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Joe Biden verspricht, mit seinem Projekt "Build Back Better" wird sich die Inflation verringern. Ein waghalsiges Versprechen.

© LEAH MILLIS/REUTERS

Global Challenges: Fakten statt Fake News – das muss die Devise des Westens sein

Die westliche Wirtschaftspolitik muss wieder an Glaubwürdigkeit gewinnen, um im Kampf der Systeme nicht unterzugehen. Ein Gastbeitrag.

Ein Gastbeitrag von Michael J. Boskin

Global Challenges ist eine Marke der DvH Medien. Das neue Institut möchte die Diskussion geopolitischer Themen durch Veröffentlichungen anerkannter Experten vorantreiben. Heute ein Beitrag von Michael J. Boskin, Professor für Wirtschaftswissenschaften an der Stanford University. Weitere AutorInnen sind Sigmar Gabriel, Günther H. Oettinger, Prof. Dr. Ann-Kristin Achleitner, Prof. Jörg Rocholl PhD, Prof. Dr. Bert Rürup. Prof. Dr. Renate Schubert und Jürgen Trittin.

Vorbei scheinen die Zeiten, in denen westliche politische Führer Glaubwürdigkeit als ihr höchstes Gut ansahen. Von den Präsidenten und Premierministern abwärts koppeln sich viele Vertreter der politischen Klasse immer weiter von ihren Wählern ab. Was sind die Gründe für diese krisenträchtige Entwicklung – und was die Konsequenzen?

Zum einen begünstigen die heutigen sozialen Medien derzeit offensichtlich extreme Aussagen gegenüber sachlichen, faktenbasierten Analysen. In einer polarisierten medialen Welt und oft auch gespaltenen Gesellschaften sind Politiker mehr daran interessiert, ihre radikalisierte Basis zu füttern als Mäßigung und Kompromisse anzubieten.

Zum anderen liegen Prognosen eben oft daneben. Die Behauptung beispielsweise, die Inflation sei nur „vorübergehend“, mag anfangs noch einigermaßen plausibel gewesen sein, wurde aber mit jedem Monat zweifelhafter. Hinzu kommt, dass Bürger oft ein anderes Verständnis von „vorübergehend“ haben als Ökonomen. Viele Bürger assoziieren den Begriff mit „schnell vorbei“ – erlebten dann aber, dass die Inflationsraten sogar weiter stiegen.

Da neue Wirtschaftsdaten später nicht selten revidiert werden müssen, kann sogar eine Beschreibung der aktuellen Lage in die Irre führen. Bei vielen Bürgern dürfte das für erheblichen Verdruss sorgen, solange sie von der „Vorläufigkeit“ der Daten kaum etwas wissen.

Von schlechten Nachrichten und wirtschaftlichen Analphabetismus

Außerdem hassen es Politiker, dem Volk schlechte Nachrichten zu überbringen. Sie schieben die Probleme lieber ihren politischen Gegnern oder wirtschaftlichen Feindbildern wie der Öl- und Gasindustrie in die Schuhe. Jedes Mal, wenn die Benzinpreise in die Höhe schnellen, behauptet die politische Linke, dies sei das Ergebnis einer Verschwörung der Produzenten. Das Problem: Die angebliche Verschwörung erweist sich meist als bloße, nicht belegbare Behauptung. Auch wenn das Opec-Kartell versucht, von Marktverschiebungen zu profitieren, unterliegt der Preis an der Zapfsäule letztlich den Kräften von Angebot und Nachfrage.

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Die Unfähigkeit, dies zu erkennen, ist Ausdruck eines weit verbreiteten wirtschaftlichen Analphabetismus. Die meisten Wählerinnen und Wähler haben einfach zu wenig Zeit oder Sachkenntnis, um subtile Unterscheidungen etwa zwischen „hoch“ und „steigend“, „netto“ und „brutto“ oder „kurzfristig“ und „langfristig“ zu erfassen. Verschärfend wirkt, dass sich Politiker, anders als Wirtschaftswissenschaftler, in der Regel auch nicht viel Gedanken um Nuancen machen.

Um die Inflation wieder ins Spiel zu bringen. Für Ökonomen, Statistikämter, Zentralbanken und Finanzministerien bedeutet Inflation, dass die Preise steigen. Aber für die breite Öffentlichkeit bedeutet Inflation, dass die Preise im Verhältnis zum eigenen Budget unangenehm hoch sind.

Nehmen wir einmal an, der Anstieg des US-Verbraucherpreisindexes von zuletzt mehr als sechs Prozent gegenüber dem Vorjahr würde in den kommenden zwölf Monaten auf null sinken – viele Menschen hätten dann immer noch das Gefühl, die Inflation sei nicht unter Kontrolle, weil der vorherige Preisanstieg nicht rückgängig gemacht worden ist.

