zum Hauptinhalt
Japans früherer Regierungschef Shinzo Abe.

© dpa

Update

Schüsse bei Wahlkampfrede: Japans Ex-Ministerpräsident Shinzo Abe stirbt nach Attentat

Der frühere japanische Regierungschef Shinzo Abe ist auf offener Straße erschossen worden. Ein Tatverdächtiger wurde festgenommen.

Der frühere japanische Ministerpräsident Shinzo Abe ist nach dem Anschlag bei einer Wahlkampfveranstaltung gestorben. Der 67 Jahre alte Politiker habe den Mordanschlag in der Stadt Nara am Freitag nicht überlebt, berichteten japanische Medien am Freitag übereinstimmend.

Abe war bei einer Wahlkampfrede in der Region Nara niedergeschossen worden. Ein Tatverdächtiger wurde festgenommen.

[Wenn Sie aktuelle Nachrichten aus Berlin, Deutschland und der Welt live auf Ihr Handy haben wollen, empfehlen wir Ihnen unsere App, die Sie hier für Apple- und Android-Geräte herunterladen können.]

Abe habe sich an die Brust gefasst, als er auf der Straße kollabiert sei, sein Hemd sei blutverschmiert gewesen, hieß es nach dem Anschlag in Medienberichten. Auf dem Weg in ein Krankenhaus sei er im Krankenwagen zunächst noch bei Bewusstsein gewesen und habe auf Ansprache reagiert, hieß es.

Empfohlener redaktioneller Inhalt

An dieser Stelle finden Sie einen von unseren Redakteuren ausgewählten, externen Inhalt, der den Artikel für Sie mit zusätzlichen Informationen anreichert. Sie können sich hier den externen Inhalt mit einem Klick anzeigen lassen oder wieder ausblenden.

Ich bin damit einverstanden, dass mir der externe Inhalt angezeigt wird. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr Informationen dazu erhalten Sie in den Datenschutz-Einstellungen. Diese finden Sie ganz unten auf unserer Seite im Footer, sodass Sie Ihre Einstellungen jederzeit verwalten oder widerrufen können.

Ein 41 Jahre alter Japaner sei noch am Tatort wegen versuchten Mordes verhaftet worden. Der Mann soll mit einer selbstgebastelten Schusswaffe von hinten zwei Schüsse auf Abe abgefeuert haben. Bei dem Attentäter soll es sich um ein Ex-Mitglied der Selbstverteidigungsstreitkräfte des Landes handeln. Das berichtete der japanische Fernsehsender NHK am Freitag unter Berufung auf Quellen im Verteidigungsministerium.

Attentäter soll mit selbstgebastelter Waffe auf Abe geschossen haben

Der Mann soll mit einer selbstgebastelten Schusswaffe von hinten zwei Schüsse auf Abe abgefeuert haben. Auf Fernsehbildern war zu sehen, wie der Angreifer schweigend auf Abe zugeht, eine nach Angaben der Polizei selbstgebaute Waffe aus einer Tasche holt und von hinten auf Abe anlegt.

Abe hebt während seiner Rede die Faust, als plötzlich zwei laute Schüsse zu hören sind. Aus der Menschenmenge sind Schreie zu hören, Sekunden später fällt Abe zu Boden. Im nächsten Moment überwältigen Sicherheitsleute den Täter. Eine Wahlkampfhelferin versuchte verzweifelt, Abe mit Herzdruckmassage wiederzubeleben.

Der Japaner, der auf Abe geschossen hat, habe bis 2005 drei Jahre lang der Marine des Landes angehört, berichtete NHK weiter.

Einem Medienbericht zufolge schoss er aus Unzufriedenheit auf den Politiker. Wie der japanische Fernsehsender NHK am Freitag berichtete, soll der mutmaßliche Attentäter nach seiner Festnahme gesagt haben, er sei „unzufrieden“ mit Abe und habe ihn „töten“ wollen. Japan gilt als eines der sichersten Länder und hat mit die schärfsten Waffengesetze der Welt.

