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Fällt die Mobilitätswende wegen der hohen Strompreise aus?

© IMAGO/Jochen Eckel / IMAGO/Jochen Eckel

Neuer AKW-Streit in der Ampel: Braucht es Atomstrom für die Mobilitätswende?

Hohe Strompreise könnten den Umstieg auf E-Autos unattraktiv machen, befürchtet Verkehrsminister Wissing. Er fordert daher einen Weiterbetrieb der Atomkraft.

Einig stehen der Verkehrsminister und Wirtschaftsminister am Mittwoch Seite an Seite und freuen sich, daneben steht ein geschmückter Weihnachtsbaum. Für die Beschleunigung des Windkraftausbaus haben Volker Wissing und Robert Habeck eine wichtige Einigung erzielt.

Die Sperrzone um Drehfunkfeuer von Radaranlagen von Wetterdienst und Flugsicherung wird halbiert. 19.000 Quadratkilometer Fläche stehen künftig für Windanlagen zur Verfügung. Ein vorzeitiges Weihnachtsgeschenk für den Wirtschaftsminister.

Dabei hat der FDP-Verkehrsminister dem Grünen-Vizekanzler zuletzt wahrlich nichts geschenkt. Im Gegenteil: Nur zwei Monate nach dem Machtwort des Bundeskanzlers hatte Wissing in dieser Woche den endgültigen Ausstieg aus der Atomkraft infrage gestellt. Seine Begründung war neu im alten Atomstreit der Ampel-Regierung. Die hohen Stromkosten würden den Umstieg auf E-Autos hemmen, so der Minister. Ein Weiterbetrieb der drei verbliebenen AKW könne den Preis senken.

Elektromobilität kann nur dann sinnvoll sein, wenn sie auch bezahlbar ist.

Verkehrsminister Volker Wissing will mehr Strom produzieren, um damit den Preis zu senken.

„Wir müssen immer im Blick haben, was kostet Mobilität“, wiederholte Wissing seine Argumentation am Mittwoch neben Habeck. Er sehe mit Sorge die steigenden Energiepreise, die Menschen dürften nicht überfordert werden. „Elektromobilität kann nur dann sinnvoll sein, wenn sie auch bezahlbar ist“, sagte Wissing.

Unterstützung erhält er von FDP-Fraktionschef Christian Dürr: „Angesichts der Herausforderungen bei unserer Energieversorgung darf es keine Tabus geben“, sagte er dem Tagesspiegel. Durch das Abschalten der Atomkraftwerke würde der klimaneutrale Strommix wegbrechen, stattdessen würden E-Autos mit Kohlestrom fahren.

SPD und Grüne sind strikt dagegen

Doch SPD und Grüne sind strikt gegen eine erneute Atomdebatte. „Es wird nicht mehr Thema werden, weil aus meiner Sicht der Bundeskanzler abschließend entschieden hat“, sagte ein verstimmter Habeck neben Wissing. Intern ist bei den Koalitionspartnern von einem „Ablenkungsmanöver“ Wissings die Rede. Der Verkehrsminister ist durch das Klimaschutzgesetz rechtlich verpflichtet, Sofortmaßnahmen einzuleiten, um die Klimaziele im Verkehrssektor noch zu erreichen. Seine bisherigen Vorschläge dazu sind bei Experten allesamt durchgefallen.

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Und auch die Mobilitätswende läuft bislang eher schleppend an. Eine Million Ladestationen und 15 Millionen Elektrofahrzeuge bis 2030 hat sich die Ampel in ihrem Koalitionsvertrag vorgenommen – zu sehen ist davon nur wenig. Nur 28.000 E-Autos werden aktuell pro Monat zugelassen, berechnet das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW). Um die Ziele zu erreichen, muss sich die Geschwindigkeit verfünffachen.

