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Politik: Ein Stern erlischt

JACKSON VOR GERICHT

Von Harald Martenstein

Ein Popstar wie Michael Jackson hat es vor Gericht nicht leichter, eher schwerer. Unbefangen ist ihm gegenüber niemand. Einen, der reich und berühmt ist, stürzen zu sehen, bereitet Lust. Und danach? Der normale Straftäter kann irgendwo ein neues Leben anfangen. Der Popstar nicht.

Vielleicht hat gestern ein neues Kapitel der Justizgeschichte begonnen. Der erste globale Pop-Prozess. Das Verfahren gegen O. J. Simpson interessierte vor allem in Amerika, über Michael Jackson spricht die ganze Welt das Urteil. Im Grunde sind es zwei Prozesse, die parallel stattfinden: Neben dem juristischen Verfahren, in dem es um Beweise geht, steht das öffentliche. Dort geht es um Gefühle. Es geht darum, wer mit Hilfe gewiefter PR-Spezialisten die Sympathien des weltweiten Publikums auf seine Seite zieht. Welches Bild wird am Ende in den Köpfen siegen – das von Michael Jackson, dem Kinderschänder, oder das von Michael Jackson, dem Opfer, der gequälten Seele? Die Urteilssprüche in beiden Prozessen können unterschiedlich ausfallen. O. J. Simpson wurde juristisch freigesprochen, für die Mehrheit des Publikums gilt er als schuldig.

Michael Jackson war der König des Pop. Er galt als Nachfolger von Elvis und den Beatles. Die Parallele zu Ludwig II. fällt auf, dem König von Bayern: die Phobien, die Einsamkeit, die undurchschaubare Sexualität. Der süße Wahn, sich eine Welt nach den Regeln der eigenen Träume bauen zu können.

Zum Pop haben Regelüberschreitung und Selbstzerstörung gehört, von Anfang an. Lang ist die Liste der Sonderlinge, Elvis steht weit vorne. Warum ist das so? Weil Pop vor 50 Jahren als Jugendkultur geboren wurde, als erste Kunst, die exklusiv einer einzigen Generation gehörte, weil Abgrenzung von der Vernunftwelt der Alten das ist, wodurch Jugend sich definiert, weil Rausch, Egomanie, Wahnsinn und Verbrechen dazugehören.

Als man anfing, die Könige vor Gericht zu stellen, bedeutete dies das Ende einer Epoche. Das ist auch jetzt der Fall: Die Zeit der Ersatzkönige geht zu Ende. Zum ersten Mal wird einem der ganz Großen der Prozess gemacht. Bei anderen Popstars hätte es auch Anlässe gegeben. Man muss sich nur einmal eine beliebige Biografie vornehmen, die Rolling Stones vielleicht. Drogen? Steuerhinterziehung? Unzucht mit Minderjährigen? Suchen Sie sich etwas aus.

Während Michael Jackson in Neverland seinen Fantasien nachhing, wurde das Verhältnis des Publikums zu den Stars allmählich ein anderes. Die Medien sind sein Ersatzauge. Dieses Auge sieht alles – die Wohnungen in den Homestories, die Castings in den Castingshows, die Abstürze und Affären auf den Klatschseiten. Die Stars sind uns immer näher gerückt. Sogar in Hollywood haben die Diven patenten jungen Frauen Platz gemacht. Nicole Kidman und Julia Roberts statt Marlene Dietrich und Greta Garbo.

Die Castingshows, die überall im Fernsehen laufen, berufen sich auf das Leistungsprinzip, also auf die Vernunft. Der Beste soll Star sein, bei der Starwerdung schaut man ihm kontrollierend zu. Die alten Stars traten scheinbar aus dem Nichts vor die Augen des Publikums, vom Himmel gefallen wie die Herrscher im Absolutismus. Die neuen Stars sind Leute wie alle.

Den unantastbaren Star gibt es nicht mehr. Michael Jackson war einer der letzten. Er hat schon verloren, egal, ob die Vorwürfe stimmen oder nicht. Im Licht wurde er groß. Jetzt hat das Licht, das auf ihn fällt, seine Aura zerstört. Pop war ein Spiel für Helden und Rebellen, für Freaks und Gangster. Pop wurde eingemeindet in die Welt der Erwachsenen. Wer jung ist, muss sich etwas Neues suchen.

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