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Robert Habeck (Bündnis 90/Die Grünen).

© Foto: dpa/Michael Kappeler

„Das ist der Stand heute“: Habeck hält Einsatz von zwei AKWs über das Jahresende hinaus für nötig

Die süddeutschen AKWs Isar 2 und Neckarwestheim müssen wohl auch über den Winter hinaus laufen. Greenpeace kritisiert den Grünen-Minister scharf.

Die beiden süddeutschen Atomkraftwerke in Baden-Württemberg und Bayern müssten nach Worten von Wirtschaftsminister Robert Habeck nach derzeitigem Stand über das Jahresende hinaus laufen. „Isar 2 und Neckarwestheim werden im ersten Quartal 2023 wohl am Netz bleiben. Das ist der Stand heute“, sagte der Vizekanzler am Dienstagabend in Berlin.

Die angespannte Lage vor allem wegen der fehlenden französischen Atom-Leistung würde den Einsatz als Reserve dann notwendig machen. „Die Lage in Frankreich ist nicht gut und hat sich in den vergangenen Wochen deutlich schlechter entwickelt als prognostiziert“, sagte Habeck und verwies auf einen französischen Stresstest aus der vergangenen Woche.

Die Entscheidung muss spätestens im Dezember getroffen werden.

Robert Habeck

Habecks Begründung

In Frankreich, das traditionell auf Atomkraftwerke bei der Stromversorgung setzt, sind seit Wochen mehr als die Hälfte der Meiler nicht im Einsatz. Dies werde sich auch in den kommenden Monaten nicht signifikant ändern. Die französischen Behörden gehen nicht mehr von einer Leistung von 50 Gigawatt im Winter aus, sondern nur noch von 45 Gigawatt Anfang Januar. Bis in den Februar sinke die Leistung der dortigen Atomkraftwerke auf nur noch 40 Gigawatt.

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Zunächst wollte Habeck, dass Isar 2 und Neckarwestheim 2 in eine Notreserve geschickt werden und nur bei absoluten Engpässen wieder angefahren werden sollen; nun öffnet er sich für einen dauerhaften Weiterbetrieb bis April 2023. Der ursprüngliche Plan war auf große Kritik gestoßen und galt als Zugeständnis an die eigene Partei, die jahrzehntelang für den Atomausstieg gekämpft hatte.

Jedoch hatte sich auch der Betreiber von Isar 2, die Eon-Tochter PreussenElektra, gegen den noch nie erprobten Notreserve-Plan ausgesprochen und eine rasche Entscheidung gefordert. Wegen eines Ventil-Lecks müsse das AKW noch im Oktober heruntergefahren werden, damit es anschließend länger in Betrieb bleiben könne. Alternativ könne auf die Reparatur verzichtet werden, dann müsse der Reaktor aber wie geplant Ende 2022 endgültig stillgelegt werden.

Wasserdampf steigt aus dem Kühlturm des Atomkraftwerks (AKW) Isar 2.

© Archivfoto: dpa/Armin Weigel

Der Grünen-Politiker machte aber deutlich, dass damit noch keine endgültige Entscheidung über einen Weiterbetrieb gefallen sei. „Die Entscheidung muss spätestens im Dezember getroffen werden“, sagte Habeck. Das dritte verbliebene Kernkraftwerk im Emsland in Niedersachsen soll weiterhin wie geplant zum Jahreswechsel endgültig vom Netz gehen.

Die FDP als Treiber in der Atomfrage

Zuvor hatte die FDP Habeck wiederholt gedrängt, alle drei Atomkraftwerke über den Jahreswechsel weiterzubetreiben. Im Gegenzug hatten die Liberalen den Grünen ihre Zustimmung zu einer Gaspreisbremse in Aussicht gestellt. Die FDP-Bundestagsfraktion sei bereit, eine solche Gaspreisbremse mitzutragen, sagte Fraktionschef Christian Dürr am Dienstag.

„Umgekehrt erwarten wir jetzt aber auch von den Grünen Bewegung bei der Frage der Laufzeiten der deutschen Atomkraftwerke.“ Es gehe darum, „national alles dafür zu tun, dass die Energieknappheit gemildert wird“. Die FDP verweist darauf, dass so weniger Gas zur Stromerzeugung eingesetzt werden müsste, zudem treibe der hohe Gaspreis auch den Strompreis.

