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Messe online. Ein Pfarrer überträgt die Ostermesse ins Internet.

© Robert Michael/dpa

Die Corona-Krise als Chance für Gotteshäuser: Das Digitale ist auch ein Missionsraum

Gotteshäuser bleiben geschlossen. Aber Gott ist überall. Das ist eine Chance für Christen, Juden, Muslime. Und für den Glauben in Zeiten der Digitalisierung. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Stephan-Andreas Casdorff

Ach ja, man möchte klagen, oder? Wehklagen sogar. Da sind also die Kirchen, die Synagogen, Moscheen, die Gotteshäuser, immer noch nicht für die große, gemeinschaftliche Andacht geöffnet. Oder jedenfalls noch nicht so ganz. Ein Spalt ist offen, nennen wir die Sonderregelungen für traurige und feierlich-fröhliche Anlässe einmal so. Wenn es nicht so viele Menschen werden, die zusammenkommen, dann dürfen sie das, zu Trauerfeiern und zu Taufen, zu Hochzeiten. Man mag es kaum glauben: In diesen Zeiten, gerade in diesen, sind die Kirchen kein Zufluchtsort.

Oder doch?

Es sollte nicht vor allem darum gehen, zu rechten, ob Geschäfte des täglichen Bedarfs wichtiger seien als der Bedarf an öffentlichen Gottesdiensten. Es geht vielleicht erst einmal darum, über Grundlegendes nachzudenken: dass nämlich diese Zeit zu Reflexion und neuer Innerlichkeit führen kann. Wäre das nicht auch gottgefällig? Zum Beispiel kann das ganz praktisch bedeuten, dass jeder und jede die Einstellung zum täglichen Geschehen prüft und womöglich verändert.

Ändern wir die Perspektive! In der „Jüdischen Allgemeinen“ schreibt der Psychologe Louis Lewitan: „Wir haben es gut in Deutschland. Hier geht es uns besser, als wir es wahrhaben wollen. Wir stehen in der Verantwortung.“ Richtig: in der Verantwortung dafür, sich gerade in der Krise – und gerade als gläubige Menschen – zu bescheiden.

Seien wir bescheiden

Bescheide dich: Das bedeutet, dass wir anerkennen, nicht das Maß aller Dinge zu sein. Nicht alles besser zu wissen. Wer sich in dem Sinn bescheiden kann, kann sich glücklich schätzen. Wer sich bescheidet, hütet sich vor (vor-)schnellen Urteilen. Verzichten wir in der Krise darauf. Seien wir in dieser Hinsicht bescheiden.

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Zumal sich zu bescheiden ja nicht heißt, auf Gott zu verzichten. Nehmen wir Martin Luthers Torgauer Formel: Im Gottesdienst – so sagt er bei der Einweihung der Torgauer Schlosskirche 1544 – solle „nichts anderes geschehen, als dass unser lieber Herr mit uns rede durch sein heiliges Wort und wir wiederum ihm antworten in Gebet und Lobgesang“.

Der Gottesdienst ist ein Dienst an Gott, einer mit Gott, einerlei, wie wir ihn nennen. Schon in den Paulusbriefen und in der Apostelgeschichte werden verschiedene Formen erwähnt. Da findet sich in der Bibel auch dieses Beispiel: „Wenn ihr zusammenkommt, hat jeder etwas mitgebracht: Der eine singt ein Lied, ein anderer legt die Heiligen Schriften aus. Wieder ein anderer spricht in Sprachen des Geistes, und ein anderer hat eine Erklärung dazu.“ So gesehen ist der Begriff „Gottesdienst“ auch irreführend. Gott nimmt die Gläubigen an, hört sie an, wo immer sie sich ihm zuwenden. Auch im Supermarkt. Nur haben wir uns im System Kirche so eingerichtet, dass diese Zusammenkunft eigentlich immer in einem Haus stattzufinden hat.

Rücksicht nehmen auf die schwachen

Das alles vorausgeschickt: Es ist richtig, zu Gottesdiensten in diese Häuser derzeit nicht analog einzuladen. Das gebietet einmal die Rücksicht auf die Schwachen, wie schon Paulus im ersten Korintherbrief schreibt. Außerdem, und wichtiger noch: Wer sagt denn, dass Gottes Reden aufs Analoge beschränkt ist?

Hintergründe zum Coronavirus:

Da gibt es jetzt so viele Möglichkeiten, nehmen wir nur eine wie „Yeet“, das sind evangelische „Sinnfluencer“ im Internet. Sagen wir so: Wenn es Gott gibt, dann kennt er viele Wege. Die Kirchen wissen es doch schon lange: Die Zahl der Gottesdienstbesucher sinkt und sinkt. Dass die Menschen zu den Häusern auf Abstand gehen, heißt deshalb ja auch nicht, dass es gerade jetzt drinnen besser wäre.

Nein, auch draußen wartet er: Gott ist überall. Das ist kein Grund zur Klage. Vielleicht ist es gerade umgekehrt jetzt eine große Chance für Christen, Juden, Muslime, alle – in dieser Krise wird der Glaube öffentlicher denn je. Das Digitale ist auch ein Missionsraum.

Und ein Letztes: Wenn im Neuen Testament von Gottesdienst gesprochen wird, geht es auch darum, das gesamte Leben als Gottesdienst zu begreifen.

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