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Joko Widodo (l), Präsident von Indonesien, begrüßt Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD, 2.v.r.) am Rande des G20-Gipfels zu einem Abendessen.

© Foto: dpa/Kay Nietfeld

Erster Gipfeltag auf Bali beendet: Die fünf wichtigsten Ereignisse des G20-Treffens

Russland droht eine überraschend deutliche Kriegs-Verurteilung in der Abschlusserklärung. Selbst China stellt sich dem nicht in den Weg. Dreht sich jetzt der Wind gegen Putin?

Draußen im Inselparadies Bali sind es schwüle 31 Grad, drinnen ist es mindestens so kühl wie die reale Stimmung. Zu spüren bekommt das auf dem G20-Gipfel vor allem der russische Außenminister Lawrow. Entsprechend verlässt er das Treffen noch vor dem offiziellen Ende. Am Abend geht es mit dem Flugzeug und seiner Delegation zurück nach Russland. Lawrow vertrat den russischen Präsidenten Wladimir Putin vertreten, der nach Kreml-Angaben aus Zeitgründen nicht nach Bali kommen konnte.

Dabei ist der Empfang für Sergej Lawrow überraschend freundlich. Indonesiens Präsident Joko Widodo begrüßt den lächelnden Lawrow mit einem Klaps auf den Arm und langem Händeschütteln vor den aufgereihten Fahnen der G20-Staaten.

Auch Kanzler Olaf Scholz (SPD) versucht mit Lawrow das Gespräch zu suchen. Es bleibt aber bei einer kurzen Begegnung: „Er stand neben mir und hat zwei Sätze zu mir gesagt. Das war das Gespräch“, sagt Scholz.

Die anderen Teilnehmer hatten am ersten Gipfeltag zum Glück mehr zu sagen. Ein Überblick über die wichtigsten Ereignisse:

1. Russland steht isolierter als in den ersten Monaten des Krieges

Als Gipfelgastgeber Widodo die erste Sitzung zum Thema „Ernährungs- und Energiesicherheit“ eröffnet, in der es um die Folgen des russischen Krieges in der Ukraine geht, spricht er auch jemanden an, der nicht gekommen ist – und in Moskau sitzt: Wladimir Putin. „Wir haben keine Alternative zur Zusammenarbeit, um die Welt zu schützen“, sagt Widodo. Und: „Wir respektieren die Prinzipien des internationalen Rechts und der Charta der Vereinten Nationen.“

Bundeskanzler Olaf Scholz, Frankreichs Präsident Emmanuel Macron, US-Präsident Joe Biden und Narendra Modi, Premierminister von Indien.
Bundeskanzler Olaf Scholz, Frankreichs Präsident Emmanuel Macron, US-Präsident Joe Biden und Narendra Modi, Premierminister von Indien.

© Foto: dpa/Kay Nietfeld

Es sind klare Worte, ohne den russischen Krieg in der Ukraine erwähnen zu müssen. „Wir sollten die Welt nicht in Teile spalten, keinen neuen Kalten Krieg beginnen“, sagt Widodo. Indonesien gilt als fairer Mittler und wird auch von Russland akzeptiert, daher kann die Rolle der Gastgeber nicht hoch genug eingeschätzt werden.

Wir sollten die Welt nicht in Teile spalten, keinen neuen Kalten Krieg beginnen.

Indonesiens Präsident Joko Widodo.

2. Infantino schlägt Feuerpause während der WM vor

Widodo zieht auf Bali alle Register als Konfliktentschärfer – und hat sich dazu auch überraschende Gäste eingeladen. Beim Mittagessen der G20-Runde sind IOC-Chef Thomas Bach und Fifa-Boss Gianni Infantino dabei. Beide umstritten, aber hier betonen sie die Rolle des Sports als Friedensstifter – und setzen auch kleine Stiche gegen Russland. IOC-Präsident Bach betont, dass das internationale Recht eingehalten werden müsse, er unterstreicht die vereinigende Bedeutung des Sports. „Die Welt braucht in diesen Tagen mehr Solidarität und Frieden.“

FIFA-Präsident Gianni Infantino.
FIFA-Präsident Gianni Infantino.

© Foto: dpa/LEON NEAL

Fifa-Boss Infantino hat eine besondere Idee im Gepäck: Er schlägt vor, dass vom Beginn der Fußball-Weltmeisterschaft am Sonntag bis zum Finale am 18. Dezember die Waffen schweigen sollen in der Ukraine. „Wir sind nicht naiv und denken, dass der Fußball die Probleme der Welt lösen kann.“ Die WM in Katar könne aber „Anlass für eine positive Geste oder ein Zeichen“ sein.