15
Millionen E-Fahrzeuge will die Ampel bis 2030 auf die Straße bringen

Wolf-Peter Schill, Energie-Experte am DIW, hält aktuell eher die Lieferkettenprobleme und langen Wartezeiten für ein Hemmnis der Mobilitätswende. „Grundsätzlich hat es einen preisdämpfenden Effekt, wenn wir die Atomkraftwerke länger laufen lassen - wirklich relevant dürfte er aber nicht sein“, sagt Schill. Langfristig hohe Strompreise könnten aber zum Problem für die E-Mobilität werden. „Teurer Strom kann den Wechsel unattraktiver machen“, sagt Schill.

Auch Grüne und SPD wollen den Strompreis senken, aber mit Erneuerbaren. Wissings Vorschlag kommt dort überhaupt nicht gut an. Atomkraft sei teuer und gefährlich, sagt die Vize-Fraktionsvorsitzende der Grünen, Julia Verlinden. „Jeder weitere Versuch mit immer neuen fadenscheinigen Begründungen eine Verlängerung von Laufzeiten in die Debatte zu bringen wird scheitern und verschwendet unnötig Energie“, sagte sie dem Tagesspiegel.

Herr Wissing sollte sich darauf konzentrieren die vielen Vorschläge für mehr Klimaschutz im Verkehr aufzugreifen.

Julia Verlinden, Vize-Fraktionschefin der Grünen, kritisiert den Verkehrsminister.

Alle sollten ihren Beitrag dazu leisten, damit das Ziel von 80 Prozent erneuerbarer Energien bis 2030 gelinge. „Herr Wissing sollte sich darauf konzentrieren die vielen Vorschläge für mehr Klimaschutz im Verkehr aufzugreifen und so endlich seiner Ressortverantwortung gerecht zu werden“, sagte Verlinden.

Auch FDP-Fraktionschef Dürr hält mehr Klimaschutz für notwendig. „Autofahren muss umweltschonender werden und bezahlbar bleiben – deswegen müssen wir schnellstmöglich synthetische Kraftstoffe in Deutschland zulassen“, sagte er dem Tagesspiegel. Wenn man auf die Kernkraft verzichte, müsse man CO2-neutralen E-Fuels eine Chance geben. „Andernfalls sehe ich keine Chance, dass wir unsere Klimaziele erreichen“, sagte Dürr.

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Doch die FDP will das Thema Atomkraft nicht aufgeben. In einem Leitantrag für den vorgeschalteten Landesparteitag der baden-württembergischen Liberalen, der dem Tagesspiegel vorliegt, wird der Weiterbetrieb bis Mitte April lediglich als „Minimalanforderung der FDP“ bezeichnet. Weil Deutschlands Stromversorgung in der Zeit danach noch gar nicht geprüft worden sei, wird vom Wirtschaftsministerium „Anfang 2023 ein erneuter Stresstest“ gefordert, der ständig aktualisiert werden solle.

Deshalb will sich die Landes-FDP auch gegen den Rückbau der Meiler Emsland, Isar 2 und Neckarwestheim 2 aussprechen: „Vielmehr sind entsprechende Vorkehrungen zu treffen, um jederzeit den sicheren Leistungsbetrieb der drei AKW wieder aufnehmen zu können, sobald es zu einer Strommangellage kommt.“ Dazu gehört auch, „schon jetzt“ zu klären, „wo und unter welchen Bedingungen wie schnell neue Brennelemente beschafft werden können“ .

Michael Theurer, der den Antrag formuliert hat, ist nicht nur FDP-Landeschef im Südwesten, sondern auch Wissings Staatssekretär und Bahn-Beauftragter der Bundesregierung. „Strom muss nicht nur für Verbraucher und stromintensive Wirtschaftszweige bezahlbar bleiben, sondern auch für den Ausbau der Elektromobilität und den Bahnbetrieb zur Verfügung stehen“, sagte er dem Tagesspiegel. Speziell sein Bundesland habe „aufgrund seiner Lage im deutschen Energienetz ein Interesse an einem fortgesetzten Weiterbetrieb der Kernkraftwerke über den 15. April hinaus“. Weitere Geschenke wird es von der FDP für Habeck wohl nicht geben.

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