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Politik: Eine mögliche Mission

BUNDESWEHR IN KUNDUS

Von Gerd Appenzeller

Was die deutschen Soldaten wohl in den kommenden Monaten im afghanischen Kundus finden werden? Freundliche Aufnahme – oder Massengräber? Nachdem die Soldaten der Nordallianz vor zwei Jahren die Taliban aus der Stadt vertrieben hatten, sollen tausende der geschlagenen Kämpfer ermordet, ihre Leichen verscharrt worden sein. Friedensmission oder blutiger Ernst – das ist die Bandbreite der Erwartungen und Befürchtungen, die Bundeswehr und Politik seit Beginn des Einsatzes im Norden Afghanistans bewegen. Vermutlich bis 2005 werden dort deutsche Soldaten stationiert sein, sagt Verteidigungsminister Struck, der heute in Kundus ist. Kundus – afghanischer Alltag mit allen Chancen und Gefahren. Aber ein Einsatz, der sich aus der Kontinuität der deutschen Außen und Sicherheitspolitik seit 1990 begründen lässt.

Seit der Wiedervereinigung sucht die Bundesrepublik ihre Rolle in der Weltpolitik, eine Rolle, die zu spielen ihr in den Jahren der deutschen Teilung verwehrt war. Darin steckt nicht nur das Risiko des Irrtums – wer keine Erfahrung hat, macht leichter Fehler – sondern auch ein Vorzug. Da die Deutschen sich nach 1918 weder in kolonialen Verstrickungen verfangen konnten, noch nach 1945 Teilnehmer an geopolitischen Machtspielen gewesen sind, dürfen sie im Ausland, vor allem in Asien und Afrika, glaubhaft als uneigennützige Vermittler auftreten. „Deutsche Interessen“ ließen sich angesichts der Globalisierung der Konflikte als die Erkenntnis definieren, dass jeder Krisenherd weniger auch von Vorteil für Deutschland selbst sein musste.

Diese Deutung der Sicherheitspolitik nach 1990 stand durchaus in der Tradition der pazifistischen Tendenzen der deutschen Außenpolitik nach dem Zweiten Weltkrieg. Während der militärische Einsatz auf dem Balkan die Rückkehr der Bundesrepublik in den Kreis der auch machtpolitische Verantwortung tragenden Nationen markiert, sind Nation-building- oder State-building-Missionen wie in Afghanistan Beweise des Versuchs, krisengeschüttelten Regionen mit friedlichen Mitteln die Rückkehr in den Kreis der demokratischen Nationen zu erleichtern. In dem festen Glauben an die gewaltfreie Umgestaltung bestehender Verhältnisse mögen die Deutschen zwar etwas blauäugig sein. Aber sie setzen damit auf einen evolutionären Prozess, ähnlich der ab 1975 durch die Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa, KSZE, eingeleiteten friedlichen Umwälzung. An diesem Prozess waren die Deutschen durch Außenminister Genscher maßgeblich beteiligt. Dass belegbarer Selbstlosigkeit in der Diplomatie hilfreich bei der Lösung unlösbar scheinender Situationen ist, hat gerade erst die deutsche Vermittlung bei dem nahöstlichen Gefangenenaustausch belegt.

Die Bundeswehr und auch die deutschen Polizeiausbilder sind auf ihre überwiegend zivilen Aufgaben in Kundus beispielhaft umfassend vorbereitet. Anders als die amerikanischen Einheiten, denen der Umgang mit ihnen fremden Ethnien und Kulturen im Irak, aber auch in Afghanistan massive Probleme bereitet, sind die Deutschen durch Schulungen und Sprachkurse sensibilisiert worden. Sie sehen sich nicht als Besatzer, sondern als Helfer in einem Selbstfindungsprozess. Die deutsche Polizei in Kundus bildet einheimisches Personal aus, dominiert aber selbst nirgendwo. Die Bundeswehr vermeidet dort, wie schon in Kabul, konsequent jedes martialische Auftreten.

Das alles garantiert nicht die unversehrte Rückkehr der Deutschen. Es belegt den guten Willen, nichts als helfen zu wollen. Die erheblichen Gefahren sollte niemand gering schätzen. Das belegen die jüngsten Anschläge in Kabul.

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