Oder denken Sie daran, wie Ökonomen und Statistikämter „Rezession“ definieren. Nach der vereinfachten Faustregel liegt eine Rezession dann vor, wenn das reale, inflationsbereinigte Bruttoinlandsprodukt in zwei aufeinander folgenden Quartalen sinkt. Wächst die Wirtschaft danach wieder, ist die Rezession vorbei. Ökonomische Laien hingegen meinen, eine Rezession sei erst dann beendet, wenn wieder gute Zeiten anbrechen und es viele Arbeitsplätze gibt. Genau aus diesem Grund ist eine nur langsame wirtschaftliche Erholung für Regierende so schmerzhaft.

Der Verlust der Glaubwürdigkeit

Der Unterschied zwischen Netto und Brutto sorgt ebenfalls für viel Verwirrung. Ein anschauliches Beispiel ist die Behauptung, durch den raschen Ausstieg aus fossilen Brennstoffen würden Millionen neue Arbeitsplätze geschaffen. Außen vor bleiben die milliardenschweren staatlichen Subventionen etwa für Wind- und Solarenergie – ganz zu schweigen von den Arbeitsplätzen, die im Bereich der fossilen Brennstoffe verloren gehen.

Glaubwürdigkeit verlieren Politiker auch, wenn sie mit Budgettricks die wahren Kosten von Gesetzen zu verschleiern suchen und dabei ertappt werden. Um so viele Maßnahmen wie möglich in sein auf zehn Jahre angelegtes, 1,75 Billionen Dollar schweres Programm „Build Back Better“ (BBB) unterzubringen, versicherte US-Präsident Joe Biden, zahlreiche Maßnahmen würden schon nach wenigen Jahren wieder auslaufen.

Tricks und falsche Versprechen auf beiden Seiten der Politik

Wer das allerdings glaubt, wird selig. Schon der republikanische Präsident Ronald Reagan wusste: „Nichts hält sich länger als ein befristetes Regierungsprogramm.“ Geht man realistischerweise davon aus, dass das gesamte BBB-Programm über volle zehn Jahre laufen soll, steigen die Kosten von 1,75 auf fast fünf Billionen Dollar, wie das Congressional Budget Office errechnet hat. Die US-Staatsverschuldung erhöht sich dann um weitere drei Billionen Dollar.

Natürlich greifen nicht nur die US-Demokraten auf Haushaltstricks zurück. Als es Reagans Etatdirektor David Stockman nicht gelang, genügend Ausgabenkürzungen durchzusetzen, um dem gesetzlichen Auftrag zu genügen, in einigen Jahren einen ausgeglichenen Haushalt vorzulegen, fügte er seinem Entwurf ein berühmtes Sternchen hinzu: „Ausgabenkürzungen werden später beschlossen.“

Biden, der durch die steigenden Inflationsraten zunehmend unter Druck gerät, erklärt gerne, BBB werde die Inflation verringern. Das allerdings ist eine ziemlich fragwürdige Behauptung. Doch selbst wenn sie zuträfe, bezieht sie sich auf die Inflationsentwicklung in den nächsten Jahren – und nicht in den kommenden Wochen oder Monaten. Denn es wäre geradezu absurd zu behaupten, massive zusätzliche Staatsausgaben würden die kurzfristige Inflation in einer Wirtschaft, die sich bereits nahe der Vollbeschäftigung befindet, schnell verringern.

Eine Lösung: Mehr wirtschaftliche Bildung

Welche Schlussfolgerungen ergeben sich aus diesen Befunden? Zunächst einmal sollten Politiker darauf verzichten, die Gesetze der Wirtschaft und Arithmetik außer Kraft setzen zu wollen. Versprechen wie „Das alles kostet nichts“ mögen bei einem Teil der Wähler zunächst gut ankommen. Wird dann aber später abgerechnet, folgt das böse Erwachen – und das Vertrauen der Bevölkerung in die politische Klasse erodiert weiter.

Um das Niveau der Politik zu erhöhen, ist es unverzichtbar, den wirtschaftlichen Analphabetismus weiter Bevölkerungskreise zu überwinden. Dafür wäre eine Art „Wirtschaftsunterricht“ in den Schulen das wohl geeignetste Mittel. Dann fiele es Politikern schwerer als bisher, das Volk mit leeren wirtschaftspolitischen Versprechungen zu blenden. Gerade in der Systemkonkurrenz mit autoritären oder diktatorischen Staaten werden westliche Demokratien zunehmend auf das aufgeklärte Vertrauen der Bevölkerung in die politische Klasse angewiesen sein. Die Devise muss also lauten: Fakten statt Fake News. Glaubwürdigkeit muss wieder das höchste Gut werden.

Michael J. Boskin

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