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Entlastung. Das Wohngeld werde nicht nach dem „Prinzip Gießkanne“ verteilt, sagt die Ministerin. Für die Bearbeitung der Anträge fehlt es noch an Software und qualifiziertem Personal.

© Foto: Imago/Frank Sorge

Sozialreform: Wohngeld plus, Probleme plus

Bauministerin Geywitz (SPD) glaubt jedoch, dass der Kollaps der Verwaltung vermieden werden kann.

Schnelligkeit ging vor Gründlichkeit, so gesehen ist die große Wohngeldreform der Ampel ein ziemlich undeutsches Projekt. Ab ersten Januar wird der Staat sehr viel mehr Menschen als bisher bei den Kosten fürs Wohnen und Heizen unterstützen. Doch wird er das tatsächlich? Von einem drohenden Kollaps vieler Amtsstuben ist bundesweit die Rede.

Denn so groß wie die Pläne sind auch die Probleme der Umsetzung. Noch fehlt es so ziemlich an allem: an der richtigen Software, an Räumen, um die zu erwartenden hohen Aktenstapel zu verwahren, vor allem aber an Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die die zusätzlichen Anträge bearbeiten. Davon konnte sich Bundesbauministerin Klara Geywitz am Mittwoch im Wohnungsamt des Berliner Bezirks Pankow überzeugen.

„Sie haben bestimmt gerade viel zu tun?“ Diese Worte richtete Geywitz beim Eintreffen an Marco Schaum, den Leiter des Fachbereichs Wohnen im Bezirksamt. „Ja, aber das ist immer so“, antwortete der. Ab Januar jedoch wird es noch viel, viel mehr Arbeit werden. Bisher hatten bundesweit rund 600.000 Haushalte Anspruch auf Wohngeld, künftig werden es unter der Bezeichnung „Wohngeld Plus“ um die zwei Millionen sein. Die Leistung soll von im Schnitt rund 180 Euro pro Monat auf 370 Euro steigen.

Zwei Millionen Haushalte werden Anspruch haben

Beschwerden aus Ländern und Kommunen gehören für Bundesministerinnen dazu. Aber was derzeit los ist, ist mehr als bislang üblich. „Illusorisch“ nennt beispielsweise Nordrhein-Westfalens Bauministerin Ina Scharrenbach (CDU) den Zeitplan. Sie hält die Reform an sich für geboten. Die konkrete Lage in ihrem Land allerdings schildert sie wie folgt: „Das Wohngeld Plus ist verwaltungstechnisch bis zum 1. Januar 2023 nicht umsetzbar.“ Die Software, für die das Land sorgen muss, werde in Nordrhein-Westfalen erst ab dem 2. Quartal 2023 zur Verfügung stehen, „und dies nur, weil wir derzeit andere Digitalisierungsprojekte zurückstellen“.

Das Personalproblem kommt hinzu: „Derzeit laufen nahezu in allen nordrhein-westfälischen Kommunen Personalausschreibungen, die Rückmeldungen sind ernüchternd. Stellen können nicht besetzt werden und selbst wenn sie neue Leute finden, können sie sie erst ab Mitte Dezember 2022 schulen.“ Scharrenbachs Fazit: „Das Wohngeld Plus ist Frustration mit Ansage für wirklich alle Beteiligten.“ Aus anderen Bundesländern sind ähnliche Stimmen zu vernehmen.

„Eine Bearbeitung und Auszahlung aller Neuanträge zeitnah nach Inkrafttreten der Reform wird nicht möglich sein“, sagt ein Sprecher des Ministeriums für Landesentwicklung und Wohnen in Baden-Württemberg. Ähnlich sieht es in Bremen aus. Mit einer Bearbeitungszeit von mehreren Monaten für Neuanträge ab Januar rechnet dort eine Sprecherin der zuständigen Senatsverwaltung. Das nötige Personal werde wohl nicht rechtzeitig zu finden sein.