Er hat den Spielball der WM in Katar dabei, nimmt ihn in die Hand, jeder Teilnehmer der G20-Runde soll ihn bekommen. „Das wir wollen, dass der Krieg zu Ende geht und Russland seine Truppen zurückzieht, habe ich schon gesagt“, sagt Scholz zum Infantino-Vorschlag.

3. G20 einigen sich auf einen Entwurf zur Abschlusserklärung

Dem Tagesspiegel liegt der Entwurf für die Abschlusserklärung vor. Darin steht erstens, dass der Krieg Krieg genannt wird und nicht wie von Russland eine militärische Spezialoperation. Und zweitens, dass die Mehrheit ihn im G20-Kreis mit scharfen Worten verurteilt.

„Die meisten Mitglieder verurteilen den Krieg in der Ukraine auf das Schärfste und betonten, dass er unermessliches menschliches Leid verursacht und bestehende Schwachstellen in der Weltwirtschaft verschärft – durch geringeres Wachstum, steigende Inflation, die Unterbrechung von Lieferketten, eine Erhöhung der Energie- und Ernährungsunsicherheit und neuen Risiken für die Finanzstabilität“, heißt es da.

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Der Gruppe gehören neben Deutschland, Argentinien, Australien, Brasilien, China, Frankreich, Großbritannien, Indien, Indonesien, Italien, Japan, Kanada, Mexiko, Russland, Saudi-Arabien, Südafrika, Südkorea, Türkei und die USA an, dazu die EU. Die „Gruppe der 20“ steht für 75 Prozent des Welthandels und 80 Prozent der weltweiten Wirtschaftskraft. Die Gipfel gibt es seit 2008 – so eine Krise und Bewährungsprobe gab es bisher nicht.

Der Chefunterhändler von Kanzler Scholz, Staatssekretär Jörg Kukies, hatte sich bei der Ankunft des Kanzlers zuversichtlich gezeigt, dass nach Monaten des Bangens, der Sorge vor einem Atomkrieg, das Pendel in Nusa Dua auf Bali gegen Russland ausschlagen könnte.

Staatssekretär Jörg Kukies hat für den Kanzler das G20-Kommunique als Unterhändler mit vorbereitet.
Staatssekretär Jörg Kukies hat für den Kanzler das G20-Kommunique als Unterhändler mit vorbereitet.

© Foto: Imago/photothek

Für die Unterhändler, die sich selbst Sherpas nennen, kommt es bei dem Ringen um den Entwurf für die Abschlusserklärung auf Feinheiten an, die in der Gipfelsprache einen großen Unterschied machen. Etwa, ob da am Ende drin steht, dass die „meisten“ (most) Länder Russlands Bruch des Völkerrechts verurteilen oder aber nur „viele“ (many.)

Letzteres hieße, es gäbe dazu keine Mehrheit im G20-Kreis. Schon vor Gipfelbeginn einigen sich die Unterhändler auf den Entwurf, EU-Ratspräsident Charles Michel verkündet das. Demnach haben die EU und die westlichen Staaten gegen den Widerstand Moskaus durchgesetzt.

Dass China und Indien die scharfen Worte nicht blockieren, zeigt den sich gegen Putin drehenden Wind, zumindest interpretieren dies Delegationsmitglieder vor Ort so.

Indonesiens Präsident Joko Widodo will eine Einigung auf eine gemeinsame G20-Abschlusserklärung.
Indonesiens Präsident Joko Widodo will eine Einigung auf eine gemeinsame G20-Abschlusserklärung.

© Foto: Reuters/Cindy Liu

Chinas Staatschef Xi Jinping rief die G20 in der Auftaktsitzung zur Einigkeit auf. Konfrontation solle durch Kooperation ersetzt werden. „Ich freue mich, dass wir uns auf ein gemeinsames Kommuniqué einigen konnten, in dem wir mit großer Mehrheit den russischen Angriffskrieg verurteilen“, sagte Kanzler Scholz im G20-Kreis.

Lawrow verlässt die Arbeitssitzung des Gipfels, die sich um die Kriegsfolgen dreht, vorzeitig. Die goldene Brücke, die Staaten wie China, Indien und Südafrika gebaut wird, ist im Kommuniqué-Entwurf folgender Satz: „Wir bekräftigen unsere nationalen Positionen, wie sie bei anderen Gelegenheiten geäußert wurden.“

Bei der Abstimmung über die Verurteilung des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine in der Generalversammlung der Vereinten Nationen am 2. März hatten sich bei der Resolution ES-11/1 aus der G20-Runde Indien, China und Südafrika enthalten. Russland stimmte mit Nordkorea, Syrien, Belarus und Eritrea gegen die Verurteilung.

