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Torsten Albig

© dpa

Wahljahr 2012: Der Blick geht gen Norden: Schleswig-Holstein wählt

Die Landtagswahl in Schleswig-Holstein wird in Berlin besonders beobachtet werden – auch weil es 2012 die einzige ist.

Es wird viel gewählt im neuen Jahr, eine ganze Reihe spannender Ereignisse, der russische Präsident, der französische Präsident, der US-Präsident, das griechische Parlament und das ägyptische. In Deutschland wird auch gewählt, aber 2012 wird kein Superwahljahr werden. Keine Kette von Landtagswahlen, die Bundestagswahl steht erst im Herbst 2013 an – nur die Bürger in Schleswig-Holstein sind in diesem Jahr gefragt. Am 6. Mai wird der neue Landtag gewählt, eine vorgezogene Wahl, vom Landesverfassungsgericht auf den Weg gebracht wegen Unstimmigkeiten im alten Wahlrecht. Aber wenn es nur eine Wahl gibt, dann steigt deren Bedeutung gewaltig, dann bekommt ein Urnengang in einem kleineren Land Superwahlstatus – vor allem für die Politik in Berlin. Zwar erklären Wahlforscher seit Jahren, dass man die Bundespolitik als Wahlmotiv bei Landeswahlen nicht überschätzen soll, dass die regionalen Dinge oft eine stärkere Rolle spielen. Aber man darf sicher sein, dass das Ergebnis im Norden mit Blick auf 2013 zum Schlüsselereignis aufgeblasen wird. Bundespolitische Prominenz dürfte im Frühjahr häufig zwischen Brunsbüttel, Lübeck und Sylt gesichtet werden. Es geht schließlich um mehr als 69 Sitze im Kieler Landtag. Hat Rot-Grün Zukunft? Schmiert die CDU doch mal ab? Rettet sich die FDP? Wohin geht es mit der Linken? Entern die Piraten das nächste Beiboot?

Vor allem Sigmar Gabriel dürfte gebannt nach Kiel blicken. Der SPD-Chef hat schon knapp zwei Jahre vor der Bundestagswahl einen Richtungswahlkampf angekündigt: die Hoffnung namens Rot-Grün gegen das schwarz-gelbe Elend. Um die Spannung halten zu können, müsste – nach der Pleite in der Bundeshauptstadt – eine Koalition von Sozialdemokraten und Grünen in Schleswig-Holstein dringend klappen. Und Gabriel braucht auch einen klaren Sieg der SPD im Norden, um das aus Sicht der SPD eher durchwachsene Wahljahr 2011 vergessen zu machen. Nach dem grandiosen „Alleingang“ in Hamburg zum Auftakt blieben die Sozialdemokraten bei den weiteren Wahlen eher hinter den Erwartungen zurück: in Sachsen-Anhalt Fortsetzung der soliden Arbeitskoalition mit der CDU als „Juniorpartner“, in Baden-Württemberg hinter die Grünen zurückgefallen, in Rheinland-Pfalz die alleinige Mehrheit verloren, in Bremen und Mecklenburg-Vorpommern erwartungsgemäß ordentlich abgeschnitten, in Berlin nicht geglänzt. Und wenn Gabriel glaubhaft eine echte „Politikwende“ in Berlin propagieren will, muss er auch auf den Bundesrat schauen. Dort hat Rot-Grün noch keine Mehrheit, derzeit liegt man bei 26 Stimmen (wenn man das rot-rot regierte Brandenburg zum Oppositionslager zählt). 35 Stimmen sind nötig, um bei der Bundesgesetzgebung nicht auf andere Parteien angewiesen zu sein. Das ist – nach Klaus Wowereits Schwenk hin zur CDU – bis zur Bundestagswahl nur zu schaffen, wenn nach Schleswig-Holstein auch Niedersachsen im Frühjahr 2013 eine rot-grüne Koalition bekommt (und die Brandenburger Linken mittun). In Kiel muss das Ergebnis also stimmen.

Die SPD im Norden hat sich klar für eine Koalition mit den Grünen positioniert. Ob der schleswig-holsteinische SPD-Spitzenkandidat Torsten Albig sich aber auch deutlich vor die CDU bugsieren kann, ist nach den Umfragen zwar vorerst unklar. Aber der selbstbewusst auftretende Albig will an die 40-Prozent-Marke kommen, nach gut 25 Prozent bei der letzten Wahl 2009 und bei Demoskopiewerten um die 32 Prozent freilich ein ehrgeiziges Ziel. Der im Gegensatz zum weiterhin einflussreichen Landes- und Fraktionschef Ralf Stegner eher ideologiefreie Albig kann allerdings in der Mitte punkten – einst war er Sprecher des Bundesfinanzministers Peer Steinbrück, seit 2009 ist er Oberbürgermeister in Kiel, das Amt nahm er der CDU ab. Solide Finanzen, vom kommunalpolitischen Pragmatismus geprägt – dafür steht der Spitzenkandidat der Nord-SPD. Ähnlich wie der amtierende Ministerpräsident Peter Harry Carstensen (CDU) verspricht er einen stringenten Sparkurs, freilich kommt im überschuldeten Schleswig-Holstein kaum etwas anderes infrage. Doch Albig kann es schaffen, sich vor die CDU zu schieben.

Das zu verhindern, ist offenkundig das Kernziel der CDU. Deren Spitzenkandidat, der Wirtschafts- und Wissenschaftsminister Jost de Jager, hat die FDP wohl schon abgeschrieben, und selbst wenn sie knapp in den Landtag kommen sollte, wird eine Neuauflage der schwarz-gelben Koalition schwierig werden. Aber de Jager will mit der CDU als stärkster Partei vor allem Rot-Grün verhindern und so entweder die SPD in eine große Koalition zwingen oder aber die Grünen anlocken.

Die Grünen haben sich bislang nicht eindeutig festgelegt, Schwarz-Grün ist damit nicht ausgeschlossen. Spitzenkandidat Robert Habeck betont allerdings die Unterschiede zur CDU stärker als die möglichen Streitpunkte mit der SPD. Bei den Bildungs- und Sozialthemen dürfte Rot-Grün wenige Probleme haben, in der alles entscheidenden Haushaltspolitik stehen die Grünen der CDU aber möglicherweise etwas näher. Habecks Linie ist es, durch einen eigenständigen Wahlkampf möglichst viele Stimmen zu sammeln und dann zu schauen. Ob es für ein Ergebnis nahe an 20 Prozent reicht, worauf einige Umfragen 2011 hindeuteten, ist unsicher. Am Ende könnte eine schleswig-holsteinische Besonderheit den Ausschlag geben: der Südschleswigsche Wählerverband (SSW), die Partei der dänischen Minderheit, für die die Fünfprozentklausel nicht gilt. Bisher hatte der SSW vier Sitze im Landtag, er gilt traditionell als SPD-nah und könnte bei knappen Stimmverhältnissen ein rot-grünes Kabinett stützen. Ob die Linken wieder und die Piraten neu in den Landtag kommen – das steht in den Sternen. Die Piraten haben allerdings noch etwas Mobilisierungsbedarf: Erst fünf von 35 Direktkandidaten in den Wahlkreisen haben bislang die nötigen hundert Unterstützerunterschriften beisammen.

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