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Wirtschaftsminister Habeck, Kanzlere Scholz und Brandenburgs Ministerpräsident Woidke präsentieren am Freitag ihren Plan für Schwedt.

© AFP/Jens Schlueter

Lösung für Schwedt : So will sich die Bundesregierung vom russischen Öl lösen

Die Bundesregierung hat die deutschen Töchter des russischen Staatskonzerns Rosneft unter staatliche Kontrolle gestellt. Aber der Plan birgt Risiken.

Robert Habeck erinnert sich an diesem Tag noch einmal genau, wie es ihm in Schwedt ergangen ist. Eine fast feindselige Stimmung, Pfiffe und Buhrufe, als er im Juni erneut vor die Beschäftigten der Ölraffinerie Schwedt trat. Der Bundeswirtschaftsminister versprach, die Bundesregierung werde im Falle eines russischen Öl-Lieferstopps für die PCK-Raffinerie finanziell einspringen. „Diese Zusage ist gegeben“, sagte er.

Knapp drei Monate später kann er sagen, er hat Wort gehalten gegenüber den 1200 Beschäftigten und tausenden von der Raffinerie indirekt abhängigen weiteren Beschäftigten in der Region. Am frühen Freitagmorgen überrascht sein Ministerium mit der Mitteilung, dass die Bundesregierung auf Grundlage des Energiesicherungsgesetzes die Rosneft Deutschland GmbH unter die Treuhandverwaltung der Bundesnetzagentur gestellt hat, sie de facto verstaatlicht wird. Aufsichtsratsvorsitzender des russischen Mutterkonzerns war bisher übrigens Altkanzler Gerhard Schröder (SPD), Ende Mai wurde aber angekündigt, dass er den Aufsichtsrat verlassen werde.

Putin als Krisenhelfer

Das Energiesicherheitsgesetz erlaubt die Möglichkeit einer Treuhandverwaltung bei Unternehmen der kritischen Infrastruktur und als Ultima Ratio auch die Möglichkeit einer Enteignung. Lange Zeit schreckte man im Falle von Schwedt davor zurück, weil als Antwort auf Moskau ein Stopp der Gaslieferungen über Nord Stream 1 zu befürchten war. Da dies aber inzwischen ohnehin der Fall ist, gibt es kaum etwas zu verlieren. Russlands Präsident Wladimir Putin beschleunigt auf seine Art die Versuche, ganz los zu kommen von russischer Energie. Die Ersatzbeschaffungen verschlingen allerdings gewaltige Summen, und auch die Autofahrer werden die Konsequenzen ebenso wie Gas- und Stromverbraucher spüren.

Mit dem Schritt übernimmt die Bundesnetzagentur die Kontrolle über Rosneft Deutschland und über den jeweiligen Anteil in den drei Raffinerien PCK Schwedt, MiRo (Karlsruhe) und Bayernoil (Vohburg). Rosneft Deutschland ist bisher für rund zwölf Prozent der deutschen Erdölverarbeitungskapazität verantwortlich. Für 13.30 Uhr wird am Freitag eine Pressekonferenz von Habeck, Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) im Kanzleramt angekündigt. Als sie beide das Foyer dort betreten, ist ihnen die Erleichterung anzumerken, es wird etwas gescherzt.

Angesichts der sich gerade in Ostdeutschland zusammenbrauenden Proteste wegen der hohen Energiepreise und der Sorge um Arbeitsplatzverluste sehen die drei diesen 16. September als einen weiteren wichtigen Markstein an im täglichen Ringen, die Energieabhängigkeiten von Russland so rasch es geht zu verringern. Die Raffinerie produzierte bisher mit russischem Öl aus der Pipeline Druschba Benzin und andere Kraftstoffe, damit wird die Versorgung in Berlin und Brandenburg zu 95 Prozent abgesichert. Das russische Öl soll nun durch zwei neue Lieferwege ersetzt werden, das Öl soll vor allem per Tanker kommen: über den Hafen Rostock und eine bereits existierende Pipeline nach Schwedt sowie über den Hafen im polnischen Danzig, ebenfalls über existierende Leitungen.

Aber ein Problem bleibt in jedem Fall: Bisher kommt noch russisches Öl in Schwedt an. Die Abkapslung soll erst mit dem Jahreswechsel erfolgen. Wenn Russland nun alles sofort stoppt, muss irgendwie Ersatz beschafft werden. Die Preise an ostdeutschen Tankstellen könnten also nochmal steigen. Möglich wäre, Treibstoff aus westdeutschen Raffinerien auf der Straße oder der Schiene hierherzubringen.

Gespräche mit Polen

„Ja, die Versorgungssicherheit ist gewährleistet“, sagt Habeck. Er verspricht, dass kein Auto deswegen liegen bleiben soll. Die Gespräche mit der polnischen Seite über Ersatzlieferungen seien weit vorangeschritten. Rosneft hatte sich zuvor einer Partnerschaft mit Polen, einem der größten und offensivsten Unterstützer der Ukraine, verweigert. Die Pipeline von Rostock nach Schwedt wird im Eilverfahren ertüchtigt. Das Ziel besteht darin, die Arbeitsplätze zu sichern, auch wenn die Auslastung erst einmal nur noch bei 60 Prozent liegen könnte, da weniger Öl ankommen wird. Zur Not soll es erst einmal Kurzarbeiterregelungen geben.

