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ARCHIV - 09.12.2021, Berlin: Christian Lindner (FDP), neuer Bundesminister der Finanzen, spricht bei der Zeremonie zur Amtsübergabe im Bundesfinanzministerium. Am 27. Oktober wird das Ergebnis der Herbst-Steuerschätzung veröffentlicht. Foto: Tobias Schwarz/AFP-Pool/dpa +++ dpa-Bildfunk +++

© dpa / dpa/Tobias Schwarz

Gute Steuerschätzung dank Inflation: Frohe Botschaft mit Einschränkungen

Finanzminister Christian Lindner kündigt 126 Milliarden Euro Mehreinnahmen an. Aber er warnt. Höhere Preise zahlt auch der Staat. Und die Zinsen steigen.

Inflation ist gar nicht so schlecht für den Staat. Höhere Preise bedeuten höhere Einnahmen bei der Umsatzsteuer. Und falls die Inflation zu höheren Löhnen führt, steigt auch die Einkommensteuer. Eine feine Sache also für Christian Lindner. Der Bundesfinanzminister hat nicht zuletzt wegen der gestiegenen und weiter steigenden Preise am Donnerstag eine Steuerschätzung verkünden können, die auf den ersten Blick recht komfortabel aussieht. 126 Milliarden Euro Mehreinnahmen im Vergleich zur Schätzung vom Mai – das ist viel Geld zum Ausgeben.

Mehr als die Hälfte geht an die Länder und Kommunen, etwa 40 Prozent kann der Bund für sich verbuchen. Mit einem Plus von etwa 50 Milliarden Euro also kann Lindner nun für seine Etats planen. Verteilt auf fünf Jahre allerdings – denn die Steuerschätzung reicht vom kommenden Jahr bis 2027. Weshalb die Jahresscheiben so üppig gar nicht ausfallen. Zehn Milliarden Euro sind gut zwei Prozent eines Bundeshaushalts. Lindner machte noch eine wichtige Einschränkung: „Erhebliche Steuerrechtsänderungen“, welche die Ampel-Koalition noch plant, seien in der Schätzung nicht berücksichtigt. „Vermeintliche Spielräume bestehen daher nicht“; sagte der FDP-Chef.

Und Inflation bedeutet nicht nur mehr Einnahmen. Auch die Ausgaben des Staates steigen mit den Preisen. Was er einkauft, wird ebenfalls teurer. Seine Investitionen verteuern sich entsprechend. Auch die Personalkosten wachsen mit der Inflation – die Gewerkschaft Verdi hat vor zwei Wochen für die anstehenden Tarifverhandlungen mit dem Bund und den Kommunen (die Länder verhandeln separat) angekündigt, Lohnsteigerungen von 10,5 Prozent durchsetzen zu wollen. Lindner wies am Donnerstag auch darauf hin. Mit Blick auf die Konjunktur betonte er, die Zahlen seien „von höchster Unsicherheit“ gekennzeichnet.

Rezession bremst Einnahmen

Die Inflation ist nur eine Rechnungsgröße, wenn die Koalition aktuell ihre Haushaltsplanung macht. Denn parallel zu den Preissteigerungen macht derzeit die Wirtschaft schlapp. Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) hat daher die Herbstprognose der Regierung für das Wachstum im Vergleich zum Frühjahr deutlich zurückgenommen. Für 2023 wird sogar mit einem leichten Schrumpfen der Wirtschaftsleistung um 0,4 Prozent gerechnet. Eine schlechtere Konjunktur bedeutet üblicherweise zwar geringere Steuereinnahmen – aber der Effekt wird offenkundig von der massiven Inflation überdeckt, zumal die Regierung davon ausgeht, dass es zu keinen größeren Einbrüchen bei der Beschäftigtenzahl kommen wird.

Immerhin musste die Steuerschätzung für das laufende Jahr wegen der schlechten Lage im zweiten Halbjahr leicht nach unten korrigiert werden. Allerdings kann Lindner im kommenden Jahr auch höhere Schulden machen als bisher geplant. Denn nach den Regeln der Schuldenbremse sind bei einer Abschwächung der Wirtschaft mehr neue Kredite möglich. Im Etatentwurf waren noch gut 17 Milliarden Euro dafür veranschlagt, nun dürften es etwa 35 Milliarden Euro sein.

