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© AFP

Armenien: Fußball und Diplomatie

Zum ersten Mal betritt ein türkisches Staatsoberhaupt armenischen Boden. Anlass für den Besuch Abdullah Güls in Eriwan ist ein Fußballspiel.

Istanbul - Es ist nur ein kurzer Flug für Abdullah Gül – aber ein Riesenschritt für die türkische Politik. Wenn der türkische Staatspräsident an diesem Samstag in Eriwan, der Hauptstadt des Nachbarlandes Armenien, eintrifft, wird zum ersten Mal ein türkisches Staatsoberhaupt armenischen Boden betreten. Historische Wunden, die nie richtig aufgearbeitet worden sind, haben die Nachbarn bisher auf Distanz gehalten. Das soll sich jetzt ändern.

Ein Beitrag zu einem „neuen Klima der Freundschaft in der Region“ solle sein Besuch sein, ließ Gül erklären. Anlass für die Reise ist die erste Begegnung der türkischen und der armenischen Fußballnationalmannschaften, die in der WM- Qualifikation aufeinandertreffen. Nach der Einladung seines armenischen Amtskollegen Serge Sarkisian hatte Gül lange mit einer Antwort gezögert. Viele Kommentatoren und Wirtschaftsvertreter hatten ihn aufgerufen, er solle den Schritt tun; nach einer Umfrage befürworten zwei von drei Türken die Reise. Nationalisten sprachen dagegen von „Verrat“.

Die Wurzel der Entfremdung von Türken und Armeniern ist der Streit über die Frage, ob die Türken im Ersten Weltkrieg einen Völkermord an der armenischen Minderheit im Osmanischen Reich begangen haben. Nach armenischen Angaben ließ die osmanische Regierung damals 1,5 Millionen Menschen bei Massakern und Todesmärschen umbringen. Die Türkei streitet nicht ab, dass viele unschuldige Menschen ums Leben kamen, will aber von einem Völkermord nichts wissen: Die Armenier seien bei einer Umsiedlungsaktion dem Chaos und den Hungersnöten der Kriegszeit zum Opfer gefallen.

Seit einiger Zeit suchen beide Seiten behutsam nach Möglichkeiten, zumindest über die Vergangenheit sprechen zu können. Bei mehreren Geheimtreffen in den vergangenen Monaten sollen Diplomaten beider Seiten erste Fortschritte erzielt haben. Güls Besuch bietet die Chance, diese Kontakte zu intensivieren.

Ein besonderes Problem aus türkischer Sicht stellt allerdings die armenische Unabhängigkeitserklärung von 1990 dar: In dem Dokument wird der zur Türkei gehörende Osten Anatoliens als „Westarmenien“ bezeichnet. Das bedeutet aus Ankaras Sicht, dass Armenien einen Anspruch auf türkisches Staatsgebiet erhebt. Für zusätzlichen Zwist sorgte der Karabachkonflikt der neunziger Jahre, in dem sich die Türkei auf die Seite Aserbaidschans stellte und ihre Grenze zu Armenien schloss. Beide Länder unterhalten keine diplomatischen Beziehungen.

Die jüngsten Gefechte zwischen Georgien und Russland haben bei türkischen Diplomaten jedoch die Überzeugung reifen lassen, dass Ankara den armenischen Nachbarn nicht mehr einfach ignorieren kann. Seit dem Ende der Kämpfe in Südossetien wirbt die türkische Regierung für die Bildung einer „Kaukasusallianz“, der die Türkei selbst sowie Georgien, Russland, Aserbaidschan und auch Armenien angehören sollen.

Die Türkei will ein unverzichtbares Transitland bei der Energieversorgung des Westens werden und hat deshalb Pipeline-Projekte aus dem Kaspischen Meer Richtung Westen forciert, die Russland umgehen. Neue Konflikte im Kaukasus könnten dieses strategische Ziel Ankaras gefährden. Deshalb will Gül mit Sarkisian auch über die Zukunft der „Kaukasusallianz“ sprechen: Bei der „Fußballdiplomatie“ geht es nicht nur um Abseits, Tore und die Schatten der Vergangenheit. Susanne Güsten

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