Eingeschränkte Stromproduktion im Streckbetrieb

Sollten die beiden süddeutschen AKW über den Jahreswechsel am Netz bleiben, könnten sie im Streckbetrieb mit den alten Brennstäben nicht mehr die volle Leistung erreichen. Isar 2 könne laut Betreiber den Betrieb bis Anfang März fortsetzen. „Dabei können nach Betreiberangaben zwischen anfänglich etwa 95 Prozent der Leistung bis etwa 50 Prozent der Leistung zum Ende bereitgestellt“ werden, teilte das Wirtschaftsministerium mit. Damit das Kraftwerk in einen Streckbetrieb gehen kann, müssen aber bis spätestens Ende Oktober systeminternen Druckhalter-Leckagen beseitigt werden.

Das AKW Neckarwestheim könne im Januar noch rund 70 Prozent seiner ursprünglichen Leistung abrufen. Bis Mitte April werde die Leistung dann auf etwa 55 Prozent sinken.

Scharfe Kritik von Greenpeace

In der für die Grünen wichtigen Umweltszene stieß die Kehrtwende Habecks auf scharfe Kritik. Der Greenpeace-Atomexperte Heinz Smital betonte: .„Es ist und bleibt energiepolitischer Unsinn, den gesetzlich festgelegten Atomausstieg zum 31. Dezember 2022 auszuhebeln“.

Die neuen Eckpunkte zum Reservebetrieb zeigten einmal mehr, was für einen winzigen Beitrag zur Netzsicherheit die beiden Atomkraftwerke beim Weiterbetrieb noch leisten können. „Die Strommangellage in Frankreich durch Abschaltung zahlreicher AKWs zeigt, wie unzuverlässig Atomenergie ist. Daneben besteht das Risiko katastrophaler Atomunfälle.“, betont Smital. „Für die wenigen Stunden, in denen die Netzstabilität im kommenden Winter möglicherweise unsicher werden könnte, wäre stundenweises gezieltes und vereinbartes Abschalten von großen industriellen Verbrauchern und intelligentes Lastmanagement viel zielführender.“ 

Wieder Tage der Entscheidung im Kanzleramt

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), Habeck und Finanzminister Christian Lindner (FDP) sind in enger Abstimmung, um möglichst diese Woche noch ein Gesamtpaket zu schnüren. Dazu gehört vor allem die Begrenzung der Energiepreise, die längeren AKW-Laufzeiten soll durch das größere Stromangebot dazu einen Beitrag leisten.

Kommt es zum Kuhhandel längere AKW-Laufzeit gegen Gaspreisbremse?

Es habe keinen Deal gegeben, versicherte Habeck. „Wir sollten keine politischen Koppelgeschäfte machen“, sagte Habeck. Jedes Problem müsse für sich gelöst werden. Zunächst wollte die Koalition die hohen Energiepreise durch die Gasumlage gerechter verteilen. Diese soll eigentlich ab 1. Oktober gelten, ist aber politisch kaum noch zu vermitteln, auch weil Industrie und Mittelstand vor massiver Abwanderung von Unternehmen und Arbeitsplatzverlusten warnen, wenn der Staat nicht entschieden gegensteuert bei den Energiepreisen. Daher rückt nun eine milliardenschwere Gaspreisbremse in den Fokus.

Öffnet Lindner die Schatulle?

In Regierungskreisen hieß es gegenüber dem Tagesspiegel, alles hänge an der Finanzierung. Grüne und SPD fordern von Finanzminister und FDP-Chef Christian Lindner eine erneute Aussetzung der Schuldenbremse, um eine milliardenschwere Deckelung der Energiepreise zu finanzieren.

„Hier ist jetzt der Finanzminister gefordert, mit genügend Finanzmitteln Wege und Möglichkeiten aufzuzeigen, wie wir bei der Senkung der Energiekosten und der Einführung eines Gaspreisdeckels vorankommen“, sagte Grünen-Fraktionschefin Britta Haßelmann.

Statt der Gasumlage könnte der Staat den in Schieflagen geratenen Gaseinkäufern analog zum verstaatlichten Unternehmen Uniper direkt helfen. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), der sich in einer Corona-Isolation befindet, ist dazu im engen Austausch mit Habeck und Lindner. Es wird mit einer Entscheidung bis zur Kabinettssitzung an diesem Mittwoch gerechnet.

Bund-Länder-Gipfel verschoben

Der ebenfalls für Mittwoch geplante Bund-Länder-Gipfel wurde auf den 4. Oktober verschoben. Die offizielle Begründung des Kanzleramts: Es sei nicht sinnvoll, ein so wichtiges Treffen wegen der Corona-Infektion des Kanzlers virtuell zu machen. Es wurde dementiert, dass die Verschiebung mit dem Krisenlösungsprozess in der Regierung zusammenhängen könnte.

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