„Das ist eine weitreichende energiepolitische Entscheidung zum Schutz unseres Landes“, sagt Scholz. Russland sei bei Öl und Gas im Zuge seines Krieges gegen die Ukraine kein sicherer Lieferant mehr, man dürfe sich nicht auf das Spiel mit fadenscheinigen Gründen für Lieferstopps einlassen. Zudem hatten besonders die Grünen darauf gepocht, dass durch ein Abkapseln vom russischen Markt auch die Einnahmen für Putins Kriegskasse gedrosselt werden können.

Schwedt war seit Kriegsbeginn ein Sorgenkind

Praktisch seit Kriegsbeginn war die PCK (abgeleitet vom früheren Namen VEB Petrolchemisches Kombinat) in Schwedt ein großes Sorgenkind der Regierung. Denn die Konstruktion war nun nicht mehr tolerierbar: PCK gehörte bisher zu rund 54 Prozent der Tochterfirma des russischen Konzerns Rosneft. Dieser wollte ursprünglich vom Shell-Konzern noch dessen Anteile von 37,5 Prozent kaufen, was aber gestoppt wurde. Aber dennoch war PCK bisher abhängig von russischem Öl über die russische Druschba-Pipeline und in Besitz eines russischen Unternehmens.

Am Eingang der PCK Raffinerie in Schwedt wird kontrolliert.

© dpa/Annette Riedl

Um langfristig die ostdeutschen Regionen zu stärken, betonen Habeck, Scholz und Woidke, dass ein Zukunftspaket im Volumen von einer Milliarde geschnürt worden sei, von dem besonders Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen-Anhalt und Brandenburg profitieren sollen. Zwar geht es bei der Notfallmaßnahme erst einmal um die Sicherung fossiler Energieversorgung, aber aus Sicht des Kanzlers soll das gemäß dem Anspruch, eine Fortschrittskoalition zu sein, zugleich der Startschuss für die Transformation in eine klimafreundlichere Zukunft sein.

Auch die Raffinerie in Leuna soll von dem Zukunftspaket profitieren. Die Umstellung auf die Produktion mit grünem Wasserstoff soll massiv gefördert werden. Woidke betont für den Standort Schwedt zudem, dass verstärkt auf die Produktion von synthetischem Kerosin gesetzt werden soll. Keiner in der Region müsse sich mehr sorgen, dass er sein Haus oder Kredite nicht mehr bezahlen könne. Habeck betont, dass die Hängepartie nach bangen Monaten vorbei sei. „Der Standort ist gesichert, die Zukunft für Schwedt wird erarbeitet.“

Dann müssen sie wieder los, bei sehr wenig Schlaf arbeiten gerade Habeck und Scholz dieser Tage unter Volllast an der Lösung der vielen Probleme. Sehr eng ist dabei zur Dämpfung der Preise die Abstimmung mit der EU-Kommission. Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen (CDU) hat unter anderem eine Solidaritätsabgabe für Öl- und Gaskonzerne vorgeschlagen, die derzeit von erheblichen Gewinnsteigerungen profitieren.

Expertenkommission soll Gaspreisbremse prüfen

Konzerne sollen laut dem Vorschlag der Kommissionschefin 33 Prozent der Gewinne abgeben, die den Durchschnittsgewinn der vergangenen drei Jahre um mehr als 20 Prozent übersteigen. Damit soll in Deutschland zum Beispiel eine Strompreisbremse finanziert werden, ein Grundbedarf auf dem bisherigen Niveau gedeckelt werden. Ob auch eine Gaspreisbremse möglich ist, soll eine soeben eingesetzte Expertenkommission klären.

Der Präsident des Industrieverbands BDI, Siegfried Russwurm, ist aber skeptisch, dass sich der EU-Vorschlag global durchsetzen lasse. Er glaube beispielsweise nicht, dass sich die derzeit weltgrößte Ölfördergesellschaft Saudi Aramco „besonders für die Steuerregelungen in der EU interessiert, Gazprom übrigens auch nicht“, sagte er im ZDF.

Neben der Solidaritätsabgabe für die Öl- und Gaskonzerne wird derzeit in Brüssel daher auch über eine Erlösobergrenze von 180 Euro pro Megawattstunde für Energiekonzerne nachgedacht, die zur Stromerzeugung kein Gas verwenden. Durch eine Abschöpfung der Einnahmen oberhalb dieser Grenze soll ebenfalls eine Entlastung von Verbrauchern und Betrieben erreicht werden. Fakt ist: Diese Krise verschlingt Milliardensummen. Daher braucht es rasch neue Einnahmequellen, auch um mit solchen Maßnahmen wie in Schwedt Arbeitsplätze zu retten und die Krise als Chance zu nutzen.

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