Sonntag geht es für Abes Nachfolger Kishida um die Wiederwahl

Abe regierte Japan von Dezember 2012 bis zu seinem Rücktritt im September 2020. Er war aber noch eine wichtige Figur in der regierenden Liberaldemokratischen Partei (LDP). Am Sonntag muss sich sein Parteifreund Kishida der Wahl im japanischen Oberhaus stellen. Es wird erwartet, dass die LDP einen haushohen Sieg erringen wird. Die Regierung erklärte, es gebe keine Pläne, die Wahl zu verschieben.

Kishida brach sofort seinen Wahlkampf in der Präfektur Yamagata im Norden Japans ab und machte sich im Hubschrauber auf den Weg zurück nach Tokio. Seine Regierung richtete einen Krisenstab ein.

Auch der US-Botschafter in Japan reagierte geschockt. „Wir sind alle traurig und schockiert“, dass auf den ehemaligen Ministerpräsidenten geschossen worden sei, so Botschafter Rahm Emanuel in einer Stellungnahme. „Abe-san“ sei ein „herausragender Führer Japans und unerschütterlicher Verbündeter der Vereinigten Staaten“ gewesen.

Deutsche und internationale Reaktionen auf den Anschlag

Bundeskanzler Olaf Scholz: „Das tödliche Attentat auf Shinzo Abe macht mich fassungslos und tief traurig. (...) Wir stehen auch in diesen schweren Stunden eng an der Seite Japans.“

Bundesaußenministerin Annalena Baerbock: „Ich bin schockiert über die Nachricht, dass auf Shinzo Abe geschossen wurde. Meine Gedanken sind bei ihm und seiner Familie.“

Altkanzlerin Angela Merkel: „Japan und die Welt verlieren mit Shinzo Abe einen großen Staatsmann. (...) Sein Wort hatte Gewicht. Seine Entscheidungen waren verlässlich. Sein Humor half, Widerstände zu überwinden. Er war mir ein enger Kollege und Freund.“

Auch US-Präsident Joe Biden verurteilte den Anschlag. „Ich bin fassungslos, empört und zutiefst traurig über die Nachricht, dass mein Freund Abe Shinzo während eines Wahlkampfauftritts erschossen wurde. Dies ist eine Tragödie für Japan und für alle, die ihn kannten“, hieß es in einer Mitteilung.

Biden ordnete Trauerbeflaggung am Weißen Haus, an öffentlichen Gebäude und an Militärstützpunkte in den USA sowie an diplomatischen Vertretungen im Ausland an. Am Nachmittag trug sich der Präsident nach Angaben des Weißen Hauses in der japanischen Botschaft in Washington in das Kondolenzbuch ein.

US-Außenminister Antony Blinken: Abe war „eine Führungspersönlichkeit mit großen Visionen“, die „die Beziehungen zwischen unseren Ländern, den Vereinigten Staaten und Japan, auf neue Höhen gebracht hat“.

Der russische Präsident Wladimir Putin sprach nach Kreml-Angaben von einem „schweren, unersetzlichen Verlust“. Abe sei ein „herausragender Staatsmann“ gewesen, der viel für die Entwicklung „gutnachbarlicher Beziehungen zwischen unseren Ländern“ getan habe.

Präsident Emmanuel Macron: „Japan verliert einen großen Ministerpräsidenten, der sein Leben seinem Land gewidmet und sich für ein Gleichgewicht in der Welt eingesetzt hat.“

Die britische Königin Elizabeth II. schrieb in einem an den japanischen Kaiser Naruhito gerichteten Kondolenzschreiben: „Ich möchte mein tiefstes Mitgefühl und mein Beileid an seine Familie und die Menschen in Japan in dieser schweren Zeit mitteilen.“

Premierminister Boris Johnson: „Seine globale Führungsrolle in bisher nie dagewesenen Zeiten wird vielen in Erinnerung bleiben.“

Der UN-Sicherheitsrat ehrte Abe mit einer Schweigeminute. Zu Beginn einer Sitzung, bei der sich das Gremium mit dem Konflikt in Syrien beschäftigen wollte, erhoben sich die Vertreter der 15 Mitgliedsländer und gedachten des ermordeten Abe. Zuvor hatte sich bereits UN-Generalsekretär António Guterres als „zutiefst traurig“ gezeigt und den Anschlag als „entsetzlich“ bezeichnet.

