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Im Januar 2014 besuchte Russlands Präsident Wladimir Putin die EU-Zentrale in Brüssel. Wenige Wochen später annektierte er die Krim.

© picture alliance / dpa/Olivier Hoslet

Informationsmanipulation im EU-Wahlkampf?: „Ernste Bedrohung für unsere Demokratie“

Fake News, Desinformation, Informationsmanipulation: Die EU-Wahl könnte zum Ziel von Cyberangriffen aus dem Kreml werden. Daher kommt es auf alle an – in den sozialen Medien wie am Stammtisch.

Vor knapp zwei Jahren wurden die Grünen zum Ziel eines Hackerangriffs. E-Mails für Parteimitglieder wurden an einen Server in der Republik Moldau weitergeleitet. Die Öko-Partei schaltete damals das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) ein. Nicht ohne Grund: In Teilen der Republik Moldau übt Russland erheblichen Einfluss aus.

Der Vorfall dürfte manchen bei den Grünen jetzt, knapp zwei Monate vor der Europawahl, wieder in den Sinn kommen. Denn die Europawahlen am 9. Juni bieten ein Einfallstor für Desinformation und Informationsmanipulation. Welche Rolle der Kreml und staatsnahe russische Akteure dabei spielen, ist zuletzt angesichts der Diskussion um den AfD-Politiker Petr Bystron deutlich geworden.

Laut tschechischen Medienberichten steht Bystron im Verdacht, aus dem Umfeld der russischen Propaganda-Plattform „Voice of Europe“ Geld erhalten zu haben. Bystron, der für die AfD auf Listenplatz 2 bei der Europawahl kandidiert, dementiert die Vorwürfe.

Wenn Putin mit seinem Angriffskrieg Erfolg hat, wäre das das Ende der europäischen Friedensordnung.

Emily Büning, politische Geschäftsführerin der Grünen

Aber auch ungeachtet der Causa Bystron wappnet man sich bei den Grünen und den beiden anderen Ampel-Parteien schon jetzt gegen eine mögliche russische Einflussnahme bei der Europawahl. „Wir rechnen stark damit, dass es bei der Europawahl Desinformationskampagnen geben wird. Darauf bereiten wir uns gut vor“, sagte die politische Geschäftsführerin der Grünen, Emily Büning, dem Tagesspiegel.

Im Vergleich zur Bundestagswahl von 2021, also vor dem Ukraine-Krieg, habe das Ausmaß der Fake News und Informationsmanipulation noch einmal zugenommen, so Büning.

Jüngstes Beispiel: die Attacke auf Cem Özdemir

Von Desinformation oder Fake News spricht man, wenn falsche oder fehlerhafte Informationen bewusst verbreitet werden. Bei der Informationsmanipulation gehen ihre Urheber raffinierter vor: Sie verzerren eine – durchaus legitime – Debatte und verstärken bestimmte Positionen.

Das ließ sich beobachten, als der Konvoi des Grünen-Politikers Cem Özdemir im baden-württembergischen Biberach im Februar von Landwirten attackiert wurde. Die Seitenscheibe eines Begleitfahrzeuges ging zu Bruch, der Agrarminister musste die Veranstaltung zum politischen Aschermittwoch absagen.

Die Bilder von den gewalttätigen Protesten in Biberach gingen schnell viral. „Innerhalb von Minuten waren die Videos davon auf russischsprachigen Websites zu finden“, so Grünen-Geschäftsführerin Büning.

Die Attacke auf Landwirtschaftsminister Cem Özdemir sorgte für Entsetzen.

© dpa/Silas Stein

Sind nun gerade die Europawahlen von „Fake News“ und verzerrten Debatten betroffen, weil die EU in der Öffentlichkeit oftmals als kompliziertes und schwer durchschaubares Gebilde wahrgenommen wird? In den Augen des Grünen-Europaabgeordneten Daniel Freund trifft das nur begrenzt zu.

EU ist nur so gut geschützt wie ihr schwächstes Glied

Die EU sei nicht nur deshalb besonders verletzlich, weil ihre Verfahren gelegentlich komplex seien, sagte er. Vielmehr sei die Europawahl „ein besonderes Ziel, weil die EU aus Putins Sicht eine strategische Rolle im Ukraine-Krieg spielt“.