Aber auch hier spielt die Inflation hinein: Wegen ihr steigen auch die Zinsen, die deutliche Leitzinserhöhung der Europäischen Zentralbank vom Donnerstag wird die Kreditkosten des Staates nochmals nach oben treiben. Und zwar nicht nur für neue Schulden, sondern mittelfristig für die Gesamtverschuldung, die beim Bund mittlerweile Richtung zwei Billionen Euro tendiert. Lindner geht nun davon aus, dass er die Vorsorge für Zinskosten im Etat für 2023 (und danach) erhöhen muss. Bisher sind für das kommende Jahr 30 Milliarden Euro vorgesehen, fast zehnmal so viel wie noch 2021.

Bundestag hat das Sagen

Mehr Steuereinnahmen dank Inflation, mehr Kreditspielraum dank Abschwung – was etwas paradox wirkt, wird für Lindner nun eine Herausforderung, wenn es um das Abwehren von Wünschen geht. Denn die kommen, da kann er warnen so viel er will, nun von mehreren Seiten. Der Etat für 2023 (samt der Finanzplanung bis 2026) wird derzeit im Bundestag beraten.

Den Hut hat also das Parlament auf. Über das Geld, das Lindner jetzt hinterherschiebt, können die Abgeordneten der Ampel-Fraktionen entscheiden. Das läuft in der Regel darauf hinaus, dass viele Interessen bedient werden wollen. Auch die Kabinettskollegen mischen hier mit, indem sie ihre Fachpolitiker im Parlament aktivieren.

Zum anderen verlangen die Länder mehr Geld für sich, auch die Kommunen wollen etwas vom Kuchen. Auch sie haben zwar Mehreinnahmen – und ihre Verschuldung ist geringer. Aber es gibt einige Vorhaben des Bundes, bei denen sie mitfinanzieren sollen - und daher mitreden wollen.

Sie reden mit: die Regierungschefs der Bundesländer, hier beim Treffen vorige Woche in Hannover.

© dpa/Michael Matthey

Dazu gehört das geplante 49-Euro-Ticket, bei dem es darum geht, auch den öffentlichen Nahverkehr auf dem Land attraktiver zu gestalten – was Geld kostet. Die Wohngeldreform ist ohne die Länder nicht zu machen. Und auch die wieder steigenden Flüchtlingskosten sind ein Verhandlungsthema. Am kommenden Mittwoch treffen sich die Ministerpräsidenten wieder mit dem Kanzler.

Lindner aber hat eine Karte im Ärmel, die er nun zieht: sein Inflationsausgleichsgesetz. Mit diesem soll erreicht werden, dass der Kaufkraftverlust durch die Preissteigerungen - auch bei jenen, die höhere Gehälter bekommen – bei der Einkommensteuer berücksichtigt wird. So soll die „kalte Progression“ (die eintritt, wenn der Kaufkraftverlust nicht berücksichtigt würde) möglichst stark vermieden werden.

Der FDP-Chef wirbt offensiv mit dem Gesetzentwurf und spricht von einer Belastung der Steuerzahler in Höhe von 41 Milliarden Euro, die er möglichst weit ausgleichen möchte. Bei SPD und Grünen hält man die Maßnahme für weniger dringlich und könnte sich vorstellen, beim Anpassen des Steuertarifs eher die Lohnsteigerungen zum Maßstab zu nehmen als die Inflation. Die geht schließlich stark auf hohe Energiepreise zurück, zu deren Ausgleich die Regierung allerdings die Gas- und Strompreisbremsen umsetzen will.

In der Steuerschätzung ist der Effekt des Inflationsausgleichsgesetzes noch nicht enthalten, es gehört zu jenen Steuerrechtsänderungen, die noch in Arbeit und vom Bundestag nicht endgültig beschlossen sind. Wäre das der Fall, dann wäre das Steuerplus geringer – und Lindner müsste weniger kämpfen. Kleines Kuriosum am Rande: Der Staat könnte nun wegen der besseren Steuerschätzung wohl schon 2025 erstmals mehr als eine Billion Euro an Steuern einnehmen - bisher gingen die Schätzer vom Jahr 2026 aus.

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