfallen. Nicht nur bei den Erwachsenen, auch bei der Jugendmigrationsarbeit soll gespart werden.

Unterricht für Migranten und Geflüchtete
Unterricht für Migranten und Geflüchtete

© dpa/Marijan Murat

„Angesichts von hoher Zuwanderung und Fachkräftemangel gefährden die geplanten Einschnitte nicht nur soziale Teilhabe und den Zusammenhalt vor Ort, sondern auch ganz konkret den Wirtschaftsstandort Deutschland“, sagte der Präsident der AWO, Michael Groß, dem Tagesspiegel.

„Kerngeschäft der Migrationsfachdienste“ seien die Wohnungssuche, Jobsuche und Spracherwerb. „Deswegen brauchen wir hier dringend eine Stärkung und keine Schwächung“, sagte er. Er erwartet zudem, dass sich die Überlastung der Beratungskräfte bereits durch die Kürzungsandrohungen verstärken wird. „Welche Fachkraft bliebe noch in einem Sektor, der kaputtgespart wird, ohne Perspektive über das Jahresende hinaus?“, fragte Groß.


2. Kürzungen bei „Hate Aid“

Eine Reaktion auf Hass im Netz war die Gründung von „Hate Aid“, einer Beratungsstelle, die denen hilft, die von Gewalt im Internet betroffen sind, deren Postfächer von Nachrichten voller Drohungen und Gewaltfantasien geflutet werden.

Das ist ein eindeutig falsches Zeichen, wenn das Justizministerium die Finanzierung gerade jetzt bei Projekten streicht, die sich mit den gefährlichen Entwicklungen im Netz beschäftigen.

Renate Künast (Grüne) über geplante Kürzungen bei „Hate Aid“

Die Grünen-Politikerin Renate Künast etwa ist von Hass im Netz betroffen. Sie wurde vor Gericht von „Hate Aid“ vertreten, als sie gegen Hasskommentare vorging.

„Das ist ein eindeutig falsches Zeichen, wenn das Justizministerium die Finanzierung gerade jetzt bei Projekten streicht, die sich mit den gefährlichen Entwicklungen im Netz beschäftigen“, sagte Künast dem Tagesspiegel. Es gehe um Rechtsextremismus, aber auch um Mobbing.

„Da wir immer mehr im Netz unterwegs sind, wird hier auch über die Zukunft unserer Demokratie entschieden. Da braucht es Hilfe, nicht Kürzungen bei den Projekten“, sagte Künast.

Im Koalitionsvertrag hieß es dazu auf Seite 95: „Wir stärken die Arbeit gegen Hass im Netz und Verschwörungsideologien.“


3. Weniger Eingliederungshilfe bei Langzeitarbeitslosigkeit

Deutlich weniger Geld soll es für Langzeitarbeitslose geben, die wieder in den Arbeitsmarkt integriert werden sollen, hunderte Millionen Euro weniger sind für das „Eingliederungs- und Verwaltungskostenbudget“ eingeplant.

„Mit den geplanten Ausgabemitteln für die Jobcenter von 9,85 Milliarden Euro für 2024 liegen wir um 700 Millionen Euro niedriger als im Vorjahr“, sagte die Vorsitzende der Bundesagentur für Arbeit, Andrea Nahles (SPD), dem Tagesspiegel. Die Tariferhöhungen im kommenden Jahr führten zu Mehrkosten von 300 Millionen Euro.

„Für das kommende Jahr benötigen die Jobcenter eine auskömmliche Finanzausstattung, um die Möglichkeiten des Bürgergeldes in vollem Umfang nutzen zu können“, sagte sie. Das sei „entscheidend“, um Menschen „gut unterstützen und fördern zu können“. Das Teilhabechancengesetz, das Menschen, die sehr lange arbeitslos waren, wieder in den Arbeitsmarkt integrieren soll, solle weitergeführt werden, sagte Nahles.

„Mit Blick auf den Haushalt für das kommende Jahr setzen wir jetzt auf das parlamentarische Verfahren im Herbst. Denn über den Haushalt entscheidet nicht die Bundesregierung, sondern das Parlament“, sagte sie.

Auf Seite 60 des Koalitionsvertrags heißt es: „Das Bürgergeld stellt die Potenziale der Menschen und Hilfen zur nachhaltigen Integration in den Arbeitsmarkt in den Mittelpunkt.“ Das Bürgergeld war eines der größten sozialpolitischen Reformvorhaben der Ampelkoalition.

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