141 Staaten stimmten für die Verurteilung. Also gibt es streng genommen eine 16:4-Verurteilung im G20-Kreis, aber Scholz betont, das sei nicht näher ausbuchstabiert worden. Doch das Signal ist deutlich. Konkret wird im Entwurf der Erklärung auch aus der UN-Resolution zitiert. Damit wird Russland aufgefordert, die Kriegshandlungen einzustellen und seine Truppen sofort aus der Ukraine abzuziehen. 

4. Ein Atomschlag wird für „unzulässig“ erklärt

Für Kanzler Scholz ist besonders wichtig, dass ein Atomschlag als rote Linie definiert wird, die nicht überschritten werden dürfe. Beim Peking-Besuch von Kanzler Scholz hatte Chinas Staatspräsident Xi Jinping erstmals Moskau deutlich vor dem Ziehen der Nuklearoption gewarnt, beim Treffen mit US-Präsident Joe Biden auf Bali bekräftigte Xi Jinping das. Beide Seiten stimmten überein, dass „ein Atomkrieg niemals geführt werden sollte“, teilte das Weiße Haus mit.

Chinas Präsident Xi Jinping und US-Präsident Joe Biden beim Treffen auf Bali
Chinas Präsident Xi Jinping und US-Präsident Joe Biden beim Treffen auf Bali

© Foto: Imago/UPI Photo/Chinese Foreign Ministry

Im Entwurf für das G20-Kommuniqué wird nun betont: „Der Einsatz oder die Androhung des Einsatzes von Atomwaffen ist unzulässig.“ Für Scholz ist entscheidend, dass dieser klaren Formulierung in der G20-Runde „niemand widerspricht“, also auch Russland nicht. „Deshalb ist das ein ganz besonderes Datum, diese Aussage auch mal gemacht zu haben, weil es in einem ganz entscheidenden Moment dieses Krieges das klarstellt.“ Um im Falle einer weiteren militärischen Eskalation genau dies auszuschließen. Hält sich Russland tatsächlich daran, wäre es auch ein Erfolg deutscher Bemühungen. 

Russland passt das Vorgehen auf Bali ganz und gar nicht. „Unsere westlichen Kollegen haben auf jede erdenkliche Weise versucht, diese Erklärung zu politisieren, und sie haben versucht, Formulierungen reinzuschmuggeln, die eine Verurteilung der Handlungen der Russischen Föderation im Namen der ganzen G20 implizieren würden, einschließlich uns selbst“, kritisiert Lawrow der russischen Nachrichtenagentur Tass zufolge.

Die Arbeit an dem Text sei nun aber praktisch beendet. Der Entwurf enthalte aber sowohl die westliche als auch die russische Sichtweise auf den Krieg in der Ukraine, so Lawrow weiter. Auf Russlands Position wird vor allem mit dem folgenden Satz eingegangen: „Es gab andere Auffassungen und unterschiedliche Bewertungen der Lage.“

Doch Lawrow tritt wesentlich weniger selbstbewusst und anklagend auf, als man es sonst von ihm kennt. In den Fokus rückt auch stärker ein Ausweg aus dem Krieg, zuletzt verhandelten auch hochrangige US- und russische Vertreter miteinander. Dem russischen Außenminister zufolge ist der französische Präsident Emmanuel Macron bereit zu erneuten Kontakten mit Russlands Präsident Wladimir Putin, auch Scholz betont, dass er ja immer wieder mit Putin spreche.

5. Selenskyj skizziert einen Plan für ein Kriegsende

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj wurde der G20-Runde aus Kiew zugeschaltet wird. Er skizzierte dabei einen Plan für das Ende des Krieges. Nötig seien dafür ein Abzug der russischen Truppen und eine Wiederherstellung der territorialen Unversehrtheit der Ukraine. „Ich möchte, dass dieser aggressive russische Krieg gerecht endet und auf Grundlage der Charta der Vereinten Nationen und des internationalen Rechts“, so Selenskyj.

Für die Ukraine seien nach dem Krieg klare Sicherheitsgarantien notwendig, damit Russland nicht erneut angreifen würde. Für die Schaffung einer Nachkriegsordnung schlägt er eine internationale Konferenz vor, bei der ein Kiewer Abkommen geschlossen werden könne. Kurzfristig müsse das unter Vermittlung der Türkei und der UN geschlossene Abkommen über den Export von ukrainischem Getreide über das Schwarze Meer verlängert werden.

Die G20 unterstützten die Forderung im Entwurf ihrer Abschlusserklärung. Lawrow blieb während der Selenskyj-Rede im Saal. Aus Sicht von Kanzler Scholz gibt es auch dank der Gastgeberrolle Indonesiens leise Hoffnung, das sei trotz der Rahmenbedingungen, „die bedrückend sind, bisher ein ganz erfolgreich verlaufender Gipfel.“

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