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Der Kläger, durch Multiple Sklerose bewegungsunfähig, bei der Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht.

© dpa/Sebastian Willnow

Neues Urteil zur Sterbehilfe: Wenn Richter Politik machen dürfen

Der Bundestag ist mit einer Neuregelung vorerst gescheitert, also mahlen die Mühlen der Justiz mit den bestehenden Gesetzen. Für die Demokratie muss das kein Schaden sein

Eine Kolumne von Jost Müller-Neuhof

Richter sollen nicht Gesetzgeber spielen, heißt es. Gewaltenteilung! Gerichte sollen das Recht auslegen; Recht gestalten, das sei Sache des gewählten Parlaments. Alles wahr und demokratisch. Was aber, wenn der Gesetzgeber nichts tut?

Vor diesem Problem steht der 3. Senat des Bundesverwaltungsgerichts im Streit um die Sterbehilfe. Er wird am Dienstag sein Urteil verkünden (Az.: BVerwG 3 C 8.22). Der Bundestag hatte sich im Sommer nicht einigen können. Also blieb die Sterbehilfe ungeregelt. 

Eine Diskussion, die es ohne Gerichte nicht gegeben hätte. 2017 urteilte eben jener 3. Senat des Bundesverwaltungsgerichts überraschend, dass stark leidende Sterbenskranke gegenüber dem Staat einen Anspruch auf tödlich wirkende Medikamente haben können. Und 2020 kippte das Bundesverfassungsgericht das strafrechtliche Verbot geschäftsmäßiger Sterbehilfe, weil es die Freiheit verletze, sich töten zu dürfen.

Hier kommt nun eine weitere Staatsgewalt ins Spiel, die Exekutive. Sie nahm das zweite Urteil aus Karlsruhe und spielte es gegen das erste aus Leipzig aus: Da es seit 2020 kein strafrechtliches Sterbehilfeverbot mehr gebe, könnten sich Sterbewillige an private Hilfevereine wenden statt an den Staat. Folglich könne es auch keinen Anspruch auf die staatliche Abgabe tödlicher Medikamente geben.

Die Gerichte sind dieser Argumentation bisher gefolgt und haben die Klage eines an Multipler Sklerose erkrankten Mannes abgewiesen, der vom Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte eine Erwerbserlaubnis für eine Dosis Natrium-Pentobarbital verlangt. Möge er sich doch an Ärzte oder andere Helfer wenden.

Die Gründe können angesichts des Rechts auf Selbsttötung schwer überzeugen. Man beruft sich vor allem auf das Betäubungsmittelgesetz, wonach die Abgabe des Mittels nur zu Heilzwecken zulässig sei. Dieser Schutzzweck sei zu wichtig, um ihn Grundrechten des Klägers unterzuordnen.

So einfach werden sich die Bundesrichter die Abwägung nicht machen können. Möglich, dass es wie 2017 wieder ein Urteil gibt, das den Gesetzgeber unter Druck bringt. Man wird dann kritisieren, das Gericht maße sich eine Rolle an, die ihm nicht zusteht. Aber das stimmt nicht. Wenn in diesem Fall der Gesetzgeber nichts tut, bedeutet das nicht, dass die Demokratie stillstehen muss.

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