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Die französische Schauspielerin Catherine Deneuve ist eine von 100 prominenten Frauen, die in einem Aufruf in der "Le Monde" die #MeToo-Bewegung hart kritisieren.

© John Macdougall/AFP

Sexismus-Diskussion in Frankreich: Schwere Zeiten für die Galanterie

Die #MeToo-Debatte stellt das Selbstbild der französischen Frauen in Frage. Eine Kolumne.

Eine Kolumne von Pascale Hugues

Wo hört der harmlose Flirt auf, wo beginnt die sexuelle Aggression? Muss man von Verbrechen sprechen, wenn man überfallartig geküsst oder von einer vagabundierenden Hand angefasst wird, oder wenn jemand sich eine deftige sexuelle Anspielung erlaubt? Und – zentrale Frage in der wilden Polemik, von der Frankreich gerade erschüttert wird: Muss die sehr französische Tradition der Galanterie dem Puritanismus geopfert werden?

Die in „Le Monde“ erschienene Erklärung von 100 prominenten Frauen hat eine alte Diskussion neu belebt. Die Schauspielerin Catherine Deneuve, die Schriftstellerin Catherine Millet, die Sängerin Ingrid Caven und viele andere Intellektuelle und Künstlerinnen kritisieren die Gefahren und die Maßlosigkeit des #MeToo-Phänomens. Sie wenden sich dagegen, dass die Frauen auf die Rolle des „ewigen Opfers, der armen, kleinen Dinger in den Klauen phallokratischer Dämonen reduziert werden“. Sie fordern die „Freiheit, behelligt zu werden, die nun mal zur sexuellen Freiheit gehört“, und beschuldigen den Feminismus, „den Hass auf Männer und auf die Sexualität“ zu schüren.

Der Feminismus schürt "den Hass auf Männer und auf die Sexualität"

Die Antwort hat nicht lange auf sich warten lassen. Auf welchem Planeten lebt denn Catherine Deneuve und Co.? Die Zeitungen sind voll von leidenschaftlichen Gegenoffensiven. Die Ministerin für Gleichstellung von Frauen und Männern, Marlène Schiappa, bezeichnet die Diskussion als „gefährlich“ und beschuldigt die 100 Unterzeichnerinnen, sie würden die Opfer sexueller Gewalt „verachten“.

Die Historikerin Michelle Perrot, mit George Duby Herausgeberin von „Die Geschichte der Frauen“, ist aufgebracht und „sprachlos“, weil sie „Solidarität und Bewusstsein für die von Frauen erlittene reale sexuelle Gewalt“ vermisst. Und sie begrüßt den „zugleich individuellen und kollektiven Protest der Frauen, der sie zu Akteuren macht: Sie wehren sich gegen einen Druck, eine Herrschaft, die sie nicht mehr wollen“.

Seit der Affäre Dominique Strauss-Kahn 2011 hat sich die Diskussion in Frankreich verändert. Viele Französinnen stellen ihr Rollenmodell viel stärker in Frage. Dem tief verwurzelten Klischee zufolge ist Frankreich das Land der Liebe, der Galanterie, der Verführung. Eine Tradition, auf die wir stolz sind, ich allen voran.

Es lebe der Flirt, aber die Debatte ist kompliziert

Wie oft habe ich nicht schon die erotikfreien Beziehungen zwischen Männern und Frauen in Deutschland beklagt. Bei meiner Ankunft in diesem Land hatte ich viele schaurige Erlebnisse: Die Frauen empören sich, wenn ein Mann ihnen in den Mantel hilft. Diese Manie, die Sprache von ihren angeblich sexistischen Ausdrücken zu befreien. Es lebe der Flirt, das Spiel der Blicke morgens in der Metro, die Komplimente, die einem den ganzen Tag gute Laune schenken.

Aber die Debatte ist komplizierter, als man im ersten Moment denken könnte, und die Grenze zwischen Spiel und Verbrechen ist manchmal fließend, sogar in Frankreich, wo man uns glauben machen möchte, die Beziehungen zwischen den Geschlechtern seien spielerischer als anderswo. Denn die Demarkationslinie zwischen „Ja“ und „Nein“ ist nicht immer leicht zu erkennen. Es gibt das Macho-„Ja“, das bestimmte Männer unter dem „Nein“ zu hören glauben, wenn eine Frau sich wehrt – im Grunde wollen sie doch alle Dasselbe. Es gibt das „Nein“, das die Frauen dem Professor, dem Chef, dem Filmproduzenten nicht klar zu sagen wagen, weil sie negative Folgen für das Examen, die Karriere, den Vertrag fürchten. Aber es gibt auch das verlegene „Nein“, denn im Land der Galanterie haben die Frauen Angst, als frustriert, prüde, oder als Puritanerin dazustehen.

Gerade vorige Woche fuhr mich ein alter Taxifahrer, durch und durch Franzose, zum Flughafen. Nach ein paar Minuten Smalltalk erzählte er mir, er sei Klempner in Rente, und wie sein Nachbar, der Gynäkologe, sei er Experte für die Inspektion der Rohrleitungen. Dabei warf er mir im Rückspiegel einen schlüpfrigen Blick zu. Ich fühlte mich unwohl, saß aufrecht da und schwieg. Und bis heute nehme ich es mir übel, dass ich nicht deutlich gesagt habe: „Hören Sie mal, jetzt reicht’s! Machen Sie Musik an und basta!“ Pech für die französische Galanterie.

Aus dem Französischen übersetzt von Elisabeth Thielicke.

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