600.000
Haushalte haben derzeit Anspruch auf Wohngeld. Künftig werden es etwa zwei Millionen sein.

In Pankow schaut die Lage freundlicher aus. „Am Ende wird es sich zurechtruckeln“, befindet Amtsleiter Schaum. Aber die Probleme liegen auch hier auf der Hand. Es gibt einen großen Archivraum, bis unter die Decke gefüllt mit Akten. In Berlin können die Menschen das Wohngeld zwar auf elektronischem Weg beantragen, im Amt aber werden die Anträge ausgedruckt und abgeheftet.

Wohin mit Tausenden zusätzlichen Anträgen? Schaum weiß es noch nicht. Auf die Software kann er nur hoffen, die Zeitpläne, die er genannt bekommt, sind immer unverbindlich. Immerhin heißt es aus der Senatsverwaltung, in Berlin werde die Software voraussichtlich im Januar nutzbar sein.

Das Wohngeld Plus ist Frustration mit Ansage.

NRW-Bauministerin Ina Scharrenbach (CDU)

Die vermutlich am schwierigsten zu bewältigende Aufgabe ist es auch hier in Berlin, neue Kolleg:innen zu finden. Fachkräftemangel herrscht überall, und selbst wenn es Kandidat:innen gäbe, müssten die auch noch irgendwo sitzen. „Wir werden kurzfristig zusätzliche Räume anmieten müssen“, sagt Rona Tietje, Pankows Stadträtin für Stadtentwicklung und Bürgerdienste.

Das größte Problem ist der Fachkräftemangel

Auch sie ist vor Ort, denn für diesen Termin haben sich Vertreterinnen der verschiedenen Ebenen versammelt: Bundesministerin Geywitz hat ihre parlamentarische Staatssekretärin Cansel Kiziltepe mitgebracht, in deren Bundestagswahlkreis das Amtsgebäude liegt. Auch Ülker Radziwill ist gekommen, Staatssekretärin bei der Berliner Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, Bauen und Wohnen. Sie drängen sich in einem kleinen Büro und hören zu, während zwei Sachbearbeiterinnen der Ministerin Rede und Antwort stehen.

„Wie viele Anträge schaffen Sie denn so am Tag?“, fragt Geywitz. Ganz unterschiedlich sei das. „Merken Sie schon, dass jetzt mehr Anträge reinkommen?“ Ja, durchaus, lautet die Antwort. Bei sechs bis sieben Wochen liegt hier im Schnitt die Bearbeitungszeit. Das ist im Vergleich ein guter Wert, in manchen Kommunen sind es nicht sechs Wochen, sondern sechs Monate. „Es geht nichts verloren“, betont Ministerin Geywitz mit Blick auf die absehbaren Schwierigkeiten im neuen Jahr. Egal, wie lange ein Amt braucht, um einen Antrag zu bearbeiten: Ist die Bewilligung da, wird das Geld rückwirkend ausgezahlt.

Wer berechtigt ist, Wohngeld zu beziehen, lässt sich nicht mit einfachen Grenzwerten erklären. Hauptsächlich kommt es darauf an, wie viele Menschen in einem Haushalt wohnen, wie hoch die Wohnkosten sind und wie hoch das Einkommen. Für jeden Haushalt muss gerechnet werden. Dennoch bleibt Ministerin Geywitz in Pankow dabei, der Zeitplan sei der richtige.

Das neue Wohngeld sei „das Gegenteil des Prinzips Gießkanne“. Es unterstütze die Menschen, die wirklich Unterstützung bräuchten, und deshalb müsse es zügig inkraft treten. „Wir setzen alles daran, dass es klappt“, sagt Geywitz.

Der Deutsche Städtetag hatte im Gesetzgebungsverfahren gewarnt, es drohe „ein Kollaps des Wohngeldsystems bis weit in das kommende Jahr hinein“. Hauptgeschäftsführer Helmut Dedy sagt, die Reform verfolge das richtige Ziel, aber gerade am Anfang werde es ruckeln.

Doch die Ministerin, angesprochen auf das Stichwort Kollaps, zeigt Zweckoptimismus: Kollaps bedeute, dass ein System zusammenbreche, und das sei nicht zu befürchten. Es ist eine Einschätzung, die bei vielen Beteiligten auf Wiedervorlage kommen dürfte.

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