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Politik: Charisma zählt

Brasiliens Präsident Lula hat gute Chancen, sein Amt zu verteidigen – spätestens im zweiten Wahlgang

Berlin - Das Rennen um die Präsidentschaft Brasiliens schien schon vor der Wahl am heutigen Sonntag gelaufen. Die Demoskopen sind sich einig, dass Luiz Inácio Lula da Silva Präsident bleiben wird. Die einzige Frage, die sich die Brasilianer noch stellen, ist, ob er im ersten Wahlgang wiedergewählt wird oder ob er in die Stichwahl Ende Oktober muss. Für Lulas konservativen Herausforderer Geraldo Alckmin wäre das Erzwingen der zweiten Runde schon der größte Erfolg. Der 57-jährige Anästhesist aus dem reichen Bundesstaat Sao Paulo konnte dem bodenständigen Charisma Lulas nichts entgegensetzen. In den letzten Wahlumfragen lag der Sozialdemokrat bei 28 Prozent. Den 61-jährigen Lula sehen die Meinungsforscher bei rund 50 Prozent der Stimmen. Die Korruptionsskandale, die seine Arbeiterpartei (PT) erschütterten, konnten dem politischen Alphatier keinen Schaden zufügen.

Hauptgrund für Lulas gute Aussichten ist jedoch die florierende Wirtschaft. Galt der Ex-Gewerkschaftsführer den Wirtschaftseliten vor seinem Wahlsieg 2002 noch als linkes Schreckgespenst, so applaudieren sie ihm heute für seine auf Stabilität ausgerichtete Finanzpolitik. Hinzu kommt, dass der brasilianische Staat seine Ausgaben drastisch kürzte. So konnte Lula dieses Jahr dem Internationalen Währungsfonds (IWF) die Schulden von 15 Milliarden Dollar auf einen Schlag zurückzahlen. Und: Selten zuvor war die Kaufkraft der 185 Millionen Brasilianer höher, die Landeswährung Real ist so stark wie nie. Brasilien wird heute neben China und Indien zu den aufstrebenden Nationen des 21. Jahrhunderts gerechnet.

Gleichzeitig hat Lula begonnen, seine Versprechen gegenüber den Armen einzulösen. Die Sozialprogramme seiner Regierung sind die größten staatlichen Umverteilungsmaßnahmen der Welt. Allein im Rahmen des „Null Hunger“-Programms leitet die Regierung jeden Monat 255 Millionen Euro an 45 Millionen Bedürftige weiter. In den Slums und im armen Nordosten wird der Präsident deshalb voraussichtlich wieder Traumergebnisse erzielen.

Dennoch zählt Brasilien nach wie vor zu den Ländern, in denen die größte Ungleichheit herrscht: Ein Prozent der Reichsten in dem Land verfügt über das gleiche Einkommen wie 50 Prozent der Ärmsten. Hinzu kommt die ausufernde Gewalt: Rund 150 Menschen werden im Durchschnitt täglich in Brasilien umgebracht – das sind mehr als im Irak. Zur Gewaltbekämpfung hat Lula jedoch kein Konzept.

Lulas ungebrochene Beliebtheit überrascht aber insbesondere angesichts der Bestechungsaffären in seinem Umfeld. Zuletzt geriet er wegen einer Schmutzkampagne gegen Kandidaten der Opposition unter Druck, die in Brasilien schon mit Watergate verglichen wurde. Vergangene Woche nahm deshalb Lulas Wahlkampfleiter den Hut, der gleichzeitig Präsident der Arbeiterpartei ist.

Doch Lula will von den Vorgängen so wenig gewusst haben wie von den monatlichen Zahlungen seiner Partei an Parlamentsabgeordnete anderer Parteien, die im Gegenzug mit der Arbeiterpartei votierten. In der Mittelschicht und unter den Intellektuellen, die mit Lula die Hoffnung auf einen Abbau der allgegenwärtigen Korruption verbunden hatten, büßte der Präsident daher erheblich an Sympathien ein. Viele von ihnen werden für Heloísa Helena von der Partei für Sozialismus und Freiheit (PSOL) stimmen, die aus der Arbeiterpartei ausgeschlossen wurde. Umfragen sehen die Sozialistin bei fünf bis zehn Prozent. Die Höhe ihres Stimmenanteils dürfte entscheiden, ob Lula schon am Sonntag jubeln darf oder ob er sich noch vier Wochen gedulden muss.

Mitarbeit: Dennis Kremer, Belo Horizonte

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