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Olaf Scholz 2019 in China, damals noch als Bundesfinanzminister.

© Foto: dpa/Chen Jianli

Kanzler Scholz, Hamburgs Hafen und Peking: Auf der Suche nach der verlorenen Balance

Im Streit um Chinas Beteiligung am Container-Terminal wäre Deutschland beinahe von einem Extrem ins andere gefallen: erst Sorglosigkeit, dann Überangst. Doch der Ausgang lässt hoffen.

Ein Kommentar von Christoph von Marschall

Der Streit um eine chinesische Beteiligung am Hamburger Hafen weckt Zuversicht. Vielleicht gelingt es Regierung und Öffentlichkeit doch noch, Wirtschaftsinteressen und Sicherheitsbedenken in eine Balance zu bringen.

Für ein paar Tage schien es, als falle Deutschland von einem Extrem ins andere: von einer über Jahrzehnte geübten Sorglosigkeit, die in China nur ein Eldorado sah und nicht den strategischen Rivalen, zu einer angsterfüllten Haltung, die nur Risiken sieht und keine ökonomischen Chancen mehr.

Soll plötzlich „Decoupling“ von China, ein Abbruch der Geschäftsbeziehungen, die Devise sein? Als US-Präsident Donald Trump das vorschlug, hatte Deutschland empört abgelehnt.

Obendrein agierte der Kanzler fragwürdig. Er wollte eine strategische Entscheidung, die bewusstes Abwägen verlangt, am Kabinett und der Öffentlichkeit vorbei schleusen, um durch Passivität das gewünschte Ergebnis zu erreichen: die stillschweigende Genehmigung durch Ablauf der Einspruchsfrist. Und das, obwohl Sicherheitsbehörden und Koalitionspartner Bedenken hatten.

Ende gut, alles gut? Nein.

Nun kommt wohl ein veränderter Deal zustande. Der chinesische Staatskonzern Cosco darf nur mit knapp 25 Prozent am Containerterminal Tollerort einsteigen. Er hätte keine Sperrminorität oder andere Formen eines riskanten Einflusses.

Ende gut, alles gut? Nein.

Der Konflikt ist das Präludium zur Reise des Kanzlers mit einer Wirtschaftsdelegation nach Peking. Und zur prinzipiellen Abwägung, wie Deutschland künftig mit China, den sinkenden Kooperationschancen und den wachsenden Risiken umgehen möchte.

Der Wirtschaftskrieg mit Russland hat die Verwundbarkeit im Energiesektor gezeigt. Und der Konflikt um Taiwan im Sommer, dass auch in Asien ein Krieg drohen könnte. Die Abhängigkeit von China ist dramatischer als die von Russland. Chinas Anteil an der Weltwirtschaft ist rund sieben Mal so groß. Und China ist stärker in den globalen Austausch integriert.

Die Bedrohung ist erkannt. Doch welche Rolle traut sich Deutschland, die vierstärkste Wirtschaftsmacht der Erde, in einer konfliktgetriebenen Weltwirtschaft zu?

Es hat wenig Grund, China ängstlich zu begegnen wie das berühmte Kaninchen der Schlange. Gewiss doch, Deutschland ist in vielem abhängig. Aber die umgekehrte Abhängigkeit ist größer. Peking braucht Exporterfolge, um Stabilität im Innern durch wachsenden Wohlstand zu erreichen.

Der Chemieriese BASF setzt für seine Zukunft stark auf China: Forschung an innovativen Kathodenmaterialien für die Elektromobilität in einem chinesischen Labor.

© pa/obs BASF SE / BASF SE

Das größere Droh- und Erpressungspotenzial hat derjenige, der sich besser auf den Fall der Fälle vorbereitet. Käme es zu einem Angriff Chinas auf das demokratische Taiwan, wäre der Abbruch vieler Geschäfte zwangsläufig.

Kann Deutschland das überleben, wenn schon die Sanktionen gegen das ökonomisch weniger wichtige Russland so große Schmerzen bereiten? Die Volkswirtschaft als Ganzes könnte es verkraften, einzelne Branchen hingegen nicht.

Deutschland könnte sogar „Decoupling“ verkraften

Aus China kommen und nach China gehen rund zehn Prozent der deutschen Ein- und Ausfuhren. So gesehen bedeutet selbst ein „Decoupling“ – das freilich niemand anstrebt – keine existenzielle Gefahr für Deutschland. Für Konzerne mit einem überproportionalen Anteil Chinageschäft wie der Chemieriese BASF, die Autobauer, manche Textilfirmen, Pharmabetriebe und Maschinenbauer sieht das Szenario bedrohlicher aus.

Deutschland braucht ein klares Bild seiner Verwundbarkeiten. Diese Studie samt Vorschlägen, wie sie sich reduzieren lassen, ist in Arbeit. Sie wird aber nur gelingen, wenn die Privatunternehmen mit ihren Verbänden, den China-Think-Tanks und der Politik kooperieren. Für die Hoffnung, dass dies gelingen kann, spricht: Wirtschaftsverbände wie der BDI haben die Wende von der Sorglosigkeit zum Risikobewusstsein lange vor der Politik eingeleitet.

Es gibt jedoch auch Gründe, an einer ehrlichen Auflistung riskanter Abhängigkeiten zu zweifeln. Konzerne, die auf China setzen, haben wenig Interesse, ihre Verwundbarkeit zu einem untragbaren Risiko für Deutschland zu erklären.

Der Weg zu einer China-Strategie, die das wirtschaftliche Wohl und die Risiken sorgfältig abwägt, ist bereitet. Am Ziel ist Deutschland noch lange nicht.

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