„Die EU ist grundsätzlich nur so gut geschützt wie ihr jeweils schwächstes Glied“, sagte Freund weiter. Als Beispiel nannte er Ungarn und die Rolle des EU-Landes bei der Finanzierung von Wahlkämpfen der französischen Rechtspopulistin Marine Le Pen durch den Kreml.

Ungarns Regierungschef Viktor Orbán fällt in der EU durch seine Nähe zum russischen Präsidenten Wladimir Putin auf.

© REUTERS/INQUAM PHOTOS/OCTAV GANEA

„Als es im letzten Präsidentschaftswahlkampf 2022 in Frankreich Probleme mit der Finanzierung gab, floss das Geld über eine Bank in Ungarn“, erläuterte Freund.  

In der Grünen-Parteizentrale wird derweil angesichts möglicher Kreml-Propaganda ein intensives Monitoring der sozialen Medien betrieben – inklusive Warnungen für den Fall, dass Desinformationen eine große Reichweite erzielen.

Gleichzeitig finden vor der Europawahl Informationsveranstaltungen und Workshops für Mitglieder und Funktionsträger von den Landesverbänden bis zur EU-Ebene statt, so Büning.

Grundsätzlich gelte die Regel, dass man nicht auf jede Desinformation reagieren müsse. „Man darf nicht in die Falle tappen, jede noch so kleine Falschmeldung korrigieren zu wollen – denn damit läuft man Gefahr, ihr durch die eigene Reichweite mehr Aufmerksamkeit zu geben“, sagte die Grünen-Politikerin.

Zum Ziel von Desinformation oder Informationsmanipulation werden die Grünen nicht zuletzt deshalb, weil sie sich innerhalb der Bundesregierung für eine Unterstützung der Ukraine einsetzen. Im Europawahlkampf wolle sich ihre Partei dafür starkmachen, dass die Ukraine künftig noch stärker gemeinsam durch die Europäer unterstützt wird.

„Gerade, weil wir Frieden wollen, müssen wir die Ukraine stärker unterstützen. Wenn Putin mit seinem Angriffskrieg Erfolg hat, wäre das das Ende der europäischen Friedensordnung“, warnte Büning.

Auch FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai sieht die Diskussion um die Unterstützung der Ukraine als möglichen Hebel für Desinformation und Informationsmanipulation. „Gezielte Desinformationen sind eine Herausforderung in der politischen Debatte“, sagte er dem Tagesspiegel.

FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai sieht den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine als Anknüpfungspunkt für Desinformation aus dem Ausland.

© dpa/Fabian Sommer

Gerade in sozialen Netzwerken sehe man, dass immer mehr Desinformation durch einzelne Akteure, aber auch fremde Staaten, auftrete, so Djir-Sarai. „Als Anknüpfungspunkt dienen dabei häufig gesellschaftliche Krisen wie die Corona-Pandemie oder der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine“, sagte der FDP-Generalsekretär weiter.

Nach seinen Worten gelte es gerade vor Wahlen, sich gegen Versuche zu schützen, „die unsere liberale Demokratie schwächen wollen“. Dabei müsse man vor allem auf Bildung und die Stärkung der Medienkompetenz der Bürger setzen: „Wir müssen die Öffentlichkeit, aber auch die Politik, intensiver für die Gefahr von Desinformation sensibilisieren und koordiniert dagegen vorgehen.“

Ständiger Kontakt zu den Sicherheitsbehörden

Ähnlich lautet die Analyse bei den Sozialdemokraten. „Cyberangriffe und Desinformationskampagnen sind eine ernste Bedrohung für unsere Demokratie“, sagte ein SPD-Sprecher.

Dies drücke sich unter anderem aus durch Hackerattacken, die das Abgreifen von Daten oder die Schädigung von Infrastruktursystemen zum Ziel haben. Deshalb passe man die interne IT-Sicherheit „kontinuierlich der aktuellen Lage an“.

„Wir sind uns als Partei der allgemeinen Gefährdungslage sehr bewusst und stehen in ständigem Kontakt zu den Sicherheitsbehörden“, sagte der Sprecher weiter. Ebenso wichtig sei aber, dass die gesamte Gesellschaft Desinformationskampagnen entschieden entgegentrete.

Dies gelte für die eigene Kommunikation in den sozialen Netzwerken  – „oder auch am Stammtisch, wenn andere erkennbar Fake-News weiter verbreiten“.

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