Finanzminister verkündet auf Twitter Abes Tod – keine Bestätigung

In einem ungewöhnlichen Vorgang hatte der neue britische Finanzminister Nadhim Zahawi am Freitagmorgen auf Twitter den Tod Abes verkündet, obwohl es zu diesem Zeitpunkt aus Japan noch lange keine offizielle Bestätigung gegeben hatte. Ein „guter Mann“ sei gestorben, der das Ziel verfolgt habe, die Welt zu einem besseren Ort zu machen. „Möge er ruhen im ewigen Frieden.“

Polizisten ermitteln am Ort des Anschlags.

© IMAGO/AFLO

Abe war der bisher am längsten amtierende Premier des Landes. Unter ihm rückte Japan nach Meinung von Kritikern deutlich nach rechts. Er gehört zu den entschiedenen Verfechtern einer Revision der pazifistischen Nachkriegsverfassung des Landes.

Im Artikel 9 der Verfassung verzichtet Japan „für alle Zeiten auf den Krieg als ein souveränes Recht der Nation und auf die Androhung oder Ausübung von Gewalt als Mittel zur Beilegung internationaler Streitigkeiten“. Abe glaubt, dass die Verfassung nicht der einer unabhängigen Nation entspricht, da sie 1946 von der Besatzungsmacht USA aufgezwungen worden sei.

Kishida will Verteidigungsausgaben in Japan verdoppeln

Vor dem Hintergrund des Ukraine-Krieges und dem wachsenden Einfluss Chinas in der Region hat die Regierung sich zunehmend besorgt gezeigt über die nationale Sicherheitslage. Kishida hat versprochen, die Verteidigungsausgaben „erheblich“ zu erhöhen, ohne jedoch anzudeuten, was genau damit gemeint sei.

In ihrem Wahlprogramm hatte Kishidas LDP eine Verdoppelung der Verteidigungsausgaben auf zwei Prozent des BIP gefordert. Vor kurzem hatte Kishida als erster japanischer Regierungschef den Nato-Gipfel besucht.

Eine Änderung von Artikel 9 der Verfassung ist seit langem ein Vorhaben der Konservativen, die das von den USA entworfene Dokument als nicht länger zeitgemäß einstufen. Artikel 9 schreibt vor, dass nur Verteidigungskräfte aufgestellt werden können.

Wird vor dem Hintergrund des Ukraine-Krieges die Verfassung geändert?

Die japanische Öffentlichkeit ist traditionell zurückhaltend, wenn es um Änderungen geht. Die Krise in der Ukraine hat die Unterstützung für eine robustere Verteidigung jedoch gestärkt. Auch Kishida – der aus Hiroshima stammt – hatte sich zuvor zurückhaltend geäußert, aber ist inzwischen zum Befürworter geworden: Teile der Verfassung seien „veraltet und unzureichend“. Diese ist seit 1947 noch nie geändert worden.

Wirtschaftlich wollte Abe mit seiner „Abenomics“ getauften Wirtschaftspolitik aus billigem Geld, schuldenfinanzierten Konjunkturspritzen und dem Versprechen von Strukturreformen Japan aus der jahrzehntelangen Deflation und Stagnation führen.

Zwar hat die Nummer Drei der Weltwirtschaft unter Abe zwischenzeitlich die längste Wachstumsphase seit Jahren erlebt. Zudem kurbelte er den Tourismus an, der vor der Corona-Pandemie viel Geld ins Land brachte. Gleichzeitig aber habe die „Abenomics“ dazu geführt, dass die Gewinne in den vergangenen Jahren ungleich verteilt worden seien, beklagten seine Kritiker. Ein Drittel der Beschäftigten in Japan hat keine feste Anstellung. (dpa, Reuters, AFP)

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false